Wiederaufnahme-Premiere vom 18.Dezember 2019
Stream der Wiederaufnahme-Premiere
Als Reminiszenz an die letztjährige vorweihnachtliche Rückkehr des Ballettklassikers auf die Bühne des Stuttgarter Opernhauses stellte das Stuttgarter Ballett in der derzeit still gelegten Live-Kultur einen Mitschnitt der Wiederaufnahme-Premiere für die letzten Tage des Jahres auf seiner Homepage zur Verfügung. Eine Aufführung der traditionell orientierten, aber besonders hinsichtlich der bösen Fee Carabosse dramaturgisch und tänzerisch ungemein aufgewerteten Choreographie von Marcia Haydée in der ästhetisch unübertrefflich geschmackvollen Ausstattung von Jürgen Rose mit optimaler Besetzung der Hauptrollen in bester Verfassung und dem weiteren höchst animierten Ensemble, die auch jetzt beim Wiedersehen einen dauerhaften Erhalt auf DVD wünschenswert macht.
Auf dem Bildschirm rücken so manche Sequenzen noch näher ans Auge heran als von einem Parkettplatz aus betrachtet und lassen so vor allem wieder neue Zwischentöne im Minenspiel, aber auch in der Gliederung der Gruppen erkennen. Dabei sind schon alleine die farblich und stilistisch bis in kleinste Details entworfenen Kostüme sowie das sich von Akt zu Akt jahreszeitgemäß verwandelnde Grundbühnenbild einer hinten mittels Treppen erreichbaren Galerie eine Betrachtung wert. Wann lässt sich so etwas im Genre der Bühnen- und Gewandgestaltung sonst noch sagen?!
Besetzungstechnisch bedeutet diese Wiederbegegnung das lange ersehnte Zusammenwirken eines sich in jeder Hinsicht auf Augenhöhe befindenden Hauptpaares, das aus Aurora und Prinz Desirée über den Rahmen eines Märchens hinaus in die Befindlichkeiten durch Glück vereinter Liebender durch natürliche Ausstrahlung und Interpretation tiefer blicken lässt als dies meist der Fall ist. Elisa Badenes ist ein Dornröschen an der Schwelle vom Teenager zur jungen Frau, ihren Trieben folgend, aber auch schon überlegt ihren Charme einsetzend und die Avancen der weiteren vier Prinzen (unter denen Marti Fernandez Paixa als stolz gezeichneter Abgesandter des Südens herausragt) nuanciert abwägend. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Höchstschwierigkeiten des klassischen Kanons, zumal die langen Balancen des Rosen-Adagios bewältigt, ohne die Gestaltung zu vernachlässigen, begeistert unmittelbar. Das Glück, nach dem Abgang ihres langjährigen idealen Partners vor ein paar Jahren in Friedemann Vogel nun endlich wieder einen adäquaten Partner zu haben, steht ihr ins Gesicht geschrieben und bewirkt in den Pas de deux sichtbar eine optimale Entfaltung ihrer ohnehin bewundernswerten Möglichkeiten.
Vogel, jüngst anlässlich seines 40. Geburtstages mit einer Fernseh-Dokumentation sowie als Krönung seiner Laufbahn mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt, zeigt auch in dieser klassischen Prinzen-Rolle als nur eine seiner vielen charakterlichen Facetten, was seinen Sonderstatus als international führender Tänzer deutscher Provenienz ausmacht. Zwischen gewinnendem Strahlen und nachdenklichen Zügen vermittelt er als Desirée kraft seiner nie manierierten Poesie eine unmittelbare Sympathie, die technisch in einer perfekten körperlichen Ausgeglichenheit ihre Entsprechung findet.
Der Hochzeits-Pas de deux gerät so zum Triumph eines über dunkle Mächte siegenden Paares. Dabei hatten sie in Jason Reilly als Carabosse einen durchaus starken, ja ebenbürtigen Gegenspieler, der die hier oft zum Showstehler des Paares gewordene Partie der im tiefsten beleidigten schwarzen Fee mit jahrelang gereifter Anverwandlung und Sprung-Emphase in jedem Moment bis in die langen Fingerspitzen ausfüllt.
Miriam Kacerova sorgt als Fliederfee überzeugend für den Sieg des Guten, auch wenn die des Platzes verwiesene Carabosse ganz am Ende wieder auf der Vorderbühne erscheint -das Böse bleibt auch weiterhin präsent.
Über die kleineren, technisch teils höchst anspruchsvollen Rollenvertreter sei das Fazit einer guten Präsentations-Qualität wiederholt, wie es bereits in der Rezension zu dieser Aufführung am 18. Dezember 2019 angemerkt wurde.
Auch mit eingeschränktem Klang-Niveau am PC gerät der Einsatz des Staatorchesters Stuttgart unter der Leitung seines neuen Ballett-Musikdirektors Mikhail Agrest nicht ins Hintertreffen und macht auf einige bislang etwas unterbelichtet gebliebene Nuancen aufmerksam.
Danke für die Möglichkeit, noch einmal in den Genuss dieses Ballettfestes als Trost für die anhaltenden Vorstellungsausfälle gekommen zu sein.
Udo Klebes, 11.1.2021
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)