Mönchengladbach: „Lohengrin“

Premiere: 20.01.2018

Absage an das Wunder

TRAILER

„Wunder oder fauler Zauber“? Wie geht man als Regisseur mit dem mythisch-mystischen Sujet von Wagners romantischer Oper um? Robert Lehmeyer gibt in seiner Inszenierung eine eindeutige Antwort. Im Programmheft drückt er es selbst so aus: „Die Utopie einer revolutionären, auf bedingungsloser Liebe beruhenden Gesellschaftsordnung jenseits der politisch-gesellschaftlichen Realität“ erweist sich im Verlauf (der Handlung) als „Albtraum“. Schon bei der Ouvertüre prallen zwei Welten unversöhnlich aufeinander. Da ist einmal die in einem mädchenhaften Blumenkleid gewandete Elsa mit ihrem Bruder Gottfried, dessen Haupt eine zu Elsas Kleid passende Blumenkrone schmückt. Sie guckt träumerisch und selig lächelnd in die Ferne und malt sich ihren Traumhelden aus, der im Hintergrund der Bühne mit Schwert und identischer Blumenkrone in seiner Nacktheit Elsas utopisches Bild des reinen Helden symbolisiert.

Auf der Bühne selbst, die Tom Musch als modernen Konferenzraum mit einem halbkreisförmigen Tisch und angedeuteten mittelalterlichen Burgzinnen gestaltet hat, schlummert eine autokratische Männergesellschaft in modernen geschäftsmäßigen Anzügen (Kostüme: Ingeborg Bernerth), die sofort nach ihrem Erwachen ihrem unheilvollen Geschäft nachgeht und den nächsten Krieg vorbereitet.
Dass Wagners „Lohengrin“ mit seinen deutschtümelnden, nationalistischen Akzenten mehr als verdächtig und deshalb auch politisch hochaktuell ist, weiß auch Lehmeyer in seinem Regiekonzept zu nutzen. Er selbst sieht sogar im Lohengrin die Idee des „Führerprinzips“ vorgegeben, die dann im 20. Jahrhundert in der Zeit des Nationalsozialismus so verhängnisvolle Auswirkungen haben sollte. Militärisches, chauvinistisches Denken greift bildhaft immer weiter um sich. König, Heerrufer und Gefolge treten im zweiten Aufzug in einer militärischen Einheitskluft in Form von Tarnanzügen auf. Elsas und Lohengrins Gang zum Altar findet in einer von Heldenkränzen geschmückten Halle statt, wobei die Mannen von Brabant in Kampfanzügen noch schnell in einer Art Massenhochzeit vor dem großen Sterben mit ihren Bräuten vermählt werden.

Im dritten Aufzug erscheinen diese Paare dann zu den romantischen Klängen des „Treulich geführt“ als lebendes Bild im Hintergrund der Bühne, wobei auch die Bräute in ihren weißen Hochzeitskleidern mit Maschinengewehren herumfuchteln. Und natürlich tritt auch der Knabe Gottfried als zukünftiger Herzog von Brabant nach dem Verschwinden Lohengrins in Kampfanzug und mit Maschinengewehr auf. Elsas utopisches Traumbild einer friedliebenden Gesellschaftsordnung, in der es „ein Glück, das ohne Reu“ gibt, ist endgültig ad absurdum geführt. Lohengrin selbst entkleidet sich der Attribute seiner utopischen Sendung, er gibt Schwert und Krone wieder zurück an den nackten Jüngling des Anfangs. Elsa und Lohengrin – sie sind in dieser Inszenierung „zwei Grenzüberschreiter, die fatal scheitern“ (Lehmeyer). Das Publikum in Mönchengladbach folgte dieser Lesart des mittelalterlichen Sagenstoffes bereitwillig und ohne großes Murren, wenn sich auch der Schlussbeifall für den Regisseur deutlich in Grenzen hielt.

Das Wunder, dem in dieser Inszenierung vielleicht zu Recht eine so deutliche Absage erteilt wird, ereignete sich dann in Mönchengladbach an diesem denkwürdigen Abend aber doch. Noch am Mittwoch vor der Premiere musste Izabela Matula krankheitsbedingt ihre Mitwirkung als Elsa absagen. Die britisch-kanadische Sopranistin Jessica Muirhead, die am Aalto-Theater in Essen schon als Elsa überzeugt hatte, sprang kurzfristig ein und machte den Abend zu einem musikalischen Ereignis. Ihr glockenreiner, „mädchenhafter“, warm-timbrierter und im Forte strahlend auftrumpfender Sopran wird der Rolle in jeder Beziehung gerecht. Schon ihre Traumerzählung „Einsam in trüben Tagen“ ging unter die Haut, ihre große Auseinandersetzung mit der schon durch ihr schwarzes Kleid als Gegenspielerin gezeichneten Rivalin Ortrud ließ an Modulation und Ausdruckskraft keinen Wunsch offen, schließlich bewältigte sie die gesanglichen Steigerungen im großen Schlussduett des dritten Aufzugs mit einer Leidenschaft und strahlenden Mühelosigkeit, die einfach größte Bewunderung abverlangt. Jessica Muirhead ist für diese Partie eine Luxusbesetzung und braucht den Vergleich selbst mit einer Ausnahmekünstlerin wie Anja Harteros nicht zu scheuen, die der Rezensent in einer denkwürdigen Aufführung des „Lohengrin“ mit Klaus Florian Vogt in der Titelrolle in Berlin erleben durfte.

Als Lohengrin begeisterte Michael Siemon, der in Krefeld und Mönchengladbach schon in vielen Partien des italienischen und deutschen Fachs reüssiert hat. In den beiden ersten Aufzügen geht er die Partie ganz lyrisch, dabei aber ungemein wohlklingend und stimmschön an, um dann im dritten Aufzug mit leuchtender, heller Stimme aufzutrumpfen. Eine imponierende Leistung!
Eva Maria Günschmann als dämonisch bösartige Ortrud und Johannes Schwärsky als diabolischer Telramund bildeten stimmlich und vor allem darstellerisch eine nahezu ideale Verkörperung des finsteren Schurkenpaars, Matthias Wippich verlieh der Figur des Königs Heinrich mit kräftigem, in der Höhe allerdings etwas tonlosem Bass die nötige Autorität, Andrew Nolen gestaltete die Ansagen des Heerufers mit großer Textverständlichkeit und vornehmer Zurückhaltung.

Und noch ein weiteres Wunder war an diesem Abend zu verzeichnen: Was GMD Mihkel Kütson den Niederrheinischen Sinfonikern, die ja nicht gerade jeden Abend Wagner zu spielen haben, an differenziertem und sauberem (Bläser!!!) Musizieren entlockt, wie er mit den Sängern atmet und auch rhythmische Wackler (Michael Siemon) spielerisch auffängt, das verdient höchste Anerkennung. Das gilt auch für Chor und Extrachor des Theater Krefeld und Mönchengladbach (Einstudierung Michael Preiser), der sich mit großer Klangwucht und engagiertem Spiel immer wieder eindrucksvoll in Szene setzt. Das Publikum im gut besuchten, leider und unverständlicher Weise aber nicht ausverkauften Haus feierte alle Beteiligten mit lang anhaltenden Ovationen. Der Beifall geriet zum Orkan, als Jessica Muirhead vor den Vorhang trat. Aber auch alle anderen Protagonisten wurden stürmisch bejubelt. Und das völlig zu Recht.

Mein Tipp: Wagner-Fans sollten sich den „Lohengrin“ im Theater Mönchengladbach nicht entgehen lassen. Es ist mehr als bewundernswert, was das Gemeinschaftstheater Krefeld- Mönchengladbach mit dieser Produktion vor allem musikalisch auf die Beine gestellt hat.

Norbert Pabelick 21.1.2018

Bilder (c) Thomas Esser

Weitere Aufführungen: 26.01./02.02./ 24.02./ 18.03./ 25.03.2018