Aufführung am 22.11.18 (Uraufführung am 15.11.)
Bedeutendes Ereignis
Als Alexander Pereira noch Intendant in Zürich war, war er schon an György Kurtág herangetreten, um den damals über 85-Jährigen zu überreden, seine erste Oper zu schreiben. Als Pereira dann in Mailand antrat, gelang es ihm tatsächlich, einen der wenigen großen Komponisten zeitgenössischer Musik von seinem Plan zu überzeugen. Seit damals hoffte man jährlich auf eine Uraufführung, aber erst 2017 war die 2010 begonnene Partitur fertiggestellt und konnte das Werk auf der Bühne der Scala (in Koproduktion mit der Holländischen Nationaloper Amsterdam) präsentiert werden, wobei es ganze Bataillone internationaler Fachjournalisten anzog.
Der mittlerweile 92-jährige ungarische Komponist hatte sich immer wieder mit Texten von Samuel Beckett beschäftigt und auch „…pas à pas – nulle part…“ (für Bariton, Streichertrio und Schlagwerk), des irischen Autors vertont und „Samuel Beckett: What is the world“ (für Sopran und Klavier bzw. später nochmals für Alt, 5 Stimmen und Ensemble) geschrieben. Becketts „Endspiel“ und „Warten auf Godot“ betrachtete er gewissermaßen als seine Bibel, und ihm wurde klar, dass er das Wagnis der Komposition einer Oper nur mit einem solchen Text eingehen konnte, wobei die Wahl eben auf „Endspiel“ fiel. Mit dem Titel ist bekanntlich eine Situation beim Schachspielen gemeint, in der die Entscheidung schon gefallen ist, einer der Spieler aber immer noch (und vergeblich) versucht, die Lage zu seinen Gunsten zu verändern.
Die aussichtslose Lage des blinden, an den Rollstuhl gefesselten Hamm und seines von ihm tyrannisierten Dieners Clov wurde wörtlich in den Text dieser Scènes et monologues, opéra en un acte übernommen, wobei natürlich Striche erfolgen mussten. (Im Programmheft meint ein Autor, Kurtág habe rund die Hälfte der Monologtexte übernommen, ein anderer spricht von nur 25%). Es kann jedenfalls festgestellt werden, dass der Komponist Nagg und Nell, Hamms in einer Abfalltonne vegetierenden Eltern, größeren Raum zugestanden hat, als ihnen in Becketts Stück eingeräumt wird. Die beiden erinnern ein wenig an Ovids Philemon und Baucis, was an Kurtág selbst und seine Frau Márta denken lässt, war die Pianistin und Gefährtin seines langen Lebens doch immer in die Entstehung seiner Werke eingebunden.
Die Figuren dieser zwei beinamputierten Personen haben denn auch die sanfteste, geradezu träumerische Musik zu singen. Das ganze Werk ist aber von unmittelbarer Expressivität gekennzeichnet, denn der Komponist bedient sich zwar einer großen Orchesterbesetzung unter Verwendung auch unüblicher Instrumente wie Zimbal und Bajan, doch werden sie selten zu einem gemeinsamen Klang gebündelt. Dadurch entsteht fast durchgehend eine quasi kammermusikalische Wirkung, die immer wieder an Debussy, aber auch an Kurtágs Lehrer Messiaen und den von ihm verehrten Webern erinnert. Die Musik schmiegt sich dem französischen Text auf das Genaueste an. Schien es mir vor dem Besuch der Oper fast unmöglich, dass Becketts illusionslose Sicht auf die Welt durch Musik noch verstärkt werden könne, so muss ich dies nun zweifelsfrei bejahen: Die 130 Minuten Musik führen den Hörer noch tiefer in die Abgründe von Becketts Reflexionen über die Nutzlosigkeit des menschlichen Lebens. Mit einem Wort: Ein Meisterwerk des greisen Komponisten! Ich stehe nicht an, es in einem Atemzug mit Bergs „Wozzeck“ zu nennen, auch wenn nach dem 2. und 3. Zwischenvorhang starke Besucherabwanderungen stattfanden.
Allerdings ist auch die Inszenierung von Pierre Audi ein ebensolches Meisterwerk. Der Regisseur war 30 Jahre lang künstlerischer Leiter der Nationaloper in Amsterdam und hat vor seinem Rücktritt im August dieses Jahres in seiner großen Bewunderung für Kurtág diese Koproduktion noch auf Schiene gebracht. Das in Grau gehaltene Bühnenbild von Christoph Hetzer zeigte die Hütte, in die Clov sich zurückzieht, wenn er nicht gebraucht wird, wobei die Wahl dieser auf der Bühne nicht allzu gern gesehenen (weil viel zu häufig grundlos anzutreffenden) Farbe diesmal durchaus gerechtfertigt war, weil sie u.a. durch die Beleuchtung von Urs Schönebaum besonders gut zur Geltung kam. Durch Rotation war die Hütte aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. Hetzers Kostüme entsprachen im Lumpenlook den Vorgaben. Die musikalische Erarbeitung fand wegen Kurtágs schlechtem Gesundheitszustand in seinem heimatlichen Budapest statt, die szenische in Amsterdam. (Der Komponist konnte auch nicht bei der Uraufführung anwesend sein, wurde aber von seinem Sohn György jr. vertreten; mit Andrew war auch ein Neffe Becketts anwesend, und auch der nicht gerade für seine Affinität zur Kunst bekannte Viktor Orbán gab seinem Landsmann die Ehre).
Großartig die musikalische Umsetzung, die in den Händen des in der Moderne und der zeitgenössischen Produktion besonders bewanderten Markus Stenz lag und vom Orchester des Hauses großen und offenbar gern offerierten Einsatz verlangte. Darstellerisch sind alle Interpreten in den höchsten Tönen zu loben: Der arrogante, von inneren Zweifeln geschüttelte Hamm des Frode Olsen, dem es auch im Rollstuhl sitzend gelang, sich körpersprachlich auszudrücken, der zappelnde, zitternde, so unterwürfige wie aufbegehrende Clov des Leigh Melrose, die in fast kindlicher Naivität in die sie umgebende Welt blickenden Nagg und Nell in der Gestalt von Leonardo Cortellazzi und Hilary Summers. Die beiden letztgenannten gefielen auch stimmlich, Cortellazzi mit differenziert eingesetztem Tenor, Summers (die auch den Prolog, die Vertonung von Becketts „Roundelay“, zu singen hatte), mit weichem, verträumt klingendem Alt. Dazu der auch in grellen Höhen geschickt geführte Bariton von Melrose. Olsen wird im Programmheft zwar als Bass vorgestellt, blieb aber in seiner für Bassbariton geschriebenen Rolle in den Tiefen oft unhörbar, was ich nur der Vollständigkeit halber erwähne.
Es ist nicht nur zu hoffen, sondern auch anzunehmen, dass die Oper auch in Zukunft Erfolg haben wird.
Eva Pleus 27.11.18
Bilder (c)
Ruth Walz (Bühnenfotos), Balint Hrotko / Budapest Music Centre (Ehepaar Kurtág)