Vorstellung am 06.07.2022 05.07.2022
Auch die Opernhäuser leiden unter den kurzfristigen, Pandemie bedingten Absagen. Die Münchner Opernfestspiele waren dieser Tage ganz besonders stark gefordert. Für den OTELLO sagte Starsopranistin Anja Harteros ihre Teilnahme als Desdemona bereits vor einigen Wochen ab, doch nur wenige Tage vor der Vorstellung vom 5. Juli musste auch Gerald Finley den Jago absagen. Doch mit der Einspringen Rachel Willis- Sørensen als Desdemona und Sir Simon Keenleyside als Jago vermochte das Betriebsbüro erstklassige Kräfte aufzubieten. Rachel Willis-Sørensens Karriere hat in den letzten Monaten rasant Fahrt aufgenommen, sie zählt unterdessen zu den gefragtesten Interpretinnen im lyrisch-dramatischen Fach. So war auch ihre Interpretation der Desdemona von wunderschön und zart intonierten Phrasen im Liebesduett des ersten Aktes gezeichnet, fein und anrührend gesungen. Stark waren ihre Reaktionen auf Otellos unhaltbare Anschuldigungen im dritten Akt, die Ausbrüche des Entsetzens wichen den Tränen – beider! Im Finale III legte sich ihre Stimme mit leuchtender Kraft über Chor und Solistenensemble. Ihr AVE MARIA im vierten Akt geriet mit ergreifender Schlichtheit.
Simon Keenleyside legte den Jago mit eindringlicher Charakterisierungskunst an, stimmlich sowieso mit einer Souveränität der Extraklasse. Sehr verspielt und kumpelhaft agierte er im ersten Akt, das Anzetteln der ganzen Intrige schien ihm unheimlichen Spaß zu bereiten, das war nicht ein geplantes, bösartiges Manöver, sondern man bekam deutlich mit, dass Jago stets improvisieren musste um den destruktiven Strudel des Bösen in Gang zu halten. Packend sang er das CREDO im zweiten Akt, in dem er seine dunkle Seele offenbarte, unnachahmlich differenziert die Traumerzählung. Keenleyside wurde am Ende mit frentischem Jubel verdientermaßen vom Publikum für seine immense darstellerische und musikalische Leistung gefeiert!
DAS WUNDER GREGORY KUNDE
Der Ausnahme-Tenor Gregory Kunde debütierte vor 44 Jahren in Verdis OTELLO als Cassio, nun singt er natürlich längst die herausfordernde Titelpartie. Wie kaum ein anderer Sänger hat er seine lange Karriere so klug aufgebaut, kann auf eine exemplarische Technik setzen, dass er die schwierigsten Partien seines Faches mit einer stupenden Selbstverständlichkeit zu meistern vermag. Nur schon sein gefürchtetes ESULTATE nach dem überstandenen Gefecht in der Schlacht von Lepanto und dem anschließenden Sturm auf hoher See erklingt mit strahlender Reinheit der Intonation und mitreißender Kraft. Noch verblüffender: Am Tag nach dieser kräfteraubenden Verdi Partie sprang Gregory Kunde auch noch als Enée in Berlioz‘ Fünfakter LES TROYENS für einen erkrankten Kollegen ein. Chapeau! Kunde vermochte mit großer Eindringlichkeit die Wirkung des Giftes, das Jago in seine Seele geträufelt hatte mit seinen vielseitigen stimmlichen Mitteln zur Geltung zu bringen.
INSZENIERUNG
Blackfacing verbietet sich selbstredend heutzutage, Aussenräume, historische Kostüme und Naturalismus leider ebenfalls. Amélie Niermeyer, die Regisseurin dieses OTELLO, der vor vier Jahren Premiere feierte, verlegte die Handlung in zwei identisch gebaute Seelenräume, einen kleineren mit weissen Wänden für die Reinheit Desdemonas, eine mit geschwärzten Wänden für die böse Welt Jagos und des infizierten Otello. So fand also der die Oper eröffnende Sturm nur in der Gedankenwelt Desdemonas statt, der Chor sang quasi unterhalb ihres Zimmers. Oftmals fanden Parallelhandlungen (Betten machen …) in der guten und der bösen Welt statt. Vieles war einleuchtend als Kammerspiel von Szenen einer Ehe mit ungleichem Machtgefälle inszeniert, ein paar Dinge konnte man nicht ganz nachvollziehen – doch ärgern brauchte man sich nicht.
Den Bühnenbildner hätte man ohne seinen Namen nachlesen zu müssen anhand der hohen Räume mit den großen Türen und Fenstern und den Strukturabschlüssen der Decken erraten können. Diese Art von Räumen scheinen das Markenzeichen von Christian Schmidt zu sein. Annelies Vanlaere entwarf ziemlich hässliche Kostüme, vor allem für Jago und Otello, über die man besser den Mantel des Schweigens legt.
DIRIGENT UND RESTLICHES ENSEMBLE
Antonino Fogliani leitete eine mit kräftigen Pinselstrichen gemalte, sehr feurig-emotionale Aufführung von Verdis meisterhaft konzipierten Oper, die dem Werk voll gerecht wurde. In der Eröffnungsszene gab es noch kleine Temporückungen zwischen Graben und Chor, die sich jedoch schnell einrenkten. Fogliani war den Sängerinnen und Sängern eine aufmerksam mitatmende Stütze. Oleksiy Palchikov gestaltete mit klarer, sauber geführter Stimme den naiv in Jagos Falle tappenden Cassio, Nadezhda Karyazina holte sehr viel an Charakter aus der Partie der Emilia heraus. Galeano Salas war ein ausgezeichneter Roderigo (ach ja, auch ausgesprochen hässlich gekleidet). Bálint Szabó als Lodovico und Daniel Noyola füllten ihre kleinen, aber genauso wichtigen Rollen mit charaktervollen Stimmen.
Ein Protagonisten -Trio der Extraklasse machte diesen OTELLO zu einem musikalisch mitreißenden Abend!
(c) W. Hösel / StOp
Kaspar Sannemann, 24.7.22