Mönchengladbach: „Orpheus in der Unterwelt“

Premiere: 15.06.2019, besuchte Vorstellung: 20.06.2019

Göttlicher Spaß am Niederrhein

In den beiden vergangenen Spielzeiten konnte man am Gemeinschaftstheater Krefeld – Mönchengladbach bereits die Oper „Orpheus und Eurydike“ von Christoph Willibald Gluck erleben. Anlässlich des großen Offenbachjahres liegt es da nahe, dass in dieser Spielzeit die Operette „Orpheus in der Unterwelt“ nachgeschoben wird. Was könnte also am 20. Juni 2019, auf den Tag genau der 200. Geburtstag von Jacques Offenbach, passender sein, als sich diesem Stück Musiktheater zu widmen. Und da auch die Premiere von „Orpheus und Eurydike“ am Theater Mönchengladbach vor zwei Jahren genau auf Fronleichnam fiel, schließt sich der Kreis somit doppelt.

Kurz zur Geschichte: Orpheus und Eurydike haben sich nach einigen Ehejahren nicht mehr viel zu sagen, er betrügt seine Frau mit der Nymphe Chloé und auch Eurydike hat eine Affäre neben der Ehe. Allerdings weiß sie nicht, dass ihr Geliebter in Wirklichkeit Pluto ist, Herrscher der Unterwelt. Nachdem Pluto Eurydike in die Unterwelt entführt hat, freut sich Orpheus darüber und will es gleich seiner Geliebten erzählen. Doch da tritt die personifizierte öffentliche Meinung auf dem Plan, die ihn dazu auffordert im Olymp vor dem obersten Gott Jupiter vorzusprechen und seine Gattin zurückzufordern. Doch auch im Olymp geht es bunt daher und auf Grund der allgemeinen Langeweile beschließen die Götter gemeinsam in der Unterwelt nach dem Rechten zu sehen. Jupiter, selber kein Gott von Traurigkeit verliebt sich in Eurydike und will mit ihr fliehen, doch der Plan scheitert. Nun ist es Pluto, der Jupiter an sein Versprechen erinnert, Orpheus seine Gattin zurückzubringen. Daraufhin stellt Jupiter die Bedingung, dass Orpheus sich beim Verlassen der Unterwelt nicht umblicken dürfe, sonst sei seine Frau für ihn für immer fort. Wiederwillig beugt sich Orpheus der Aufgabe und während die öffentliche Meinung bereits die Wiedervereinigung der Eheleute feiert, hat Jupiter noch ein Ass im Ärmel und sorgt für eine ganz andere Wiedervereinigung.

Neben der eigentlichen Geschichte legte Offenbach seinerzeit bereits besonderen Wert auf die Doppeldeutigkeit der Personen, die sich durchaus gesellschaftskritisch auf das Pariser Leben Mitte des 19. Jahrhunderts übertragen ließen. Diese Ebene verlegt Hinrich Horstkotte geschickt in die DDR, wobei die Unterwelt zu einem Etablissement in Westberlin wird. Hierzu sei jedem interessierten Besucher angeraten, sich die durchaus unterhaltsame Kurzerklärung des Regisseurs auf dem YouTube-Kanal des Theaters anzusehen. Zwar versteht man auch ohne diesen Hintergrund alles sehr gut, mit dem Wissen aus diesem rund vierminütigen Video macht der Theaterbesuch aber noch mehr Spaß. Und Spaß wird an diesem Abend besonders großgeschrieben. Die Inszenierung ist ein Quell an kreativen Ideen, angefangen bei der öffentlichen Meinung in Form einer sehr bekannten Bundeskanzlerin über die Kostüme, die ebenfalls von Hinrich Horstkotte entworfen wurden, bis hin zum wunderbar zusammengestellten Götterolymp. Hier weiß man gar nicht wohin man zuerst schauen soll. Eine Warnung allerdings vorab, durch die Übertragung des Stoffes sind diverse Textänderungen von Nöten, die bis in die Liedtexte hineinreichen, dies ist nicht jedermanns Geschmack. Wer sich hierauf aber einlässt, erlebt einen charmant, witzigen Theaterabend, den das Publikum am Ende mit großem Applaus feierte. Das passende Bühnenbild stammt von Martin Dolnik

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Ein Paradestück ist „Orpheus in der Unterwelt“ auch für das Ensemble, dass alle Rollen wieder mit großer Spielfreude besetzt. Sei es David Esteban als Orpheus, der in der besuchten Vorstellung leider krankheitsbedingt nicht sein ganzes Können zeigen konnte oder Sophie Witte als seine Ehefrau Eurydike, die neben ihrem klaren Sopran auch den ostdeutschen Dialekt tadellos beherrscht. Ebenso übrigens Generalintendant Michael Grosse als John Styx in Form eines inzwischen vergessenen Stars aus dem DDR-Fernsehen. Als Aristeus bzw. Gott der Unterwelt steht Markus Heinrich in bewährter Qualität auf der Bühne. Highlight des Abends sind aber wohl Göttervater Jupiter, genauer gesagt Erich Jupiter als Vorsitzender des Zentralrates der Götter in Person von Hayk Deinyan und seine Gemahlin Juno, unschwer identifizierbar als Margot Honecker, die von Debra Hays ganz zauberhaft dargestellt wird. Auch die weiteren Rollen sind allesamt auf den Punkt besetzt mit Gabriela Kuhn (Öffentliche Meinung), James Park (Merkur), Janet Bartolova (Venus), Eva Maria Günschmann (Diana), Alexander Kalina (Mars) und Valerie Eickhoff (Cupido). Dazu gesellt sich der spielfreudige und gut einstudierte Theaterchor, ebenfalls in zahlreichen wunderbaren Kostümen. Mehrere große Auftritte hat auch das Ballett des Hauses in der Choreografie von Robert North, die nicht nur beim Cancan die Beine schwingen.

Unter dem Dirigat von Diego Martin-Etxebarria spielen die Niederrheinischen Sinfoniker mit schwungvoller Note in bester Operettenart. Sicherlich nicht immer einfach bei dieser Fülle von Umstellungen und Ergänzungen, die das Werk hier durch den Regisseur erfahren hat. Angefangen mit der sehr eigenwilligen Aufforderung die Handys auszuschalten über eine zusätzlich eingebaute Vorszene zum Thema moderne Deutungen von Operetten bis zu bereits erwähnten Textänderungen und Textergänzungen, Hinrich Horstkotte krempelt die Operette durchaus deutlich um. Eigentlich möchte man an dieser Stelle noch so viele Dinge zur Inszenierung erwähnen, die aber alle aus dem Zusammenhang gerissen wären. Von daher bleibt es dabei, wer mit dem gewählten Humor etwas anfangen kann, erlebt hier einen der kreativsten Theaterabende der letzten Monate, bei dem es unglaublich viel zu entdecken gibt und von dem an dieser Stelle absichtlich gar nicht zu viel verraten werden soll. Nur so viel vielleicht noch, auch Pittiplatsch wird in wichtiger Funktion in die Pläne der Götter integriert. Wie bereits erwähnt, spendete das Publikum im gut besuchten Theater großen Beifall. Zum Ende gab es dann noch nach Aufforderung des Generalintendanten ein großes musikalisches „Happy Birthday“ von Künstlern und Zuschauern zu Ehren von Jacques Offenbach, wobei in diesem besonderen Fall die Gäste an diesem Abend das Geburtstagsgeschenk erhielten.

Markus Lamers, 21.06.2019
Bilder: © Matthias Stutte