Aufführung am 27.6.18 (Premiere am 5.6.)
Schön altmodisch!
Diese Produktion von Franz Schuberts „heroisch-romantischer Oper“ (die für die Scala natürlich eine Erstaufführung war) war die von Peter Stein 2014 für Salzburg erarbeitete. Ich erinnere mich, dass die Kritiken damals nicht sehr positiv für die Arbeit des Altmeisters ausgefallen waren, was sich auch in Mailand wiederholte. Nun frage ich mich, wie anders als traditionell man dieses sprachlich und dramaturgisch verunglückte Libretto von Josef Kupelwieser mit seiner wunderbaren Musik in Szene setzen kann bzw. (angesichts heutiger Regieuntaten) soll. Das Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer setzt in Schattierungen von Schwarz-Grau ganz auf den Effekt gemalter Prospekte, und die Kostüme von Anna Maria Heinreich nehmen diese Farbkombinationen in eleganter Weise auf. (Dass mittelalterliche Kettenhemden nicht für alle Sängerfiguren geeignet sind, steht auf einem anderen Blatt).
Dass eine Szene immer dann, wenn sie sich in einer „normalen“ Oper dramatisch zuspitzen würde, abbricht und durch die nächste ersetzt wird, ist ein Hemmschuh für die Regie. Dennoch gelingt es Stein, immer wieder Spannung zu schaffen, obwohl er die Szenenanweisungen sehr genau nimmt. So ist zum Beispiel die Szene, in der die eingekerkerten Ritter nacheinander zum einzigen Fenster eilen, um die Lage zu beobachten, richtig aufregend geraten. Außerdem werden in Steins Operninszenierungen allfällige Dialoge besonders gut gesprochen, klingen natürlich und haben nichts von hohlem Sängerpathos an sich. Das kann auch hier gesagt werden, obwohl die Wiederaufnahme von Bettina Geyer und Marco Monzini betreut wurde. Wenn es gelingt, die unsäglichen Gesangstexte, die einzig und allein Kupelwieser anzulasten sind, auszublenden, sieht man sich einer visuell durchaus erfreulichen Produktion gegenüber.
Die musikalische Seite fand in Daniel Harding, bekanntlich Adept von Claudio Abbado, der die erste komplette szenische Fassung bei den Wiener Festwochen 1988 im Theater an der Wien herausbrachte (als die Festwochen ihrer Bezeichnung noch würdig waren), mit dem Orchester der Scala einen großartigen Interpreten. Hatte er die eher lyrischen Stellen des 1. Aktes liebevoll herausgearbeitet, zeigte er im 2. und 3. Akt sehr deutlich, dass Schubert auch sehr dramatische Musik zu schreiben verstand. Nach Harding als Motor der Aufführung ist wieder einmal der Chor des Hauses unter Bruno Casoni zu nennen, dem hier eine umfangreiche Aufgabe zufällt, und der als Ritter wie als Mauren oder weibliches Gefolge brillant reüssierte.
Nicht ganz so zufrieden konnte man mit der Sängerbesetzung sein, obwohl es mehrere gute Leistungen gab. Hervorzuheben ist Dorothea Röschmann in der hochdramatischen Rolle der Florinda, Tochter des Maurenfürsten Boland, die den christlichen Ritter Roland liebt und ihn vor der Hinrichtung schützen will.
Röschmann stürzte sich mit Verve in ihre Aufgabe und setzte ihrer Leistung mit der Interpretation des großen Melodrams „Schützt ihn, Ihr ewigen Mächte“ einen besonderen Glanzpunkt auf. Sehr schön auf Linie sang Markus Werba diesen Roland mit gleichmäßig durchgebildetem Bariton und lebhaftem, intensivem Spiel. Der schön timbrierte Tenor von Peter Sonn, der den Ritter Eginhard verkörperte, welcher Emma, die Tochter Karls des Großen, zu lieben wagt, stieß in der dramatischen Attacke an seine Grenzen. Emma, die Eginhards Liebe erwidert, wurde von Anett Fritsch mit guter Bühnenfigur gesungen. Ihr nicht sehr voluminöser Sopran besitzt ein interessantes, zartes Timbre, aber der Registerwechsel scheint nicht gut zu funktionieren, denn die Höhen werden herausgeschleudert. Enttäuschend war für mich die Leistung des immer wieder hochgelobten Bernard Richter in der Titelrolle (auch Fierrabras ist Bolands Sohn und damit Florindas Bruder), die allerdings keine echte Hauptrolle ist. Sein Tenor klang schmal und quäkend – vielleicht war das Haus einfach zu groß für seine stimmlichen Mittel.
Nicht auf Scala-Niveau war Sebastian Pilgrim, der Karl den Großen mit verquollenem Bass und mangelnder Tiefe sang (die ersten Vorstellungen waren von Tomasz Konieczny gesungen worden). Lauri Vasar (Boland) setzte seinen Bassbariton der Rolle gemäß eher rauh ein. Als Maragond, Vertraute der Florinda, ergänzte Marie-Claude Chappuis professionell, während die Chorsolistin Alla Samokhotova (Eine Jungfrau) mit ihrem Liedchen eher zaghaft klang. In Kleinstrollen ergänzten Gustavo Castillo (Bariton) und Martin Piskorski (Tenor).
Die Reihen des nicht ausverkauften Hauses lichteten sich in der zweiten Pause beträchtlich. Die Verbliebenen feierten vor allem Harding und schenkten Röschmann ein paar „Brava“.
Eva Pleus 29.6.18
Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala