Premiere: 14. Mai 2022
Wiens Opernfreunde haben Benjamin Brittens „Death in Venice“ in dieser Spielzeit schon einmal (und dabei in der englischen Originalfassung) gesehen. Damals, im Oktober 2021, zauberte Regisseur Christoph Zauner für die Neue Oper Wien im MuseumsQuartier bei minimaler Ausstattung und Düsternis der Szenerie und Atmosphäre eine seelische Horrorshow, die Brittens Werk eine eigene Dynamik verlieh.
Ganz anders nun an der Volksoper, wo man eine Aufführung des Londoner Royal Opera House Convent Garden eingekauft hat. David McVicar ist ein Regisseur, der möglichst nahe an einem Werk und seiner Geschichte bleiben möchte, also eher diese erzählt als den Subtext. Und die reale Handlung ist jene, die man von Thomas Manns Novelle kennt – der Schriftsteller in Schaffenskrise, der sich mehr instinktiv als wirklich absichtsvoll nach Venedig treiben lässt und dort in einen Knaben verliebt, Seelisch diffizil, vom realen Geschehen her nicht allzuviel los.
Aber man kann es in einer realen Umwelt erzählen – ein bisschen Kino, ein bisschen an Visconti und seinen unvergesslichen Film gedacht. Die Möbelstücke, die herum geschoben werden, spiegeln die Epoche (Kaffeehaustischchen mit Marmorplatten) ebenso wie die Kostüme der Damen, die die elegante Welt von 1900 beschwören. Das „Volk“ verhält sich großteils unauffällig. Eine Gondel wird herum geschoben, im Hintergrund glitzert das Meer (Ausstattung: Vicki Mortimer). Und dann, um das hier angesprochene sexuelle Flirren zu illustrieren, das ja essentiell in Novelle und Oper steckt, tanzen in der Choreographie von Lynne Page Buben und junge Männer, stellen ihre Körper aus. Immer wieder und fast zu viel für jenen Teil des Publikums, der davon nicht erotisiert wird…
Durch das Geschehen wandelt Gustav von Aschenbach in Gestalt von Rainer Trost – ein zurückhaltender, fast unauffälliger Mann, dem man seine Existenz als „verlorene Seele“ glaubt, von dem man sich allerdings wünschte, dass er ein paar stärkere Akzente setzte. Er lebt und stirbt am Ende, ohne allzu tiefen Eindruck zu hinterlassen.
Überhaupt scheint es, als hätte die Regie mit Absicht alle stärkeren Akzente vermieden – man kennt die starke Präsenz von Martin Winkler, wenn er denn will und darf, aber hier schlüpft er in die vielen Rollen vor allem durch verschiedene Kostüme und Perücken, weniger durch allzu akzentuiertes Spiel. Darüber hinaus gibt es kaum Rollen – „Apollo“ (Thomas Lichtenecker) erscheint weniger als Vision der Phantasie als ein Herr am Strand, und Tadzio tanzt sich in Gestalt von Victor Cagnin in schlanker Eleganz durch seine Rolle, vielleicht zu erwachsen für das pädophile Element der Geschichte. Auch die vielen, aber unauffällig bleibenden Einzelfiguren tragen wenig zur Belebung des Abends bei, den Gerrit Prießnitz mit der gleichen Noblesse leitet, den die Regie vorgibt.
Am Ende waren es dreieinviertel sehr lange Stunden, elegisch, elegant, immer wieder auch seelentief – aber ein bisschen langweilig.
Renate Wagner 17.5.22