Paris: „Der Rosenkavalier“

Aufführung am 9. Mai 2016

Wiederaufnahme der Salzburger Wernicke-Inszenierung aus dem Jahr 1995

Eigentlich berichten wir nicht über Wiederaufnahmen, denn wir schaffen es schon kaum, alle interessanten Neu-Inszenierungen, Erst- und Uraufführungen in Paris und Frankreich zu rezensieren. Doch manche Produktionen gehören sozusagen zum Haus und prägen eine Generation. So dieser „Rosenkavalier“, der 1995 bei den Salzburger Festspielen Premiere hatte und seit 1997 regelmäßig in Paris gespielt wird.

Es dauerte eben, bis der „Rosenkavalier“ in das Repertoire der Pariser Oper aufgenommen wurde – die erste Aufführung war erst 1927, 16 Jahre nach der Uraufführung in Dresden, doch ab dann wurde er häufig gespielt und immer sehr sorgfältig besetzt. Richard Strauss kam selbst nach Paris, um seine Oper zu dirigieren, und als Feldmarschallin traten die größten Sängerinnen auf: Lotte Lehmann, Germaine Lubin, Régine Crespin, Elisabeth Schwarzkopf und Christa Ludwig, die 1976 in Paris vom Octavian zu Marschallin wechselte. 1997 sangen Renée Fleming, Susan Graham als Octavian und Barbara Bonney als Sophie – ein wirklich erlesenes Trio. 2006 debütierte (quasi) ein junger Dirigent, den man in Paris kaum kannte: Philippe Jordan, damals erst 32 Jahre alt. Er wurde in den Ankündigungen durch die Presse mit seinem Vater Armin Jordan verglichen, der nicht lange davor einen wunderschönen „Rosenkavalier“ am Théâtre du Châtelet dirigiert hatte (mit Felicity Lott). Doch sein Dirigat war so besonders, dass man ab dem Zeitpunkt Philippe Jordan einen ganz anderen Stellenwert in Paris gab, und er 2007 zum neuen Musikdirektor der Pariser Oper ernannt wurde (ab 2009). Das war ganz deutlich ein Wunsch des Orchesters, das in der Mortier-Ära keinen Musikdirektor hatte und sich damals mit seinem „ersten Dirigenten“ Sylvain Cambreling hörbar schlecht verstand. So dirigierte Philippe Jordan im Dezember 2006 einen „Rosenkavalier“, an den wir uns bis heute erinnern: so viel Farben, Nuancen und Pianissimi hatten wir schon lange nicht mehr im Orchestergraben gehört!

Zehn Jahre später verstehen sich das Orchester und der Dirigent noch immer so gut und ist es eine Freude zu hören, wie sich beide entwickelt haben. Die Interpretation ist im Vergleich zu 2006 etwas weniger nostalgisch, dafür kräftiger, kantiger – beinahe möchte man sagen „maskuliner“ – geworden, doch die Farben, Nuancen und Pianissimi gingen dabei nicht verloren, und die Sänger werden wirklich liebevoll begleitet. Die Inszenierung (und Ausstattung) von Herbert Wernicke ist erstaunlicherweise nicht gealtert. Wie skeptisch waren wir 1995 angesichts dieses „kalten Rosenkavaliers“, voller Spiegel, den viele Rezensenten „zu intellektuell“ fanden. Das würde man heute sicher nicht mehr sagen – denn da haben wir inzwischen ganz andere Sachen auf Opernbühnen gesehen, die man sich damals gar nicht vorstellen konnte. Auffallend positiv ist vor allem die wirklich perfekte Personenführung: ein ganz großes Lob für den „Revival Director“ Alejandro Stadler, der 14 Jahre nach dem frühen Tode Wernickes diese Wiederaufnahme leitet. Das nächste Lob geht an den „Casting Director“ der Oper, der die riesige Besetzung homogen und wirklich rollengerecht ausgesucht hat. Im Gegensatz zu anderen Wiederaufnahmen „alter Produktionen“, passte hier jeder Sänger körperlich und stimmlich voll und ganz zu seiner Rolle, hatte man offensichtlich viel und gut miteinander geprobt und wurde auch richtig miteinander gespielt. Natürlich erinnern wir uns an andere Besetzungen, die einen größeren Eindruck auf uns gemacht haben, aber das ist Klagen auf hohem Niveau – für Merkerohren in der nicht unproblematischen Akustik der Opéra Bastille (2.700 Plätze).

In dieser Besetzung triumphierte Daniela Sindram als Octavian, den sie viele Jahre an der Bayrischen Staatsoper in München gesungen hat und seit 2006 überall in der Welt singt (auch an der Wiener Staatsoper). Sie war der Publikumsliebling zusammen mit Peter Rose als Baron Ochs. Der britische Bass donnerte seine tiefen Töne mit Freude in den großen Saal und hatte einen echt Wienerischen Akzent – Kompliment! (Er wird den Ochs nächste Spielzeit auch wieder an der Wiener Staatsoper singen.) Diese eher ungewöhnliche Sänger-Konstellation sorgte dafür, dass die oft langatmige Wirtshausszene zwischen Ochs und „Mariandel“ im dritten Akt der szenisch stärkste Moment des Abends wurde. Die „Nebenrollen“ waren ausgezeichnet besetzt, mit dem Münchner Kammersänger Martin Gantner als Herr von Faninal, Irmgard Vilsmaier, die Brünnhilde der Wiener Volksoper (in einer Ring-Kurzfassung von Loriot) als Marianne Leitmetzerin, der Österreicher Dietmar Kerschbaum als Valzacchi, mit Eve-Maud Hubeaux als Annina, die uns schon zu Ostern sehr positiv aufgefallen war als Ursule in „Béatrice et Bénédict“ in Brüssel.

Francesco Demuro war eine Luxusbesetzung als „italienischer Sänger“ (immer noch mit Pavarotti-Taschentuch). Das kann man leider nicht von der Sophie von Erin Morley behaupten. Die junge Amerikanerin debütierte im Herbst 2014 an der Pariser Oper als eine problematische Konstanze. Gleich danach sang sie eine Gilda an der Wiener Staatsoper, von der nicht alle begeistert waren. Die Rolle der Sophie ist viel einfacher als die beiden vorigen, aber auch hier blühte ihre Stimme nicht auf. Als Marschallin war Anja Harteros angesagt, die die Premiere und die ersten vier Vorstellungen singen sollte. Doch sie sagte ab (was leider in der letzten Zeit immer öfters passiert) und die Zweitbesetzung Michaela Kaune übernahm die Premiere. Die Hamburgerin kennt die Rolle seit langem, sang sie souverän und zum Teil auch berührend schön, so wie „die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“. Doch an anderen Momenten klafften die Register auseinander und es fehlte der „Silberglanz“, den wir in dieser Rolle so lieben. Genau wie Morley konnten viele Zuschauer sie schon in der achten Reihe nicht mehr hören, und diesmal lag es nicht an Dirigent und Orchester, die wirklich pianissimo spielten (was sonst nicht immer der Fall ist).

Doch wenn man bedenkt, was sich zurzeit alles in den Kulissen der französischen Opernhäuser abspielt, relativiert sich jede Sänger-Kritik. Denn am Morgen der Premiere ließ die Pariser Oper wissen, dass die Vorstellung am Abend „höchstwahrscheinlich“ wegen eines der vielen Streiks ausfallen würde. Nachmittags meinte man, dass es „vielleicht eine konzertante Aufführung werden könnte“, und erst zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn kam die Nachricht, dass die Premiere „doch nicht abgesagt“ wurde. Letzten Sonntag war es in Strassburg bis zur letzten Minute auch nicht sicher, ob die Premiere von Wagners „Liebesverbot“ wirklich stattfinden würde und über der morgigen „Tristan“-Premiere im Théâtre des Champs-Elysées in Paris hängt auch eine Streikwarnung. In Frankreich wird in diesem Frühling überall gestreikt und demonstriert – kein Wunder, dass Sänger unter solchen Umständen absagen und den Silberglanz ihrer Stimme verlieren. Hoffen wir, dass bei der nächsten Wiederaufnahme alles wieder etwas ruhiger sein wird…

Waldemar Kamer 20.5.16

Besonderer Dank an Merker-Online-Paris

Bilder (c) Opera de Paris / Emilie Brouchon