Mönchengladbach: „Margarethe (Faust)“, Charles Gounod

Lieber Opernfreund-Freund,

nach den umjubelten Aufführungen in Krefeld in der Spielzeit 2023/24 ist Charles Gounods Faust-Adaption heuer am Partnerhaus in Mönchengladbach zu sehen. Regisseur Anthony Pilavachi belässt zwar wie Gounod den Fokus auf dem Schicksal von Margarethe (daher dann auch der deutsche Titel des Werks), macht aber von Beginn an deutlich, dass Mephisto das Schicksal der Beteiligten lenkt – so dass die Oper nach seiner Lesart durchaus auch Méphistophélès heißen könnte.

© Matthias Stutte

Die Gretchentragödie aus Goethes Faust ist Dreh- und Angelpunkt des Werks. Nur ihr Wohl und Weh wird hier erzählt, die übrigen Abenteuer des gealterten Gelehrten Doktor Faust aus der literarischen Vorlage fallen unter den Tisch. Anthony Pilavachi macht in seiner düster-morbiden Regiearbeit anhand ihrer Geschichte das Schicksal eines so genannten gefallenen Mädchens in einer bigotten Gesellschaft mit teils drastischen Bildern deutlich, die auch Vergewaltigung und Fehlgeburt visualisieren – und doch geraten diese Schockmomente nie zum Selbstzweck, sondern machen betroffen. Schon im Prélude zeigt der auf Zypern geborene Regisseur, dass Mephisto die zweite Hauptfigur ist, nicht Faust: Er treibt das Schicksal voran, er dirigiert die Handlungen, ja sogar die Gefühle der Menschen. Um ihre Seele geht es ihm am Ende – doch kann er nur über Faust triumphieren. Margarethe verweigert sich dem teuflischen Zugriff bis zum Schluss.

Dass Faust und Mephistopheles zwei Facetten der gleiche Persönlichkeit sind, wird schon in deren Habitus deutlich: ihre Kostüme sind, wie fast alles, in Schwarz-Weiß gehalten; gleiches gilt für den Bühnenaufbau, der aus vier beweglichen Säulen besteht, die zum Teil mit zerbrochenen Spielen versehen sind (Bühne und Kostüme: Tatjana Ivschina). So öffnet und verengt Pilavachi den Raum immer wieder, schafft neue Perspektiven und es genügen ihm auch dank lebendiger Personenführung wenige Requisiten, um eine packende Inszenierung auf die Bühne zu bringen.

© Matthias Stutte

Dabei kann er sich auch auf exzellentes Sängerpersonal verlassen. Allen voran ist da Matthias Wippich zu nennen, der Méphistophélès des Abends. Mit durchdringendem Bassbariton schickt er diabolisch gefärbte Töne bis in den letzten Winkel des Mönchengladbacher Theaters und ist auch darstellerisch ein raffiniert-satanischer Geselle, der sich am Unheil, das er anrichtet, ergötzt. Der kraftvolle Tenor des Südkoreaners Woongyi Lee zeichnet sich in der Höhe durch eine feine Klarheit aus und ist deshalb wie gemacht für das französische Repertoire. Darüber hinaus überzeugt mich sein Faust mit exzellentem Spiel. Das packt mich auch bei Sophie Witte, deren nachgedunkelter Sopran mittlerweile schon fast eine Spur zu charaktervoll für die unschuldig-naive Margarethe des zweiten Aktes ist. Nach der Pause packt mich die anmutige Sängerin jedoch vollends mit intensivstem Spiel und farbenreichem Gesang als desillusionierte Version von Margarethe. Eine echte Entdeckung ist Jeconiah Retulla, der den Valentin mit geschmeidigem Bariton verkörpert. Dass der junge Sänger noch Mitglied im Opernstudio ist, ist kaum zu glauben, so überzeugend ist sein Spiel, so beeindruckend seine Bühnenpräsenz. Seine Opernstudio-Kollegin Bettina Schaeffer reüssiert in der Hosenrolle des Siébel nicht nur mit einer hinreißend vorgetragenen Romanze und Eva Maria Günschmann und Hayk Deinyan komplettieren das glänzend besetzte Solistenensemble, das komplett dem eigenen Haus entstammt.

© Matthias Stutte

Der Chor, von Michael Preiser betreut, bewältigt die umfangreiche Partie souverän und gefällt mir mit seiner ansteckenden Spielfreude, während GMD Mihkel Kütson der facettenreichen Partitur in allen Belangen gerecht wird: ein beinahe Wagner’sches Vorspiel, volksliedartige Melodien und endlose Melodiebögen Gounods vereinen sich unter seinem Dirigat zu einem wunderbaren Musiktheatererlebnis, das zeigt, zu welchen Ensembleleistungen auch kleinere Häuser im Stande sind, und das ich Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, auch in der Reprise wärmstens empfehlen kann.

Ihr
Jochen Rüth

3. Mai 2025


Margarethe (Faust)
Oper von Charles Gounod

Theater Mönchengladbach

Premiere: 22. Februar 2025
besuchte Vorstellung: 2. Mai 2025

Regie: Anthony Pilavachi
Musikalische Leitung: Mihkel Kütson
Niederrheinische Sinfoniker

weitere Vorstellungen: 8., 11. und 25. Mai 2025