Aufführung am 19.1.16 (Premiere am 12.1.)
Mozart pur, auch szenisch
Ein wenig besorgt waren die an dieser Produktion aus 2006 (Teatro San Carlo, Neapel) beteiligten Künstler, denn wie würde das seit genau vierzig (!) Jahren in Parma nicht mehr gezeigte Werk bei einem Publikum ankommen, das fast ausschließlich auf Verdi und das melodramma im allgemeinen setzt?
Es darf Entwarnung gegeben werden, denn die vier Vorstellungen (deren letzte ich hörte, zwei weitere finden in Reggio Emilia statt) waren (nach anfänglich etwas zurückhaltender Premierenstimmung) bei vollem Haus ein Riesenerfolg. Die Basis war zunächst die erwähnte Inszenierung: Regisseur Mario Martone ließ die Handlung in der ihr zugeschriebenen Zeit ablaufen und sich von Sergio Tramonti ein Einheitsbühnenbild bauen, das aus einer langen Tafel mit ihren Stühlen bestand, die auch bestens als Versteck dienen konnte. Für den 2. Akt genügte ihm die Andeutung eines Federbetts, um das Boudoir der Gräfin zu markieren, im 3. Akt diente die Tafel auch als Tanzfläche und im 4. Akt verschwand sie zunächst mit Hilfe geschickter Beleuchtung. Manche Szenen begannen schon im Parkett und wurden dann oben weitergeführt, das alles sehr wirkungsvoll und ohne Aufdringlichkeit. (Die Wiederaufnahme war von Raffaele di Florio mit merklicher Sorgfalt einstudiert worden). Hübsch und passend auch die Kostüme von Ursula Patzak.
Das war also schon einmal eine überzeugende szenische Grundlage für eine übermütig sprudelnde musikalische Wiedergabe, aus der die großen Ruhemomente des „Porgi amor“, des „Dove sono i bei momenti“ und natürlich des überirdisch schönen „Contessa, perdono“ in ihrer ganzen harmonischen Ausgewogenheit besonders hervorstachen. Matteo Beltrami hieß der Urheber dieser so vergnüglichen wie duftigen Interpretation: Der junge Dirigent bewies neuerlich, dass er die ihm unterstellten Klangkörper nicht nur anzuspornen und mitzureißen, sondern auch zu formen vermag, denn mit dem Orchestra Filarmonica Italiana fand er eine nicht unbedingt auf Oper (und schon gar nicht auf Mozart) spezialisierte Truppe vor, mit der er offensichtlich ganze Arbeit geleistet hatte. (Seit der Auflösung des hauseigenen Orchesters werden in Parma die Orchester nach Bedarf engagiert, was natürlich jeglicher Kontinuität Hohn spricht). Als Zuhörer konnte man entspannt die Musik genießen, auch weil das Vertrauen der Sänger zu ihrem Dirigenten ganz klar war – nie gab es einen zweifelnden oder suchenden Blick auf Beltrami.
Als Susanna war Laura Giordano nicht nur eine Augen-, sondern auch eine Ohrenweide. Das zierliche Persönchen hatte es faustdick hinter den Ohren und ließ seinem Figaro keinen Fehler durchgehen. Ihre wendige Kammerzofe wusste stets, was sie wollte, und war ihrer Umgebung gedanklich immer um einen Sprung voraus. Nichts an ihr war affektiert, und sie nutzte die Rezitative (gut am Cembalo: Simone Savina), um alle Charakterzüge dieser liebenswerten Figur auszuloten. Köstlich ihre Reaktion in der Erkennungsszene Mutter/Sohn im 3. Akt, wenn sie bei „Sua madre“ nicht, wie sonst üblich, verblüfft war, sondern schlicht abwinkte, als wollte sie sagen, das könne man jemandem anderen erzählen.
Dazu phrasierte Giordano mit ihrem nicht allzu großen, aber perfekt projizierten Sopran wunderbar und erhielt nach der Rosenarie berechtigt den stärksten Szenenapplaus. Ihr Figaro war Simon Orfila, dessen Bassbariton für die Rolle ideal ist, und der sich auch pfiffig den verschiedenen Situationen anpasste. Als (neben der Marcellina) einzigem Ausländer in einem rein italienischen Ensemble hörte man zuweilen seinen spanischen Akzent, was aber nur der Vollständigkeit halber angemerkt sei. Als Graf Almaviva hatte Roberto De Candia sein Rollendebüt, aus dem er sehr viel machte. Von der Physis her eher ein Figaro, legte er den Grafen als einen Mann an, der Widerrede weder gewohnt ist, noch sie duldet. So war er jeder Zoll ein Herr, unterstrichen noch durch den Einsatz seines dunkler gewordenen, flexiblen Baritons, mit dem er „Hai già vinta la causa“ vorbildlich interpretierte. Als seine Gattin hatte Eva Mei mit einigen Intonationstrübungen zu kämpfen, doch verbesserte sie sich im Lauf des Abends in dieser Hinsicht. Ihre Interpretation dieser seelisch verletzten, aber ihren Gatten immer noch liebenden Frau gelang sehr berührend. Nicht viel Gutes kann leider über Laura Polverelli als Cherubino gesagt werden, denn sie sang diese wunderbare Rolle vokal wie szenisch völlig uncharmant. Marcellina war nicht mit einem Mezzo, sondern mit einem Sopran besetzt: Die junge Kosovarin Marigona Qerkezi machte mit hübscher Stimme und beherztem Auftreten das Beste daraus. Als eher unauffälliger Bartolo agierte Francesco Milanese, während Giulia Bolcato ganz so klang, als wäre ihre Barbarina, wie für so viele Soprane vor ihr, das Sprungbrett für größere Rollen. Als Don Basilio und Don Curzio ergänzten Ugo Tarquini und Matteo Macchioni, und der köstliche Zornbinkel Antonio des Carlo Checchi soll noch eigens gelobt werden.
Großer Jubel am Ende einer Vorstellung, die ohne jeden Strich ausgekommen (es gab nicht nur die Arien von Marcellina und Basilio im 4. Akt zu hören, sondern auch Rezitative -z.B. von Barbarina- die sonst immer gestrichen werden) und dennoch wie im Flug vergangen war. Würde mich nicht wundern, wenn man in Parma nach mehr Mozart verlangte…
Eva Pleus 30.1.16
Bilder: Roberto Ricci