Vorstellung am 13.06.14 (Premiere am 05.04.14) – zweite Besprechung
Im Hinterhof der Macht: Sex und Verbrechen in den 60er Jahren
Je häufiger die Werke gespielt werden, desto mehr muss der Regisseur sich einfallen lassen, um dem Publikum etwas Neues zu bieten, was manchmal zu völlig absurden Inszenierungen führt, in denen man das Original nur deshalb erkennt, weil man die Musik kennt. Stoffe wie die Salome mit viel Psychologie und psychologischen Konstellationen, die auch es auch heute noch geben kann, werden gern in eine neuere Zeit verlegt. Bei Strauss‘ Salome kommt die neutestamentliche Geschichte in der Zeit der Handlung kaum noch auf die Bühne. Es wird abstrahiert, in die Moderne verlegt oder zertrümmert. Die stets naheliegende Idee, das Geschehen in die Entstehungszeit des Werks zu verlegen und zu versuchen, das Soziokulturelle dieser Zeit mitzuerfassen, ist bei „Spätzeit“-Werken wie Salome (wann ist eigentlich keine „Spätzeit“?) vielfach erprobt. Dabei ist aber unglaubwürdig, dass der Kopf des Jochanaan abgeschlagen wurde. So etwas machte man nämlich 1905 nur noch mit Gerichtsbeschluss. Dieses Glaubwürdigkeitsproblem besteht natürlich noch mehr, wenn die Handlung noch weiter an die Gegenwart herangezogen wird.
Der Regisseur Alexander von Pfeil schafft in dieser Hinsicht fast die Quadratur des Kreises. Er siedelt die Handlung etwa 1968 an, wieder eine Zeit, in der alles in Frage gestellt wird, wo sich Dekadenz, Verfall und (falsches?) Prophetentum gegenüberstehen. In die fast überinszenierte Produktion fließt indes noch sehr viel mehr ein; die Bilder sind nicht immer klar und auch nicht unbedingt stringent; daher lässt die Inszenierung selbst noch Interpretationsspielraum.
Nichts zu deuteln gibt es am Bühnenbild von Piero Vincigurerra. Die Rückseite eines Gemäuers neuzeitlicher Architektur mit einem bereits ausgehobenen und betonierten Schwimmbecken; Eingänge in das Haus dahinter und alles ziemlich heruntergekommen; nicht wie man sich Palast, Treppen und Gärten vorstellt, über die selbst ein lächerlicher, machtloser König von römischen Gnaden verfügen kann. Was sich hier zunächst tummelt, ist aber die Gefolgschaft einer sehr ähnlichen Gruppierung: eine kriminelle mafiöse Vereinigung, die auf Befehl ihres Bosses (Herodes) eine Geisel (Jochanaan) genommen hat. Dieser Gefangene unter dem Kanaldeckel des Schwimmbadabflusses mit weißem Unschuldsanzug und finsterem Bart könnte ein neuer orientalischer Prophet sein, wenn die Handlung heute spielte; 1968 drängt sich eher Andreas Baader auf. Warum er die Kreise der Gangster gestört hat, weiß man nicht; allenfalls dass er dauernd gegen die Gattin des verkommenen Bosses abgelästert hat. Das gehört sich nicht. Aber immerhin lässt man ihm seine Reiseschreibmaschine, auf welcher er seine Thesen oder Pamphlete tippt. Herodias bildet mit Herodes ein älteres Ehepaar, das sich dauernd über jedes und alles in der Wolle liegt, vor allem aber über die indezenten Avancen, die der Boss seiner Stieftochter macht, deren Onkel er auch noch ist. Deshalb hat man Salome in ein Internat geschickt. Zum gerade stattfindenden Geburtstag ihres Stiefvaters reist sie mit Köfferchen und Geigenkasten niedlich und adrett als „höhere“ Tochter an, ist aber bald angewidert von den Machenschaften ihrer Eltern und will wieder fort, als sie die Stimme des Jochanaan aus seinem Geiselgefängnis hört. Sie bleibt und will unbedingt diesen Mann kennenlernen. Der Fortgang der Geschichte ist bekannt; Alexander von Pfeil ändert sie nur zum Schluss „ein wenig“ ab.
Sanja Anastasia (Herodias); Karen Leiber (Salome); Herbert Brand (zweiter Soldat); Mitglieder des Opernchores
Dazwischen gibt es aber auf der Bühne noch sehr viel zu sehen; so viel, dass man gar nicht alles mitbekommen kann. Die Macht des Bosses ist im Verfall begriffen; seine Handlanger rechnen sich jeder eine Chance aus, ihm nachzufolgen und sind laufend in Händel verwickelt. Da wird auch einer erschossen; dauernd wird mit Pistolen, langen Messern und sogar einer Kalaschnikow herumgefuchtelt. Die fünf zankenden Juden passen als solche nicht so recht ins Bild; nur einer ist (zur Erkennung des Zusammenhangs) in religionstypische Tracht mit Kippa gekleidet. Wenn sich die ganze Bande gerade nicht streitet, dann wird gekokst oder gesoffen. Ein Tanz der sieben Schleier passt da nur zu gut hinein. Alle tanzen mit, Herodes vergreift sich aus Geilheit danach an seiner Stieftochter. Als ihm die Konsequenz seines Tuns klar wird, liegt er nur noch wie ein Häuflein Elend auf seinem Stuhl, während ihn seine Frau triumphierend umtanzt. Sie hat gewonnen. Keiner hört mehr auf den Boss und schon gar nicht auf sein „Man töte dieses Weib“, womit bekanntlich seine Stieftochter gemeint ist. Diese zieht sich unter Feuerstößen in die Menge mit ihrer Mutter und dem Pagen aus dem Geschehen hinter dem „Palast“ zurück. Dort gibt es für Salome nichts mehr zu holen. Ins Mädchenpensionat kehrt sie jedenfalls nicht zurück; vielmehr wird sie wohl eine eigene Gruppe formieren wollen.
Paul McNamara (Herodes); Karen Leiber (Salome)
Ein starkes Stück in einer starken Inszenierung und stets Leben auf der Bühne! Ausdrucksstark und detailfreudig sind dazu die Kostüme von Katharina Gault. Es ist erstaunlich, wie nahe von Pfeil an Libretto und Szenenanweisungen bleiben kann; dabei eine etwas andere Geschichte erzählt, aber dennoch Reibungen so gut wie vermeiden kann. „Im Hinterhof der Macht“ heißt dazu eine Kapitelüberschrift aus dem Programmheft. Auf der vollen Bühne voller Aktionen kommen dagegen die Beleuchtung und die Entwicklung der Personalkonstellationen zwangsläufig zu kurz.
Passend zur Regieleistung bot das Mainfrankentheater eine überzeugende musikalische Darbietung. Es wurde die von Strauss autorisierte instrumental reduzierte Fassung gespielt. Enrico Calesso am Pult des Philharmonischen Orchesters Würzburg konnte damit insbesondere bei den kammermusikalischen Passagen besondere Feinheit erzeugen, ohne dass es in dem ja nur mäßig großen Theater an Klanggewalt gebrach. Sehr konzentriert wirkte das Orchester mit einer erstaunlichen Klangkultur und setzte die farbenreiche, flirrende Partitur mit großer und lange nachwirkender Suggestivkraft um. Volle Anerkennung!
Karen Leiber (Salome)
An kleineren Häusern muss man ja hier und da beim Sängerensemble Abstriche machen; nicht so bei den Hauptrollen an diesem Abend in Würzburg. Sicher musste Karen Leiber als Salome stimmlich bei dieser hochdramatischen Partie an die Grenze gehen; aber sie konnte es, und da sie als Jungmädchen verkleidet war, nahm sie die Rolle – darstellerisch ohnehin überzeugend – etwas jugendlicher an. Johan F. Kirsten als Jochanaan hatte eine schöne sonore Tiefe; sein Gesang aus dem Untergrund war zu kräftig verstärkt, was bei Kirstens Durchschlagskraft nicht nötig gewesen wäre – aber das ist Geschmacksache. Mit Paul McNamara stand ein Tenor zu Verfügung, der die Hysterie des Herodes nicht in einem hellen und scharfen Charaktertenor abbildete, sondern über kräftiges heldentenorales Material verfügte; den Verfall dieses Protagonisten vom selbstgefälligen Bandenchef zu einem Häuflein Elend spielte er perfekt. Mit kräftigem, klarem, schön fokussiertem Mezzo sang Sanja Anastasia die Herodias – hier mal nicht als altes hässliches Weib, sondern geschmackvoll und verführerisch eingekleidet von attraktiver Bühnenerscheinung. Yong Bae Shin profilierte sich mit elegantem Tenorschmelz als Narraboth, und mit klangschönem. geradlinigem und gut verständlichem Mezzo machte wieder Sonja Koppelhuber als Page auf sich aufmerksam.
Das sehr konzentrierte Publikum im ausverkauften Haus blieb nach Beendigung der Vorstellung erst einmal regungslos, ehe sich großer Beifall Bahn brach. Der Opernfreund verleiht dem Mainfranken Theater für diese Produktion, die letztmalig am 20.06. zu sehen sein wird, als Anerkennung den Opernfreund-Stern.
Manfred Langer, 15.06.2014
Fotos: Falk von Traubenberg (weitere Fotos in der Premierenbesprechung weiter unten)