Teatro alla Scala 6. und 13.7.20
Als neuer Scala-Intendant hat Dominique Meyer dieselbe Formel angewandt wie in Wien, nämlich Solistenkonzerte vor dem Eisernen Vorhang. Allerdings wurden ihm immerhin 600 Zuhörer zugestanden, die in dem ein Publikum von rund 1800 Personen aufnehmenden Haus einzeln in den Logen, im Parkett und auf der 1. Galerie verteilt wurden, wobei im gemeinsamen Haushalt lebende Menschen nicht getrennt wurden.
Diese „Minieröffnung“ war schon lange herbeigesehnt worden, und man schickte sich willig in durch Seile angezeigte obligate Gehwege und Personal mit Plexiglasvisier über der Maske und auch darein, dass man den Mundnasenschutz auch während der Vorstellung nicht abnehmen durfte. Meyer begrüßte die Gäste und musste gleich mitteilen, dass es einen Ausfall gab: Luca Salsi s Stimme war am Nachmittag plötzlich weg, und man hatte als Ersatz Simone Piazzola herbeigerufen, der zum Zeitpunkt der Ansage, aus Verona kommend, noch im Auto saß. Da Bürgermeister Sala dankenswerterweise seine Ansprache kurz hielt, konnte recht bald mit dem künstlerischen Programm begonnen werden.
Beatrice Rana, die Salsi bei Liszts Petrarcasonetten begleiten hätte sollen, spielte auswendig und überaus inspiriert Ravels La Valse und bewies, dass sie eine international anerkannte Konzertpianistin ist. Zu ihr gesellte sich dann Mischa Maisky, und die beiden interpretierten mit schönem kammermusikalischem aufeinander Horchen die Sonate n. 1 in e-Moll op. 38 von Johannes Brahms. Maisky kehrte in geändertem, dramatischen Outfit, das an einen alttestamentarischen Propheten denken ließ, zurück und spielte mit dem wunderbar dunklen Timbre seines Cellos Bachs 1. Suite für Solocello BWV 1007.
Danach erschien Piazzola und sang „Nemico della patria“ (Chénier) und Posas Tod, wobei er von Rana exzellent begleitet wurde. Für Rigolettos „Cortigiani“ gesellte sich auch Maisky zur Begleitung, und nicht viele Sänger werden sagen können, dass sie von solchen Ausnahmekünstlern begleitet wurden! Als Zugabe sang Piazzola „Di Provenza“ (Traviata) – seine Stimme schien mir etwas heller geworden zu sein, aber die Akustik in einem nur zu einem Drittel gefüllten Haus und mein Sitz in Parterreloge 3 direkt über dem Podium können mich in die Irre geführt haben.
Zum Abschluss spielten anlässlich des Ablebens von Ennio Morricone am selben Tag Rana/Maisky dessen wunderschönes Thema aus dem Film „Nuovo Cinema Paradiso“.
Das Konzert vom 13.7. lief unter dem Titel „Nuove voci alla Scala“, also „Neue Stimmen“. Unter den sieben auftretenden Künstlern waren allerdings zwei, die an der Scala oft und erfolgreich gesungen haben: Irina Lungu erwies sich bei den Damen als überaus professionelle Künstlerin, die Massenets Manon mit einem sicheren „Je marche sur tous les chemins“ verkörperte und dann eine anrührende Mimì war. Fabio Capitanucci hat aus persönlichen Gründen eine längere Durststrecke hinter sich, zeigte sich mit Figaros „Non più andrai“ in guter Form und wandelte mit Don Magnificos „I miei rampolli femminili“ auf neuen Buffospuren.
Nun zu den für die Scala wirklich neuen Stimmen. Enttäuschend war der Tenor Raffaele Abete, der McDuffs „Ah la paterna mano“ bei passabler Höhe mit nasal klingenden Organ wiedergab und in Rodolfos „Gelida manina“ Ausdruck und Phrasierungskunst vermissen ließ. Jongmin Park brauche ich dem Wiener Publikum nicht vorzustellen. Er sang Filippos „Ella giammai m’amò“ mit dem gebotenen Ausdruck und Don Basilios „Calunnia“ mit viel Verve, aber irgendetwas fehlt dieser wunderschönen, authentischen Bassstimme noch, um wirklich mitzureißen. Auch Szilvia Vörös ist dem Wiener Publikum bekannt. Mit ihrem soliden Mezzo sang sie trotz nicht immer perfekt angebundener Höhen mit „O don fatale“ und „Acerba voluttà“ eine gute Eboli bzw. Principessa di Bouillon. Auch Federica Guida wurde von Dominique Meyer kurz nach Wien gebracht. Sie sang eine weiter nicht aufregende „Der Hölle Rache“ und war in Juliettes „Je veux vivre“ sicher, aber als Interpretin uninteressant. Einen wirklich interessanten Sopran ließ hingegen die noch an der Accademia della Scala studierende Caterina Maria Sala hören, die mit lyrisch voller, silbrig timbrierter Stimme „Ruhe sanft, mein holdes Leben“ aus Mozarts „Zaide“ (mit viel Luft nach oben hinsichtlich sprachlicher Verbesserung) und Laurettas „Mio babbino caro“ sang. Ihre Übertreibungen bei der Entgegennahme des Applauses sind hoffentlich ihrer Jugend und Unerfahrenheit geschuldet.
Nach den Arien von Rodolfo und Mimì beendeten Lungu und Abete den offiziellen Teil des Abends mit „O soave fanciulla“. Als Zugabe folgte das den 3. Akt von „Bohème“ beschließende Quartett mit Lungu/Abete/Guida/Capitanucci. Michele Gamba war ein gut auf die Sänger reagierender Begleiter am Klavier. Vergleiche mit Rana wären ungerecht.
Das Akustikproblem in einem nur zu einem Drittel gefüllten Saal bestätigt sich meiner Meinung nach. Man wird sehen, wie Aufführungen mit reduzierter Orchesterbesetzung klingen werden. In jedem Fall war es gut, dass die Scala ein Lebenszeichen gegeben hat.
Eva Pleus 17.7.20