Oldenburg: „La Sonnambula“

Premiere: 18.10.2019, besuchte Vorstellung: 23.10.2019

Fest der schönen Stimmen

Lieber Opernfreund-Freund,

Vincenzo Bellinis Œuvre scheint neben dem seiner Kollegen Gioachino Rossini und Gaetano Donizetti, den beiden Fließbandarbeitern im italienischen Belcanto, mit zehn Opern vergleichsweise gering. Schaut man auf die deutschen Bühnen, hat sich hier nur seine Norma dauerhaft auf den Spielplänen halten können, in jüngster Zeit wagt man sich aber auch immer wieder an eine Aufführung der Puritani oder an seine Beschäftigung mit dem Romeo-und-Julia-Stoff I Capuleti e i Montecchi. Sucht man nach deutschen Produktionen von Beatrice di Tenda und Zaira oder Il pirata, ist dies allerdings vergebens. La Sonnambula nimmt da eine Zwitterstellung ein, wird gerne jahre- und jahrzehntelang komplett ignoriert und dann fast gleichzeitig von mehreren Häusern gewissermaßen kollektiv wiederentdeckt und aufgeführt. Warum sich die melodienreiche, spritzige und durchaus lustige Nachtwandlerin neben dem Barbiere oder dem Liebestrank nicht fest im Repertoire der hierzulande gezeigten komischen Opern hat etablieren können, ist nach der gestrigen Aufführung am Staatstheater Oldenburg weniger nachvollziehbar denn je.

Ob man sich in Oldenburg deshalb für eine konzertante Produktion entschieden hat, weil sich die szenisch eingebundenen Abteilungen gerade an einer so hörens- wie sehenswerten Götterdämmerung ausgepowert haben, kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht hat es aber auch mit dem Sujet der Sonnambula zu tun, das heutzutage mitunter als zu kitschig-romantisch, ja sogar als zu belanglos empfunden wird. In einem kleinen Ort in den Schweizer Alpen bezichtigt Elvino seine Verlobte Amina der Untreue, weil er sie schlafend im Zimmer des Grafen Rodolfo vorgefunden hat. Die Bemühungen von Lisa, die er für Amina verlassen hatte, ihn zurück zu gewinnen, scheinen von Erfolg gekrönt. Doch der Graf – weltgewandt und gebildet, was sonst – berichtet vom Phänomen des Schlafwandelns und das ganze Dorf samt Elvino werden Augenzeuge eines nachtwandelnden Ausflugs von Amina. So wendet sich alles zum Guten und einem Happyend vorm Alpenpanorama steht nichts mehr im Wege. Auf die Enthüllung aus Eugen Scribès Vorlage, dass sich der Graf als Aminas Vater herausstellt, hatte Bellini zusammen mit seinem Librettisten Felice Romani jedoch verzichtet.

Eine Inszenierung fehlt einem keine Minute lang am gestrigen Abend im außerordentlich gut besuchten Opernhaus. Das mag daran liegen, dass sämtliche Protagonisten außerordentlich lebendig agierende Interpreten sind und kleine Requisiten wie Handtasche oder Notariatskladde ausreichen, die Handlung zu untermalen. So kann sich alles auf Bellinis zauberhafte Musik konzentrieren, die eingängigen Melodien genießen und dem hohen Niveau der Sangeskunst lauschen. Sooyeon Lee ist eine Amina wie aus dem Bilderbuch, ihr schlanker, beweglicher Sopran verfügt über außerordentlichen Facettenreichtum und Ausdruckskraft, die die Südkoreanerin nicht nur in ihrer großen Schlussszene unter Beweis stellt. Martyna Cymerman steht ihr diesbezüglich in nichts nach, doch verfügt ihre Stimme über mehr klangliche Substanz, was gut zum durchtriebeneren Charakter ihrer Gegenspielerin Lisa passt. Das tut aber der Geläufigkeit des Soprans der jungen Polin keinen Abbruch. Der aus Kolumbien stammende César Cortés begeistert mich mit einem vor Frische und Farbenreichtum überschäumenden Tenor, mit dem er den Elvino zum Leben erweckt. Ill-Hoon Choung hingegen stattet den Grafen mit sonorem Bass aus und hätte auch gut eine Vaterfigur abgegeben. Als Mutter wie als Komödiantin überzeugend ist Melanie Lang mit weichem, Wärme verströmendem Mezzo als Teresa. Chorsolist Alwin Kölblinger ist ein präsenter und eindrucksvoller Alessio mit einschmeichelndem, elegant klingendem Bariton, während sein Kollege Georgi Nikolov den Notar in seinem kurzen Auftritt voller hinreißendem Witz gestaltet.

Der Chor wurde von Thomas Bönsch betreut, singt pointiert und tadellos, während Vito Cristofaro die Musikerinnen und Musiker des Oldenburgischen Staatsorchesters mit einer Spur klanglicher Nonchalance durch die Partitur von Bellinis siebenter Oper führt, den Melodienreigen farbenreich präsentiert und dabei allerhand Italianitá versprüht. Das Publikum ist begeistert und hat, wie ich, irgendwie geartete Szenerie keine Sekunde vermisst. Wenn Sie, lieber Opernfreund-Freund, Lust auf junge, frische Stimmen und wunderbare Melodien abseits des Standardrepertoires haben, sei Ihnen diese Produktion in Oldenburg wärmstens ans Herz gelegt.

Ihr Jochen Rüth, 24.10.2019

Bilder siehe Prermierenkriti unten!