Oldenburg: „Un Ballo in Maschera“

besuchte Vorstellung: 05.01.2020, Premiere: 07.12.2019

Mafia an der Hunte

Lieber Opernfreund-Freund,

fast ganz aus dem eigenen Ensemble besetzt derzeit das Staatstheater Oldenburg seinen Maskenball – und stellt damit eindrucksvoll unter Beweis, über welch hochkarätige Sängerriege man am Haus verfügt. Die kurzweilige Inszenierung von Rodula Gaitanou und das charaktervolle Dirigat von GMD Hendrik Vestmann machen den gestrigen Nachmittag gänzlich zu einem musikalischen Ereignis vor voll besetztem Haus.

Verdis Un Ballo in Maschera im Mafia-Milieu zu inszenieren, ist sicher keine ganz neue Idee. Und doch schafft die aus Athen stammende Regisseurin Rodula Gaitanou mit ihrer Lesart weit mehr als einen Abklatsch bereits gesehenen, setzt mit originellen Ideen Akzente und so gelingt der jungen Griechin ein überzeugendes Deutschlanddebüt: irgendwo im Amerika der 1970er Jahre siedelt sie die Handlung an. Renato ist ein Bandenboss, doch seine Organisation ist von FBI-Spitzeln unterwandert. Trotz seines brutalen Geschäftes zeichnet Gaitanou ihn schöngeistig und seinen Bonsai pflegend, während neben ihm seine Handlanger Informationen aus Männern herausprügeln; so bleibt nachvollziehbar, dass die wunderschöne Gattin seiner rechten Hand Renato, Amelia, sich in ihn in verliebt. Ulrica erscheint als eine sich als Putzfrau in einem seiner Unterhaltungsetablissements verdingende Pennerin, die einen Leguan als Haustier hält und deren Wahn und Skurrilität von der Finnin Maiju Vaahtoluoto, einziger Gast am gestrigen Nachmittag, dermaßen glaubhaft dargestellt werden, dass es einen förmlich graust. Ihren kehligen, dämonisch klingenden Altgesang durchmischt sie immer wieder mit hysterischen Lachern, paranoiden Zuckungen und zwanghaftem Gekratze – Wahnsinn, im wahrsten und positivsten Sinne dieses Wortes!

Das genial wandlungsfähige Skelett des Bühnenbildes bilden ein paar verklinkerte Bögen, die im ersten Bild als Separees in den Bars, im zweiten Akt als ruinenhafte Katakomben, in denen Obdachlose nächtigen, dienen und in denen die unglücklich verliebte Amelia auf einen Dealer trifft, um ihren Liebeskummer mit Drogen zu betäuben. Als Renatos Arbeitszimmer bestückt Simon Corder die Bögen mit Buchregalen, ehe sie im Schlussbild wieder zur dezenten Kulisse werden. Und auch die Kostümabteilung darf sich austoben: Gøje Rostrup ersinnt nicht nur wunderbar detailverliebte, an venezianischen Karneval und den mexikanischen Día de Muertos gleichermaßen erinnernde Kostüme für den namengebenden Maskenball, sondern auch originelle Garderobe und Requisiten der späten 70er in den übrigen Szenen. Die ausgezeichnete Personenregie von Rodula Gaitanou tut ein Übriges, diesen Maskenball nicht nur hörens- sondern auch unbedingt sehenswert zu machen.

Im Graben entfacht Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann zusammen mit dem Oldenburgischen Staatsorchester ein Verdi-Feuerwerk, präsentiert durchaus ein kantiges Dirigat, fühlt sich aber in den wogenden, sentimentalen Passagen der Partitur hörbar ebenso wohl, wie in den klanglich wuchtigen. Die Damen und Herren des Opernchors laufen unter der Leitung von Thomas Bönisch zu Höchstform auf, singen und spielen exzellent und fein aufeinander abgestimmt.

Ach ja, Solisten gab es auch: Neu im Oldenburger Ensemble ist die aus Kasachstan stammende Lada Kyssy, die der Amelia mit zahlreichen Farben und intensiver Darstellung Seele einhaucht. Dass ihr kraftvoller, dunkel timbrierter Sopran in der Höhe mitunter zu einer gewissen Härte neigt, ist geschenkt, so intensiv und emotionsgeladen ist ihr Gesang. Ebenfalls dunkel klingt der Riccardo von Jason Kim, fast wie ein Bariton mit ordentlich tenoraler Höher – als ob Placido Domingo zurück ins Tenorfach gewechselt wäre. Und auch in Farbe und noblem Ausdruck erinnert der höhensichere Südkoreaner an die jüngeren Jahre des spanischen Startenors. Leonardo Lee trumpft als Renato mit nicht nachlassender Kraft auf und rührt doch in seiner großen Arie Eri tu zu Tränen. Martyna Cymerman glänzt als herrlich überdrehter Oskar mit perlenden Koloraturen und kristallklaren Spitzentönen, Kammersänger Paul Brady macht in seinem kurzen Auftritt als Silvano Eindruck, während Ill-Hoon Choung und ein glänzend aufgelegter Stephen K. Foster als Verschwörerduo Tom und Samuel das exquisite Ensemble komplettieren.

Das Publikum ist zu Recht aus dem Häuschen am Ende der Vorstellung, ruft die Protagonisten wieder und wieder zum Applaus. Und auch ich finde diesen Maskenball durch die Bank gelungen. Er ist sicher kein Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte dieses Werkes, aber weit mehr als eine 08/15-Bebliderung – und zudem ein wahres Sängerfest.

Ihr Jochen Rüth 06.01.2020

Die Fotos stammen von Stephan Walzl