Würzburg: „Salome“

Premiere: 5. 4. 2014

In jeder Beziehung gelungen

Einen in jeder Beziehung hochkarätigen Beitrag zum Strauss-Jahr 2014 lieferte das Mainfrankentheater Würzburg mit seiner Neuproduktion der „Salome“. Dieses Stück scheint bei den Opernhäusern derzeit hoch im Kurs zu stehen. Erst vorletzte Woche konnte man es wieder in München sehen. Vergleicht man nun die Würzburger Aufführung mit derjenigen der Bayerischen Staatsoper, so ist zu konstatieren, dass die des mittelgroßen Mainfrankentheaters derjenigen am Nationaltheater München nicht nur szenisch, sondern sogar stimmlich überlegen ist, mag auch so mancher Zuschauer hinsichtlich der szenischen Seite durchaus anderer Ansicht sein. Das wurde beim Schlussapplaus des Premierenabends auch hörbar. Die Missfallenskundgebungen waren nicht von schlechten Eltern. Es ist aber eine alte Weisheit, dass vom Publikum bei der Premiere ausgebuhte Inszenierungen oft so gut sind, dass sie sich später doch durchsetzen. Solche ablehnenden Zuschauerreaktionen sind oft kein Zeichen von mäßiger Qualität der Regie, sondern ganz im Gegenteil der Verkennung der hohen intellektuellen Fähigkeiten des Regisseurs und seiner oft bahnbrechenden neuen Sichtweise auf das jeweilige Werk. Und gerade derartige Meisterleistungen seitens der Regie machen ja spannendes Musiktheater aus. Die kontroverse Aufnahme lässt die betreffende Inszenierung darüber hinaus erst überregional interessant werden und lockt von nah und fern Besucher an, was wiederum den Bekanntheitsgrad des betroffenen Opernhauses erhöht und es ins Gespräch bringt. Der Wahlspruch „Verachtet mir die kleinen Häuser nicht und ehrt mir ihre Aufführungen“ hat sich wieder einmal bestätigt.

Karen Leiber (Salome)

Alexander von Pfeils spannende Auseinandersetzung mit Strauss’ Oper gehört mit zum Besten, was die Rezeptionsgeschichte des Werkes zu bieten hat. Wie kaum ein anderer Angehöriger der Regiezunft versteht es dieser junge Regisseur, aus einer auf den ersten Blick eher banalen Grundsituation heraus eindringliche, stark unter die Haut gehende Konstellationen zu entwickeln und dem Ganzen einen ungemein packenden Gehalt zu verleihen. Dass er das Stück nicht in seinem biblischen Kontext belassen würde, war zu erwarten. Die überzeugende Lösung, auf die er und sein Bühnenbildner Piero Vinciguerra verfallen sind, ist gleichermaßen zeitgemäß wie auch stückimmanent. Sie siedeln die Handlung in der Mitte der 1970er Jahre an und lassen sie auf der Terrasse einer baufälligen Villa mit einem unvollendet gebliebenem Swimmingpool spielen. Unter lezterem befindet sich Jochanaans Gefängnis. An königlichen Prunk und Reichtum gemahnt hier nichts. Es wird ein karges, nüchternes Ambienteheraufbeschworen, eine Art Vorhof zur Macht, in dem sich von Katharina Gault modern und sehr charakteristisch eingekleidete Angehörige verschiedener Nationen versammelt haben und darauf warten, in die Zentrale der Macht vorgelassen zu werden.

Johan F. Kirsten (Jochanaan), Karen Leiber (Salome)

In diesem Umfeld lässt der Regisseur die verschiedensten Ideologien aufeinanderprallen. Herodes’ Hof wird bei ihm zu einem Tummelplatz unterschiedlicher Mentalitäten, der indes zunehmend einem ideologischen Umbruch unterworfen ist. Als Folge der nicht miteinander zu vereinbarenden religiösen und politischen Standpunkte und vielerlei Tabubrüchen sind mannigfaltigen Exzessen Tür und Tor geöffnet. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in denen manche Tote zu beklagen sind. So sinken beispielsweise der zweite Soldat und der erste Jude von Pistolenschüssen getroffen tot nieder. Diese Auswüchse erfahren bei von Pfeil manchmal sogar noch eine Intensivierung, so z. B., wenn das abgeschlagene Haupt des Jochanaan – an sich bereits ein sehr makabrer Eindruck – von Angehörigen einer fragwürdigen, sensationslüsternen Boulevard-Presse hemmungslos abfotografiert wird. Um die stückimmanenten Grausamkeiten und Perversitäten macht der Regisseur keinen Bogen, aber er nimmt das Geschehen tief ernst. Trotz der Modernisierung werden Kern und Wesensgehalt des Stückes von ihm nicht angetastet, auch wenn er dazu neigt, öfters mal einen draufzusetzen. Das gibt seiner Regiearbeit, die sich zudem durch die hervorragende Herausarbeitung der zwischenmenschlichen Beziehungen und eine stringente Personenregie auszeichnet, eine besondere Würze und lässt die heruntergekommene Hofgesellschaft umso anrüchiger erscheinen.

Karen Leiber (Salome), Paul McNamara (Herodes)

Salome ist kein Teil dieser dekadenten Welt. Von Pfeil zeichnet sie als zu Herodes’ Geburtstagsfeier von ihrem Studienort heimkehrende Studentin, die aber angesichts der lüsternen Blicke ihres Stiefvaters gleich wieder die Koffer packt und sich dem Ganzen kurzerhand wieder entziehen will. Was der vom Regisseur stark aufgewerteten, von Beginn an präsenten und sich sexuell mit einem Leibwächter – im Original der erste Soldat – vergnügenden Herodias – im Umgang mit Tschechow’schen Elementen zeigt sich von Pfeil sehr versiert – nicht glücken will, nämlich sie aufzuhalten, gelingt im letzten Augenblick Jochanaans Stimme. Der Prophet erscheint als ausgemachter Fanatiker, der seine revolutionären Aufrufe mit Hilfe einer Schreibmaschine auf Papier bannt. Auf diese Weise überdauern die Schmähungen der Königsfamilie den gewaltsamen Tod ihres Schöpfers und sichern das Fortbestehen seiner Ideen, die auch Salomes Einstellung zu der Welt ihrer Eltern allmählich verändern. Ihren Schleiertanz, an dem sich praktisch von Anfang an der ganze Hof beteiligt, führt sie eher gehemmt und lustlos aus und muss sich zum Schluss obendrein von Herodes vergewaltigen lassen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich unter diesen Voraussetzungen bei der jüdäischen Prinzessin ein ausgemachtes Trauma entwickelt, das aus der anfänglich recht naiv anmutenden, elegant gewandeten Tochter aus gutem Hause zu guter Letzt eine ausgemachte femme fatale werden lässt, die über Leichen geht. Am Ende überlebt sie und verlässt zu den Schlusstakten mit Herodias und dem als junge, hübsche Frau vorgeführten Pagen den Ort des tragischen Geschehens. Wer wird diesem weiblichen Trio infernale noch zum Opfer fallen?

Paul McNamara (Herodes), Sanja Anastasia (Herodias)

Eine Glanzleistung erbrachten GMD Enrico Calesso und das bestens disponierte Philharmonische Orchester Würzburg. Die von Dirigent und Musikern an den Tag gelegte Klangkultur offenbarte sich in schillernden Farben derart kraftvoll, intensiv und geradezu berauschend, dass man gar nicht mehr merkte, dass der Aufführung eine reduzierte Fassung der Partitur zugrunde lag. Calesso ist eine nuancierte Feinabstimmung der verschiedenen, von ihm perfekt zusammengehaltenen Orchesterstimmen gelungen, wobei er prägnante Höhepunkte zu setzen wusste, den Sängern aber stets ein umsichtiger Partner war.

Und was für phantastische Gesangssolisten hat das Mainfrankentheater doch aufgeboten! Erneut wurde offenkundig, über welchen erstklassigen Sängerstamm das Würzburger Opernhaus verfügt, der nur durch wenige Gäste ergänzt wurde. Fast sämtliche, auch noch so kleine Rollen waren mit beeindruckenden Stimmen besetzt. Dieses tolle Ensemble muss sich hinter denjenigen großer Häuser nicht verstecken. Dass die Sänger am Premierenabend erheblich besser abschnitten als neulich ihre weit berühmteren Münchner Kollegen wurde oben bereits erwähnt. Dass auch an kleinen Häusern wie dem Würzburger vokale Schätze zu heben sind, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Jedenfalls ist Intendant Hermann Schneider und Enrico Calesso herzlich dafür zu gratulieren, wie sorgfältig sie bei der Auswahl ihres Ensembles vorgegangen sind.

Karen Leiber (Salome)

Gut nachzuvollziehen war schon ihre Entscheidung, die Titelpartie Karen Leiber anzuvertrauen, die diese Saison bereits eine fulminante Elsa sang und auch von ihrer Mainzer Lady Macbeth her noch in bester Erinnerung war. Schon darstellerisch entsprach sie der regielichen Anlage der Salome voll und ganz. Aber auch gesanglich vermochte sie mit ihrem trefflich italienisch fokussierten, profunden Sopran und sicheren, keinerlei Schärfen aufweisenden Spitzentönen für sich einzunehmen. Ein gelungenes Rollendebüt legte der Bassist Johan F. Kirsten als Jochanaan hin. Zwar war bei einigen hoch gelegenen Stellen, an denen er etwas vom Körper wegging, schon zu merken, dass seine Tessitura der baritonalen Lage des Propheten nicht ganz entsprach. Insgesamt hatte er seine Stimme aber gut im Griff und vermochte mit sonorer, kräftiger und ausdrucksstarker Tongebung seiner Partie, die er auch famos spielte, ein beeindruckendes Profil zu geben. Weitab von herkömmlichen Rollenklischees präsentierte sich der Herodes von Paul McNamara. Hier haben wir es mit keinem Rollenvertreter zu tun, der sich dem Tetrarchen mit maskiger, mehr deklamierender als singender Tongebung näherte, sondern um einen prachtvollen, vorbildlich gestützten Heldentenor mit schöner baritonaler Grundierung, der seinen Part wirklich sang und jeder Note ein spezifisches Gewicht zu geben wusste. Er war wirklich eine Luxusbesetzung für diese Charakterpartie. Neben ihm bewährte sich sowohl schauspielerisch als auch stimmlich die über großes darstellerisches Charisma und einen markanten Mezzosopran verfügende Sanja Anastasia in der Rolle der Herodias. Wunderbares, geradlinig und einfühlsam geführtes, dabei vorbildlich verankertes Tenormaterial brachte Yong Bae Shin für den Narraboth mit. Mit kraftvollem, tiefgründigem Mezzo wertete Sonja Koppelhuber die kleine Partie des Pagen auf. Auch die wenigen Worte des Sklaven waren ihr anvertraut. Klangschön und kultiviert kündete David Hieronimis erster Nazarener von den Wundertaten Christi. Sekundiert wurde er von Paul Henrik Schulte, der erheblich fundierter sang als so mancher anderer Vertreter des zweiten Nazareners. Gleichermaßen stimmversiert gaben Taiyu Uchiyama und Herbert Brand die beiden Soldaten. Tadellos sang der junge Georg Festl den Cappadozier. Besser als man es auch an den größten Häusern sonst gewohnt ist, erlebte man das Judenquintett. Zwar sangen Deuk-Young Lee und Tobias Germeshausen recht dünn, aber die Stimmen von Algirdas Drevinskas, Joshua Whitener und Hyeong-Joon Ha saßen ordentlich im Körper.

Fazit: Ein preisverdächtiger, festspielwürdiger Opernabend, der dem Mainfrankentheater alle Ehre macht und von dem man sich eine DVD-Aufzeichnung wünschen würde. Ein Besuch der Aufführung wird dringend empfohlen!

Ludwig Steinbach, 6. 4. 2014

Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg und Nico Manger.