am 25.2.2018
DANIEL FRANCOIS ESPRIT AUBER
Das Leichte hat es schwer – und nicht nur in deutschen Landen. Die Operette siecht schon seit Jahrzehnten und scheint sich erst in den letzten Jahren zu erholen. Die „komische“ Oper aber stirbt vor sich hin, ungeachtet einiger unverwüstlicher Exemplare von Rossini, Donizetti oder Albert Lortzing, und in der zeitgenössischen Oper hat die Komödie einen schweren Stand, wenn sie sich nicht gerade in Surreales oder Groteskerie auflöst. Schlechte Zeiten für Komponisten wie Daniel François Esprit Auber.
Auber, ein eingefleischter, jeder Reise abholder Pariser, ist mit seinen rund 70 Opern einer der erfolgreichsten europäischen Komponisten des 19. Jahrhunderts gewesen. Sein dritter Vorname ist Programm: Spritzige, rhythmisch delikate Musik, federleicht hingeworfene Melodik, stets angenehm den Ohren in gefällig-fassliche Harmonik gefasst. Die Sujets, nicht provokant, aber nicht selten frivol, bedienen den bürgerlichen Geschmack der Epochen, die Auber durchlebt hat: Geboren ist er noch vor der französischen Revolution, gestorben mitten im deutsch-französischen Krieg 1871. Wahrhaftig eine Jahrhundertfigur …
… von der man allerdings kaum etwas weiß. Gehörte seine hinreißende Gaunerkomödie „Fra Diavolo“ früher zum eisernen Repertoire, darf man heute froh sein, dem Titel alle paar Jahre mal in einem kleinen Theater zu begegnen, wo noch ein alter Unterhaltungstheater-Haudegen sich seiner erinnert hat. Von anderen einstigen Erfolgen ganz zu schweigen: „Der schwarze Domino“ etwa, der es allein in Paris zwischen 1837 und 1909 auf 1200 Vorstellungen gebracht hat und auch in Österreich und Deutschland weit verbreitet gespielt wurde, ist völlig verschwunden. Seit der Ausgrabung des Stücks 2003 in Venedig dürfte es keine weitere Inszenierung gegeben haben.
In Frankreich wurde das eigene musikalische Erbe lange nachlässig gepflegt; das hat sich gewandelt. So nimmt man gerne die Gelegenheit wahr, im belgischen Liège Aubers einst berühmtes Werk zu erkunden: „Le Domino noir“ steht, nach 180 Jahren, wieder auf dem Spielplan der Opéra Royal de Wallonie. Eine Aufführung, die den Reiz, aber auch die Problematik dieser entzückenden, aber stark epochengebundenen Musik deutlich macht.
Das Regieteam Valérie Lesort und Christian Hecq hat sich in der Koproduktion mit der Opéra comique in Paris für eine fantasievoll gesteigerte Erzählweise entschieden. Eine riesige Uhr setzt auf der Bühne Laurent Peduzzis die Zeit präsent, die in Eugène Scribes verwickeltem Stoff eine maßgebliche Rolle spielt. Da geht die designierte Äbtissin eines Klosters auf einen Maskenball am Weihnachtsabend, verkleidet als jener „schwarze Domino“, der dem Stück den Titel gibt. Sie verpasst den rechtzeitigen Aufbruch und kommt – nach Mitternacht – nicht mehr ins Kloster zurück. Verwechseln, Vertauschen, Vertuschen, Verkleiden: Das Personal der Oper wird ganz nach Art der Intrigen-Komödien Scribes durcheinandergewirbelt, bis am Ende ein Brief der Königin alle Malaisen wohlgefällig auflöst.
Die Probleme liegen auf der Hand: Was Anno 1837 als pikant und frivol empfunden wurde, wirkt heute oft kraftlos und schal. Um das Stück als dramatisches Kunstwerk zu retten, genügt es nicht, wie Kostümbildnerin Vanessa Sannino eine Galerie wunderlich übertriebener Roben zu schaffen und den Domino durch ein ästhetisch raffiniertes Schwarzer-Schwan-Kostüm zu ersetzen. Auch nicht, wie im kargen Kirchenraum des dritten Aktes, Wandskulpturen lebendig werden zu lassen. Das sind szenische Effekte, die illustrieren mögen, aber nichts erklären. Der geistige Hintergrund, der vor 200 Jahren noch präsent war, zieht sich so in den Nebel unerklärlicher Umstände zurück und verliert seinen Belang.
Eine weitere Schwierigkeit bei Auber – und anderen seiner damaligen Kollegen auch – ist der hohe Wortanteil ihrer Opern. „Le Domino Noir“ mutiert zeitweise zur Sprech-Komödie mit rasanten Wortwechseln, deren Details aber zum Verständnis des Stücks unerlässlich sind. Liège hat eine Riege wortgewandter, wenn auch gnadenlos outrierender französischer Sänger zur Verfügung – aber man möchte sich nicht vorstellen, wie ein solches Stück von einem internationalen Ensemble realisiert würde.
Während also, was Wort uns Szene betrifft, einfallsreiche Bearbeiter und Regisseure gefragt wären, ruft die Musik förmlich nach Wiederbelebung. Was aus dem Graben kommt, ist jeder Mühe wert: Auber ist ein Meister des Rhythmus, der lichtvollen Instrumentierung, der koketten Melodie, der pikanten Camouflage von Gefühlen, der Balance von Sentiment und Komik. Ein Virtuose des Leichten, der Geschmack nie an Wirkung verrät. Obwohl Patrick Davin die eher mit italienischem Schmelz und entsprechend saftigem Ton an Auber herangehenden Musiker des Orchesters der Opéra Royal de Wallonie immer wieder zu bändigen versucht, könnte vieles filigraner federn, ließen sich die Finessen der Melodik und der Instrumentation feiner ausmodellieren. Aber auch für frankophone Musiker klingt opéra comique ja mittlerweile in einer Fremdsprache, die erst wieder aktiviert werden will. Und was Schwung, rhythmische Anmut und dramatische Befeuerung betrifft, sorgen Davin und das Orchester durchaus für einen reizvollen Nachmittag.
Selbiges lässt sich von den Sängern sagen: Sie überzeugen nicht so sehr als Darsteller, weil sie die Regie statt zu nuancen- und beziehungsreichem Spiel zu Bauernkomödien-Drastik drängt. Aber stimmlich entzückt Anne-Catherine Gillet als „schwarzer Domino“ Angèle in ihren koloraturenreich ornamentierten Arien ebenso wie ihre Begleiterin Brigitte, Antoinette Dennefeld. Marie Lenormand darf als Haushälterin Jacinthe mit enormem Umfang Brust und Bauch als Klischee einsetzen, damit ihre komische Rolle noch komischer werde – gelacht haben die Zuschauer trotzdem nur spärlich. Sylvia Bergé bringt als Ursula einen herben Ton ins Stück: Die Konkurrentin Angèles, die gerne selbst zur Äbtissin aufsteigen würde, ist die „böse“ Intrigantin, die dem dritten Akt noch einmal eine neue Farbe gibt.
In der Herrenriege gibt es zwei Rollen, die einen Charakterkomödianten fordern: Der trottelige Hausmeister des Kloster – wie viel eleganter klingt das französische „concierge“ – und der Engländer vom Dienst, Lord Elfort. Beiden gewinnen Laurent Kubla und Laurent Montel nicht viel mehr als polternd überzogene Drastik ab. Stimmlich sehr elegant dagegen Cyrille Dubois als Liebhaber Horace de Massarena. Und auch François Rougier als sein Gefährte Juliano lässt sich nicht auf vokale Grobheiten ein. Der heimliche Star der Szene war ein Spanferkel, das sich – zum Tranchieren auf der Tafel hergerichtet – plötzlich sehr lebendig in die Handlung einmischt; der Muppets-Effekt wirkt eben zuverlässig. Liège bot einen Nachmittag, bei dem getrost „die Vernunft in ihrem Bette schläft“: für knappe drei Stunden einmal ein willkommener Zustand. Auber freilich harrt weiter darauf, unserer Zeit zurückgegeben zu werden.
Bilder (c) Lorraine Wauters
Werner Häußner 9.3.2018
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