Premiere Mönchengladbach: 24.11.2018, besuchte Vorstellung: 02.12.2018
Schlag nach bei Shakespeare
Es gibt Abende, da beschleicht einen schon nach 30 Sekunden der Ouvertüre das Gefühl, dass dies ein ganz besonderer Opernabend werden könnte. Nachdem sich dann der Vorhang öffnet und das erste Bild erscheint, ist man sich fast sicher, dies werden heute drei schöne Stunden im Theater. Und so sollte es dann auch bei der besuchten Hamlet-Vorstellung am Niederrhein kommen, wo die selten gespielte Oper von Ambroise Thomas derzeit zu sehen ist. Bezüglich der bekannten Shakespeare-Vorlage wurden durch das Libretto von Michel Florentin Carré und Jules Paul Barbier einige Änderungen vorgenommen, die zum Teil auch bereits in einer früheren französischen Version so oder ähnlich zu finden sind. So überlebt Hamlet in der Oper und wird am Ende neuer König von Dänemark. Zudem wurde das komplexe Schauspiel von diversen Nebenhandlungen befreit, so dass sich die Oper vor allem um Hamlet und Ophelia dreht und die weibliche Hauptrolle hierdurch im Vergleich zur Literaturvorlage eine deutlich wichtigere Position erhält.
Eine weitere gravierende Änderung zum Schauspiel, der „Mord hinterm Vorhang“ an Polonius entfällt komplett, wodurch weitere personenbezogenen Änderungen notwendig werden, denn ohne Mord an ihrem Vater entfällt die Grundlage, warum Ophelia den Verstand verliert. Dies löst die Oper geschickt, da Ophelia nun an der nicht erwiderten Liebe Hamlets zerbricht. In Folge dessen ist auch der Konflikt zwischen Hamlet und Laertes deutlich abgemildert. So ziehen sich die kleinere und größere Änderungen durch die gesamte Oper, alles ist etwas weichgespülter und längst nicht so komplex wie im Schauspiel. Losgelöst betrachtet ergibt sich aber durchaus ein stimmiges Gesamtbild. Man sollte sich nur gedanklich etwas von bisher Gesehenem oder Gelesenem lösen. Eine weitere Änderung nimmt Helen Malkowsky (in vergangenen Jahren schon für „Mazeppa“ und „Stiffelio“ an diesem Theater vom Publikum gefeiert) in ihrer Regie vor. Der Geist von Hamlets Vater spiegelt sich zusätzlich in einem sehr präsent vertretenen Narren wieder, brillant Andrew Nolan in dieser Rolle, der am Gemeinschaftstheater leider immer wieder mit eher undankbaren Rollen vorliebnehmen muss.
Allgemein kann die Inszenierung dank kluger Personenführung und ideenreicher Bilder überzeugen, dies beginnt gleich mit einem leeren Thron an der Rückwand der Bühne, während sich das Volk darunter schlägt, um den neuen König zu bestimmen. Wie ein Wurm kriecht Claudius aus der Masse hervor, um die Herrschaft an sich zu reißen. Die Bühne von Hermann Feuchter ist meist schlicht gehalten mit einer schrägen Grundplatte, auf der gezielt kleinere Akzente gesetzt werden, zentrales Element hierbei sicherlich der Thronsessel. Die Kostüme von Susanne Hubrich vermitteln durchaus historisches Flair, wobei auch hier wie bei der Bühnengestaltung modernere Elemente zu finden sind. Besonders die verschiedene Farbgebung für einzelne Personengruppe gefällt hierbei.
Als Hamlet überzeugt Rafael Bruck mit starker Stimme, der zudem dem Wahnsinn immer wieder gefährlich nahekommt. Stichwort Wahnsinn, der 4. Akt gehört komplett Sophie Witte, die zum Teil vom gut einstudierten Opernchor unterstützt hier ihr ganzes Können offenbart. Eine eindringliche „Wahnsinns-Szene“ mit starkem Schauspiel und wunderbar klarem Sopran. Matthias Wippich gibt den König Claudius ebenso majestätisch wie Janet Bartolova die Gertrude. In kleineren Nebenrollen, auf Grund der zuvor erwähnten Kürzungen am Text, sind Hayk Déinyan (Polonius), Kairschan Scholdybajew (Marcellus), Alexander Kalina (Horatio) und Woongyi Lee (Laertes) zu erleben. Unter der Leitung von GMD Mihkel Kütson spielen die Niederrheinischen Sinfoniker erneut mit ganzer Pracht auf und schaffen einen Klangteppich aus Opulenz und Gefühl, der seinesgleichen sucht. Auch der bereits erwähnte Opernchor unter der Einstudierung von Michael Preiser soll an dieser Stelle nochmals ausdrücklich erwähnt werden, da er entscheidend am positiven Gesamtbild des Abends mitwirkt. Liebe Opernfreunde, mit Hamlet bietet das Theater Krefeld-Mönchengladbach erneut einen echten Leckerbissen im Spielplan an und wer ihn seinerzeit in Krefeld verpasst hat, sollte nun unbedingt einen Besuch in Mönchengladbach in Betracht ziehen.
Markus Lamers, 07.12.2018
Bilder: © Matthias Stutte