Vorstellung am 18.5.19
Konwitschnys Meisterinszenierung aus Bonn endlich auch in Linz
Der 1886 geborene Schweizer Komponist Othmar Schoeck gilt als einer der bedeutendsten Schweizer Liedkomponisten des 20. Jhd. und es war vor allem Dietrich Fischer-Dieskau, der sich zeitlebens für die Verbreitung seiner Lieder einsetzte. Sein insgesamt acht Werke umfassendes Opernschaffen ist heutzutage nahezu unbekannt. Neben Schoecks Venus, op. 32, erfreut sich seine Penthesiliea, op. 39, in den letzten Jahren einer steigenden Beliebtheit.
Die Opernhäuser wurden endlich wieder auf den völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Opernkomponisten Schoeck aufmerksam. Gemeinhin wurde sein musikalischer Stil als der Spätromantik verpflichtet etikettiert, aber das trifft auf seine einaktige Oper „Penthesilea“ nicht zu. Für diese Oper verfasste der Komponist selbst das Libretto, das weitgehend auf dem Drama von Heinrich von Kleist beruht, kürzte es drastisch und legte den Fokus auf die Kernszenen zwischen Achilles und Penthesilea, deren tragische Liebesaffäre darin gipfelt, dass die Amazonenkönigin ihren Widersacher und Bezwinger Achilles, den sie gleichzeitig liebt, gemeinsam mit ihren Hunden zerfleischen lässt… Trotz Verwendung eines großen spätromantischen Orchesters verzichtete Schock ganz auf den Einsatz von tutti-Violinen zu Gunsten von vier Soloviolinen, zehn Klarinetten in verschiedenen Höhenlagen, zwei Klavieren und einem stark erweiterten Schlagwerk samt einer Peitsche, wobei er den Einfluss von Alban Berg und Igor Strawinsky, bei aller Eigenständigkeit, nicht gänzlich verleugnen kann. Man könnte anders formuliert auch behaupten, dass diese Musik, die zwischen zwei Weltkriegen entstanden ist, die Greuel des einen widerspiegelt und jene des anderen vorwegnimmt und die Unmöglichkeit einer Liebe zwischen verfeindeten Völkern an Hand des Griechen Achilles und der Amazone Penthesilea programmatisch vor Augen führt. Uraufgeführt wurde die Oper dann 1927 an der Staatsoper in Dresden unter dem Dirigenten Hermann Ludwig Kutzschbach (1875-1938).
Das Landestheater Linz brachte seine Penthesilea in Koproduktion mit der Oper Bonn heraus. Für seine Inszenierung wurde Peter Konwitschny bereits zum vierten Mal als bester Regisseur des Jahres ausgezeichnet. Das Orchester wurde für diese Produktion im Hintergrund der Bühne positioniert. Die von lediglich zwei Klavieren geschmückte und in den Zuschauerraum vorgezogene Bühne symbolisiert einen Boxring, der an den drei Seiten von einigen Solisten und Choristen bevölkert wird. Die vierte Seite bildet der Zuschauerraum, in dessen Reihen einige Protagonistinnen sitzen und in das Geschehen einbezogen werden, sodass der Eindruck einer antiken Arena entsteht. Den weißen Bühnenraum und die heutigen Kostüme ersann Johannes Leiacker. Auf ihm stehen zwei Konzertflügel, die von Andrea Szewieczek und Elias Gillesberger bespielt werden. Gleichzeitig sollen sie auch die Berge Ida und Ossa darstellen, auf denen die Protagonisten herumklettern, Achilles einige Klimmzüge darunter vollführt und die während der Kriegswirren auch als Schutzräume fungieren. Die Oberpriesterin Vaida Raginskyté beobachtet und kommentiert kritisch das Geschehen auf der Bühne von ihrer Loge aus.
Für die grausamsten Szenen seines Dramas griff Kleist ja bekanntlich zum antiken Kunstgriff des „Botenberichtes“, also wird das grässliche Zerfleischen von Achill durch die Meute von Hunden und Penthesilea nur erzählt. Bühnenmagier Konwitschny aber greift hier zum Stilmittel der totalen Abstraktion, indem die Amazonenkönigin Achilles erschießt und danach sich selbst. Beide erheben sich nach einer kurzen Pause und Penthesilea erscheint etwas später wieder mit hochgestecktem Haar als Konzertsängerin gestylt mit der Partitur in der Hand. Achilles stellt ihr noch einen Notenständer auf. Durch diesen Kunstgriff kann sich Penthesilea von ihrer abscheulichen blutrünstigen Tat distanzieren, sie nimmt sich gleichsam aus der Geschichte heraus und rechtfertigt ihre Tat durch die Idee einer grenzenlosen, schrankenlosen Freiheit mit den berühmten Kleist‘schen Worten: „Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für das Andre greifen.“
Mit der Titelpartie wurde die deutsche Mezzosopranistin und Preisträgerin des Österreichischen Musiktheaterpreises Dshamilja Kaiser besetzt, die diese Rolle auch schon bei der Premiere in Bonn 2017 gesungen hat. Von Beginn an beherrscht sie mit ihrer ausdrucksstarken Stimme und enormen körperlichen Präsenz die Szene. Martin Achrainer tritt als blonder Widersacher Achilles zunächst in Siegerpose auf. Seinen äußeren Reizen ist die Amazonenkönigin nachvollziehbar verfallen. Mit seinem gut geführten Bariton bewältigt er sowohl die Mittellage als auch die herausfordernden Tiefen seines Parts mit Aplomb. Sein Liebesduett mit Penthesilea, das Schoeck erst später hinzugefügt hat, bildet den musikalischen Höhepunkt der knapp 90 minütigen Oper. Die übrige Besetzung sang und spielte mit Verve: Julia Borchert war eine berührende Amazonenfürstin Prothoe, ebenso Katherine Lerner als Meroe. Gotho Griesmeier gefiel als erste Priesterin. Unter den Solisten gibt es außer Achilles nur zwei weitere männliche Rollen: Matthäus Schmidlechner in der Rolle des Griechenkönigs Diomedes und Domen Fajfar als Hauptmann.
Das Bruckner Orchester Linz wurde von dem 1983 in Colombuthurai / Sri Lanka geborenen Dirigenten Leslie Suganandarajah, die meiste Zeit über mit dem Rücken zum Ensemble, dirigiert. Über mehrere Monitore erteilt er auf diese Weise seine präzisen Einsätze, was auch aus den vorderen Reihen des Zuschauerraumes sehr gut sichtbar war. Neben den gesprochenen bzw. stark rhythmisierten Passagen dominierten in Schoecks spannungsgeladener Musik auch zahlreiche Rezitative. In der ersten Reihe saß auch Souffleuse Ioana Calomfirescu, die für den textlich reibungslosen Ablauf dieses höchst erfreulichen Abends sorgte. Der Chor und der Extrachor des Landestheaters Linz waren von Elena Pierini und Martin Zeller bestens einstudiert. Obwohl das Landestheater nur zu etwa 2/3 besetzt war, fand die Vorstellung beim Publikum ihren uneingeschränkten Zuspruch. Alle Mitwirkenden wurden zu Recht mit begeistertem Beifall für ihre Leistungen bedankt. Ein Besuch dieser Opernrarität kann nur empfohlen werden!
Harald Lacina, 19.5.2019
Fotocopyright: Reinhard Winkler