Aufführung am 27.01.2017
Comeback von Jonas Kaufmann mit einer sehr besonderen Rollengestaltung
„Viel Lärm um nichts“ kann man nach diesem „Lohengrin“ nur sagen über was seit September alles über die angebliche „Stimmkrise“ von Jonas Kaufmann in den (französischen) Medien geschrieben wurde. Da würde man gerne einigen Beteiligten eine gelbe oder rote Karte geben. Auch an die Pariser Oper, die in diesem „Medienrummel“ kräftig mitgemischt hat, nachdem sie sich selbst in eine dumme Situation gebracht hatte. Denn in dieser Spielzeit gab es zum ersten Mal 30% verteurerte Plätze für Vorstellungen mit Jonas Kaufmann – ein Preisunterschied der nach seiner Absage im Oktober für „Les contes d’Hoffmann“ nicht zurückerstattet wurde. Das führte zu Protesten, Annullierungen und – sicher auch aus anderen Gründen – zu einem Einnahmeschwund von aktuell 25%.
Und zu berechtigten Ängsten, was nun im Januar mit „Lohengrin“ passieren würde, wo man für einen Parkettplatz mit der ersten Besetzung stolze 252 Euro zu zahlen hatte (anstatt 210 Euro für die „Zweitbesetzung“). Was sind dies für unwürdige Milchmädchenrechnungen in der „größten Oper der Welt“! Ist „Lohengrin“ eine Zirkusnummer, die man teurer verkaufen kann je mehr hohe Töne ein Tenor singt, oder ein Gesamtkunstwerk und eine Gesamtleistung von einem Team von hunderten Künstlern? Wie dem auch sei, die viel bekritisierte neue Tarif-Politik wird in der nächsten Spielzeit nicht fortgesetzt, wo Jonas Kaufmann unter normalen Bedingungen Don Carlos singen wird, in der französischen Urfassung, in der Elina Garanca ihr Debüt als Eboli geben wird.
Dieser Medienrummel sorgte auch für einige erstaunliche Kommentare über Kaufmanns Stimme von Rezensenten, von denen man erwarten könnte, dass sie sich etwas besser informieren bevor sie unüberprüfte Behauptungen in die Welt schicken. Denn Kaufmann singt den Lohengrin schon seit der „Ratteninszenierung“ 2010 in Bayreuth, die überall im Fernsehen zu sehen war. Auch die jetzige Inszenierung kann man noch im Internet ansehen, denn sie eröffnete im Dezember 2012 das Verdi-Wagner Jahr an der Scala, mit Daniel Barenboim und einer viel bekommentierten Inszenierung von Claus Guth (siehe Merker 1/2013). Diese Inszenierung wird nun in Paris wieder aufgenommen, mit größtenteils derselben Besetzung, in der Kaufmann genau so singt wie vor vier Jahren – nur dass seine Rollengestaltung um Einiges gereift ist. Zugegeben: es ist eine sehr unübliche Rollengestaltung. Lohengrin erscheint hier nicht als kühner Ritter, in glänzender Rüstung, in einem goldenen Nachen, der durch einen Schwan gezogen wird. Mal nicht so wie König Ludwig es in Neuschwanenstein nachbauen ließ, nicht mit dem blauen Licht, das Thomas Mann so liebte, und ganz ohne den Schwan, den Theodor Adorno so ausführlich kommentierte.
In dieser Inszenierung liegt Lohengrin plötzlich als ein wimmernder Knabe auf der Erde, barfüssig, schutzsuchend und singt seinen ersten Satz, „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“, mit dem Rücken zum Publikum. Ein Weltfremder spielt mit einer Schwanenfeder und merkt nicht, dass Andere ihm zuhören. Der Ausgangspunkt von Guths Regiekonzept ist, dass Richard Wagner den Weltfremden Kaspar Hauser anscheinend 1833 auf dem Weg von Würzburg nach Bamberg gesehen hat und durch sein Schicksal berührt wurde.
Wir sind nicht immer überzeugt von Guths manchmal sehr eigenwilligen Interpretationen, doch dieses Konzept ist intelligent, gut durchdacht und geht auf. Der hehre Held mutiert zum verlorenen Künstler, zum (noch) unerkannten Komponisten Richard Wagner, der sich deutlich mit dieser Figur identifizierte. Und so wird Lohengrin ein Vorbote des späteren Parsifal (in dieser Oper noch sein Ritter-Vater auf der Gralsburg in Montsalvat). Dieses sehr eigene Regiekonzept wurde kongenial umgesetzt durch Jonas Kaufmann. Statt mit dem gewohnten, hellen, heldischen Timbre (von zum Beispiel Klaus-Florian Vogt), singt er in den ersten beiden Akten mit einer dunklen, melancholischen Stimme. Elsa kann so in ihm ihren umgebrachten/wiedergefundenen Bruder erkennen und sie entschwinden beide in eine „andere Welt“, symbolisiert durch ein Klavier aus der Wagnerzeit und durch eine ungebändigte Natur, die plötzlich mitten in eine bürgerliche Architektur einbricht (Ausstattung: Christian Schmidt). So haben wir Lohengrin noch nie gesehen und noch nie gehört. Jonas Kaufmann schafft es mit einer Gralserzählung von einer seltenen Intensität, das in der Ouvertüre noch laut hustende Pariser Publikum zum absolutem Schweigen zu bringen. Er beginnt „In fernem Land“ mit einem gewagt langsamen Tempo (ohne die geringsten Atemprobleme) und bleibt beinahe die ganze Zeit in einem technisch perfektem piano und Mezza Voce. So muss man ihm wirklich lauschen und reist mit ihm ins ferne Land, was er am Ende mit strahlender Sonne in der Stimme besingt. Eine wirklich großartige sängerische und künstlerische Leistung.
An der Scala sang Anja Harteros eine genau so berührende, weltentrückte Elsa. In Paris sollte es Martina Serafin sein, die jedoch bald nach der Premiere ihre Rolle an die Zweitbesetzung abgeben musste. Edith Haller hat Elsa schon an vielen großen Häusern gesungen, auch in Wien und Bayreuth, und tut es jetzt mit großem Einsatz. Komplimente für die fein ausgearbeitete Personenregie, aber zwischen den Bühnentieren Kaufmann und Herlitzius wirkt ihre Elsa leider blass und eindimensional. Evelyn Herlitzius, schon an der Scala dabei, beherrscht ab dem ersten Akt darstellerisch die Bühne – auch wenn sie noch kein einziges Wort gesagt und noch keinen Ton gesungen hat. Obwohl ihre Stimme einige Schärfen zeigt und zurzeit vielleicht besser geeignet ist für ihre phänomenale Elektra, präsentiert sie eine Ortrud von großem Format (und bekam mit Jonas Kaufmann den größten Applaus). René Pape ist ebenfalls ein König Heinrich der Vogler von Format, mit dem stimmlich passenden Egils Silins als Heerrufer.
Der in Wien nicht unbekannte Tomasz Konieczny sprang für den erkrankten Wolfgang Koch ein. Sein Telramund war im ersten Akt noch etwas blass – er steht ja auch unter der Scheffel der dominanten Ortrud. Doch im Duo des zweiten Aktes konnte er seiner bösen Frau das Gift reichen, das im Orchester mit dunklen, braunen Tönen gebraut wurde.
Philippe Jordan dirigierte mit großem Können. An diesem „Lohengrin“ hört man, was er in den letzten Jahren alles mit dem ursprünglich eher Wagner-unkundigem Chor und Orchester erreicht hat. Er nahm die Ouvertüre sehr langsam, so wie die Gralserzählung (mit der Wagner bekanntlich die Komposition begonnen hat), mit herrlich transparenten Orchesterfarben. Beim Vorspiel zum dritten Akt ließ er es mächtig krachen und drehte den Sound auf, damit alle hören konnten, was die Bläsermannschaft in den letzten Jahren gelernt hat. Beeindruckend – doch tief berührt hat seine Interpretation uns nicht. Wie soll er auch, wenn er zur Zeit jeden Abend ein anderes Werk dirigiert und innerhalb einer Woche zwei Premieren von zwei aufwendigen Neuproduktionen geleitet hat. An den sehr besonderen Lohengrin von Jonas Kaufmann werden wir uns dagegen noch lange erinnern.
Bilder (c) Opéra de Paris / E. Bauer / Monika Rittershaus
Waldemar Kamer, Merker-Paris 31.1.2017
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