Bern: „König Roger“

Karol Szymanowski

Premiere: 1. Dezember 2019 / Schweizer Erstaufführung

Die Oper handelt von der Erleuchtung des christlichen König Roger II durch einen jungen Hirten, der für heidnische Ideale steht. Die Komposition Szymanowskis spielt in Sizilien im 12. Jahrhundert. In seiner 1926 in Warschau uraufgeführten Oper erschafft der polnische Komponist Karol Szymanowski eine Klangwelt, die archaische Chorblöcke mittelalterlicher Strenge den dionysisch-ekstatischen Ausbrüchen des unergründlich Neuen gegenüberstellt und so Kulturen und Gegensätze auf einer ganzheitlich erfahrbaren Ebene aufeinanderprallen lässt. (Programmheft)

Da die Oper fast niemand kennt und sie auch nicht in allen Opernführern steht, macht eine Inhaltsangabe Sinn:

Während der Messe flehen die Geistlichen König Roger an, die christlichen Sitten vor den aufrührerischen Reden eines fremden Schäfers zu schützen. Der Hirte wird vorgeführt. Trotz der Forderung des Erzbischofs nach Bestrafung überzeugt Rogers Frau Roksana den König, ihn nicht töten zu lassen. Roger befiehlt dem jungen Mann, an diesem Abend im Palast zu erscheinen, wo er sich weiter erklären und auf das königliche Urteil warten soll.

Zweiter Akt: Der Hirte erscheint an den Palasttoren. Roksana singt ein verführerisches Lied, das eindeutig eine Reaktion auf den Besucher ist, und Roger wird zunehmend aufgeregt. Der Hirte beschreibt seinen Glauben im Detail. Bald folgt fast das gesamte Gericht ihm in einem ekstatischen Tanz.

Dritter Akt: Roksana erklärt ihrem Mann Roger, dass nur der Hirte ihn von seinen Ängsten und seiner Eifersucht befreien könne. Ein Feuer veranlasst den König und die Anhänger des Priesters neuerlich zu tanzen. Der Hirte verwandelt sich in Dionysos. Roger begrüßt den Morgen mit einer frohen Hymne.

In der Regie von Ludger Engels spielt die Oper in einer Zeit, welche dem heutigen politischen und sozialen Umfeld ähnlich ist. Der religiöse Aspekt der Handlung wird bewusst vordergründig, penetrant angesprochen. In der Person des Hirten wird dieser Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, auf absoluten Glauben in Frage gestellt. " Ein Revolutionär ist ein Mensch, welcher NEIN sagt" ist eine der Kernaussagen des Revolutionärs, des Führers in einen neuen Glauben. Dabei verlangt auch dieser neue Glaube, diese neue Freiheit eine absolute Nachfolge, welche wiederum Zwänge auferlegt. Das Werk ist zum Teil autobiografisch, hat doch Szymanowski sein Leben lang unter gesellschaftlichen und religiösen Konventionen gelitten, sich dagegen gesträubt. Das Berner Symphonieorchester unter der Leitung des Australiers Matthew Toogood interpretiert die Komposition Szymanowskis mit viel Empathie und herausragender Musikalität.

Chorsingen hat in Polen, ganz allgemein in osteuropäischen Staaten eine lange Tradition. Der Chor spielt in Krol Roger eine wesentliche Rolle, ist er doch verantwortlich für den Fortgang der Handlung und ist als roter Faden ein wichtiger Teil der Dramaturgie.Der Chor Konzerttheater Bern, zusammen mit dem Kinderchor Singschule Köniz löst diese Aufgabe, welche auch schauspielerisches Können verlangte, mit Bravour. Einstudiert wurden die umfangreichen Chorpartien vom Berner Chorleiter Zsolt Czetner.

Für den Zuschauer, die Zuschauerin stellt sich bei KROL ROGER die Frage, wer der Hauptdarsteller ist. Ist es der König? Oder ist es der Hirte? Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Beide Figuren sind Hauptdarsteller: Protagonist ist König Roger und sein Antagonist, sein Gegenspieler ist bis zur Bekehrung Rogers der Hirte! Es ist aber auch die Umkehrung möglich. Dies ist die Freiheit der Regie, eine Freiheit welche auch in der Oper Szymanowskis beschworen wird! Rogers Reise nach innen zeigt in Engels Regie wie der Konflikt der Suche nach sich selbst mit dem Druck, sich der Norm zu fügen, konfrontiert wird.

Dieser Konflikt setzt die Bereitschaft voraus, sich verzaubern zu lassen, Ambivalentes, Ungewöhnliches zu akzeptieren. Das gilt für Roger in Krol Roger, gilt aber auch für die Besucher und Besucherinnen des Musiktheaters, vom Schauspiels, im Leben ganz allgemein! Die Personenführung Ludger Engels ist hervorragend. Dabei muss man sich klar sein, dass bei einer Oper mit so vielfältigen Choreinsätzen genau diese Personenführung sehr hohe Ansprüche an die Spielleitung stellt. Dazu kommt, dass Engels Ansprüche an Körpersprache, Mimik und Gestik hoch, sehr hoch sind. Das ganze künstlerische Team auf der Bühne entspricht diesen Ansprüchen vorzüglich. Die Inszenierung in Bern ist zeitgemäss, den heutigen sozio-ökonomischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst und zeigt auch auf wo eventuelle Defizite vorhanden sind. All dies ohne Aufdringlichkeit, ohne Mahnfinger, so dass sich Zuschauerinnen und Zuschauer auch selber erkennen können.

Das Berner Ensemblemitglied Andris Cloete interpretiert die Rolle des Hirten sehr überzeugend. Er spielt die unterschiedlichen Facetten dieser Rolle mit einer Körpersprache und einer Mimik und Gestik, welche in dieser Qualität im Musiktheater nur selten bewundert werden können. Dazu kommt sein klarer Tenor, welcher auch die musikalische Interpretation der sehr anspruchsvollen Rolle des Hirten gerecht wird. Der Hirte ist ja einerseits Untertan Rogers, daher der Gerichtbarkeit des Königs unterworfen, andererseits ist er auch Führer einer revolutionären Bewegung, welche ebendiese Gerichtbarkeit, diesen patriarchalisch/absoluten Anspruch in Frage stellt, mit friedlichen Mitteln gewaltlos bekämpft.

Dasselbe gilt für seinen Gegenspieler König Roger: Die Interpretation des polnischen Baritons Mariusz Godlewski in seiner Zerrissenheit kann nicht genug gelobt werden. Vielleicht entspricht seine schauspielerische Leistung nicht ganz den westeuropäischen Ansprüchen, aber dies ist der Ausbildung in östlichen Regionen zuzuschreiben, welche traditionell den Schwerpunkt der Ausbildung auf das Singen legen. Trotzdem, sein Roger überzeugt von Anfang bis Ende!

Die Sopranistin Evgenia Grekova als Roksana brilliert mit überragender Intonation, klaren Höhen ohne Härte, ohne falsches Vibrato. Auch für ihre Mimik und Gestik, ihre Leistung als Schauspielerin gilt was ich bei Godlewski geschrieben habe.

Ich kann bei Sängerinnen und Sängern Diktion und Verständlichkeit nicht abschliessend beurteilen, klingt Polnisch für mich doch sehr fremd vor dem Ohr. Was ich hörte, war verständlich und klar. Ob dies auch für polnisch Sprechende zutrifft, weiss ich nicht.

In weiteren Rollen zu sehen und zu hören waren: Nazariy Sadivskyy als Edrisi, Young Kwon als Erzbischof und Sarah Mehnert in der Rolle der Diakonissin.

Die Bühne wurde von Ric Schachtebeck entworfen, die Kostüme zeichnete Heide Kastler. Für das Licht war Bernhard Bieri zuständig. Der Dramaturg Gerhard Herzfeld modernisierte das nahezu hundertjährige Libretto von Jaroslaw Iwaszkiewicz und Karol Szymanowski, so dass Ludger Engels eine zeitgemässe Sichtweise von Krol Roger auf der Berner Bühne inszenieren konnte.

Das zahlreich erschienene Premierenpublikum belohnte die reife Leistung des gesamten Teams mit dem wohlverdienten langanhaltenden Applaus.

Peter Heuberger, 2.12.2019

Bilder (c) Theater Bern