Achtmal „Un Ballo in Maschera“ und nur eineinhalb Ärgernisse
1.Opus Arte DVD, ROH London, 1975: „Ein begeisternder Oldtimer nicht nur für Nostalgiker!“
Es ist rührend anzusehen: alle sind noch so jung und schlank, kein Wunder, ist die Aufnahme doch ganz 45 Jahre alt. Entsprechend dürftig ist die Technik. Der typische 70iger Jahre Sound ist recht schwach, das Bild könnte schärfer sein und die Bedienung ist recht umständlich. Und trotzdem! Der Oldtimer hat was! Derart strahlend und begeisternd hat man den Domingo schon lange nicht mehr gehört. So erlebte ich ihn auch damals zum ersten Mal, nach nächtelangem Anstehen um Karten. Sicher, seine Stimme hat in der Salzburger Einspielung schon an Breite gewonnen, aber auch an Routine, aber diesen enthusiastischen Totaleinsatz gibts nur hier! Doch auch Cappuccilli ist in Hochform! Wo sind solche Stimmen heute noch anzutreffen: mächtig aber auch kultiviert? Reri Grist als süß zwitschernder Page Oskar und der Abbado am Pult, einfach mitreißend! Ricciarelli war mit der Amelia schon stark an ihre Grenzen gekommen, scharfe Höhen verraten das unbarmherzig. Dennoch: welch ein Totaleinsatz! Schenks Regie ist zwar selbst für die damalige Zeit recht bieder, aber wenigstens macht er nichts kaputt. Also pures Genießen.
2.Arthaus, (nicht mehr im Katalog, aber erhältlich), DVD, Salzburg, 1989: „Karajans Fluch!“
Alles war so schön geplant für ein Superevent ganz auf IHN zugeschnitten, lauter First Class Sänger, ein bombastisch größenwahnsinniges Bühnenbild und eine leere Regie, die garantiert dem großen Meister die Show nicht stehlen würde. Aber dann starb ER. Und Solti musste in die Bresche springen, ja und der war den ganzen langen langweiligen 1.Akt wie gelähmt. Da kam nur heiße Luft aus dem Orchestergraben. Nun sind die hier zu bringenden flotten leichten Töne allerdings ohnehin nicht Soltis Sache. Als er dann aber im 2. Akt die Orchesterwogen dramatisch aufbäumen lassen konnte, da war er schon mehr in seinem Element. Die Spannung setzte jetzt das ganze Haus in Brand. Und die beiden großartigen Solisten konnten voll mithalten. Vom damals voll im Saft stehenden Domingo war das schon zu erwarten gewesen, aber auch Josephine Barstow steigerte sich zu herrlich dramatischem Höhenflug. Und Leo Nuccis entsetzter Aufschrei, als er seine Frau in der verschleierten Gespielin seines Freundes erkannte, der blieb einem den ganzen Abend im Ohr. Großartig! Auch zum Beginn des 3. Aktes hielt Nucci sein Niveau, so ergreifend hatte man diese herrlichste Baritonarie Verdis selten gehört! Danach schaute alles nur noch auf das Kulissenverschiebungswunder das Schlesinger da sicher im Auftrag Karajans inszeniert hatte. Von einer Personenregie war nichts zu merken. Domingo brauchte die aber auch nicht für seine pathologisch hochinteressante Sterbestudie. Die anderen blieben reine Staffage. Schade.
3. DGG, DVD, MET, 1991: „Ein echtes Stimmfest der Superlative!“
Es ist meines Erachtens sicher Pavarottis beste Aufnahme des Riccardo/Gustavos und übertrifft sogar noch die von 1980, ebenfalls aus der MET und unter Levine und ebenfalls bei der DGG erhältlich, jetzt aber nicht mehr im Katalog aufgeführt. Aber hier hat er ein Maß an Ausdrucksstärke und Sensibilität erreicht, das schlichtweg überwältigt. Sein Mienenspiel unterstützt darüber hinaus den vokalen Ausdruck, so dass man seine sonstige körperliche Starrheit gar nicht mehr wahrnimmt. Er allein wäre es schon wert, diese Aufnahme wieder und wieder zu hören. Dass Leo Nucci ein charaktervoller und höchst eindrucksvoller Singschauspieler ist, war mir natürlich schon immer bekannt. Aber auch er übertrifft seine anderen Einspielungen als Renato hier noch einmal. In seiner großen Arie im 3. Akt bietet er stimmtechnisch und vom Ausdruck das Maximum an Gesangkultur. Die dritte Spitzenleistung kommt von der Darstellerin des Oskar. Harolyn Blackwell bietet nicht nur Koloraturgesang in Vollendung, sondern spielt den Pagen äußerst überzeugend bis in die Verzweiflung bei Gustavos Sterbeszene hinein. Die vierte der herrlichen
Stimmen gehört Aprile Millo, deren mächtiger Verdisopran so richtig in die MET passt, wo sie auch entsprechend gefeiert wurde. Für mich ist sie leider rein optisch in einer DVD schwer erträglich, zumal mit dieser fürchterlichen spießigen Perücke. Dass ihretwegen ein König seinen besten Freund betrügt, das erscheint mir selbst für die abstrusen Opernverhältnisse doch recht unglaubwürdig. Auf der Bühne über 20
Meter Entfernung mag das anders wirken. Levine dirigiert einen mitreissenden Verdi. Musikalisch auf jeden
Fall eine absolute Spitzenaufnahme. Die Regie Piero Faggiones macht nichts kaputt, bietet aber ausser gigantischen Bühnenprunk im Stile des 19. Jahrhunderts nur langweilige Steh-Oper. Naja, wenigstens lenkt er durch eigene verrückte Zutaten nicht vom Geschehen ab, wie das ja heutzutage leider oft geschieht. Also: Zurücklehnen und nur genießen. Ist auch mal schön!
4 Euroarts, Blu-Ray, Leipzig , 2005: „ Ein Kostümbildner läuft Amok“
Ich sehe mir ja gerne Aufnahmen an, die nicht gerade in den Hochburgen des Opernbetriebs entstanden sind. Denn da gibt es wirklich oft interessantere Inszenierungen und neue Stimmen zu entdecken. In Leipzig dominiert zunächst einmal Chailly am Pult. Das ist Weltklasse, was er und das Gewandhausorchester da bieten. Als Amelia überrascht eine leidenschaftlich spielende und singende Amelia, wie man sie auch an den größten Häusern nicht besser erleben kann. Ihr begeisternder Totaleinsatz, selbst wenn sie gar nicht „dran“ ist, hebt sie weit über die meisten ihrer Konkurrentinnen hinaus. Wenn Chiara Taigi Stimme auch noch das letzte Quäntchen besonderer Stimmqualität hätte, wäre ihr eine gigantische Weltkarriere absolut sicher. Massimliano Pisapia als robuster höhensicherer Riccardo singt zwar nicht allzu sensibel, ist aber durchaus sympathisch. Strohtrocken, steif und mit harter Stimme sein Freund Renato (Franco Vasallo.), nett und locker der Page Eun Yee You. Die hellstimmige großartige Ulrica von Anna M Chiuri wird leider durch einen von allen guten Geistern verlassenen Kostümbildner als überdimensionierter Igel (!!!) verunglimpft. Aber nicht nur sie, sondern die ganze Inszenierung, macht er durch seine hässlichen und blödsinnigen Kostüme kaputt. Dass den niemand bei seinem gnadenlosen Amoklauf zu stoppen vermochte! Originell an der ganzen auch sonst langweiligen Herumsteh-Inszenierung ist eigentlich nur noch der Schluss: da tobt ein surrealistisch verrückter Mummenschanz vor einer lichten blauen Glaskuppel, die sich nachher über dem sterbenden Riccardo schließt.
5. Opus Arte, DVD/Blu-Ray, Madrid/ London, 2008: „Musik Note 1, Regie 6, (da nicht vorhanden)“
Nein, neue Aspekte bringt diese Inszenierung wirklich nicht, sie ist tarditionell bis zum Überdruss, ohne die Personen zu charakterisieren oder ihr Handeln auch nur irgendwie verständlich zu machen. Das Bühnenbild ist ebenso uninspiriert und langweilig. Da kommt selbst bei mir richtige Sehnsucht nach gutem Regietheater auf. Musikalisch bietet Jesus Lobos Cobos gutes Orchesterdrama und spannenden Drive. Der sympathische Marcelo Alvarez ist kein großer Schauspieler, singt aber überwältigend gut, mit geradezu jubelnder Höhenattacke und stimmfrisch bis zum Schluss der anstrengenden Partie. In der Sterbeszene wird er dann von der nicht vorhandenen Regie total allein gelassen und hilflos auf einen Stuhl gesetzt. Leider ist seine matronenhafte Amelia so kein glaubwürdiges Liebesobjekt, für das man sogar seinen besten Freund betrügen würde. Violeta Urmana merkt man aber auch den ehemaligen Mezzo an, (inzwischen 2020 ist sie ja wieder zu Klytämnestra usw. zurückgekehrt). Wie sie ihre Höhen mit Riesenstimme herauswuchtet, ist schon bewundernswert, auch wie Alvarez daneben rein akustisch bestehen kann! Das spricht schon für seine sehr gute Technik. Immerhin: das Duett im 2. Akt brachten die beiden so großartig, dass das Publikum lange und berechtigte Ovationen spendete. Total langweilig in Spiel und Gesang ist der Renato von Marco Vartonga als Totalausfall. Hervorragend spielend und in brillanten Höhen zwitschernd Alessandra Marinelli, hier sehr niedlich als blutjunger Page Oscar kostümiert. Elena Zaremba als Ulrica sieht eher wie eine Salondame aus, singt aber grandios mit hellem Mezzo und erspart uns die sonst übergewichtigen grusligen Voodooweiber. Eine sehr gute Repertoiraufführung, die eine bessere Regie verdient hätte!
6. C Major, DVD, Parma, „Tutto Verdi“, 2013: „Große Oper in herrlich malerischem Bühnenild!“
Aus der berühmten Oper in Parma kommt eine auch optisch sehr interessante Aufnahme. Als erstes fiel mir dieser herrliche Tenor als Riccardo auf. Seine Stimme und Diktion begeisterten mich sofort, denn hinter dem ungewohnten Bart habe ich ihn nicht gleich erkannt: das ist ja Francesco Meli! Noch nicht so elegant singend wie dann 2014 in der Arena, aber allemal schon was ganz Besonderes. Seine Amelia steht ihm nicht im Geringsten nach. Von Kristin Lewis. habe ich das auch nicht anders erwartet. Eleganter Verdigesang, eine große Stimme, immer stilvoll und motionsgeladen. Großartig! Ganz unverständlich dann für mich der spärliche Applaus. An der Scala wird sie gefeiert, im launischen Parma dagegen blitzt sie ab!! Schwachpunkt der Aufnahme war dann der langweilige Renato (Vladimir Stoyanov.), mit uninteressanter Stimme und kaum vorhandener Bühnenpräsenz. Der nun hinwiederum, ich glaubte es kaum, wurde vom angeblich so kritischen Publikum frenetisch gefeiert. Ein Rätsel, auch wenn er, wie ich zugebe, seine große Arie im 3. Akt einigermaßen gut hinter sich brachte. Aber auch nicht mehr. Hervorragend dagegen wieder der quicklebendige Page, der mich schon in der Aufnahme aus der Arena voll begeistert hat: Serena Gamberoni, das ist wirklich nicht mehr zu toppen. Ebenso wie Elisabetta Fiorillo als Ulrica, wenn auch, wie ja weltweit alle Ulricas, albern kostümiert. Die große Überraschung für mich waren dann aber die überaus schönen romantischen Bühnenbilder. Vor allem der 2. Akt mit dem wunderbaren Bühnenbild ganz nach dem herrlichen Gemälde von C.D. Friedrich „Klosterruine im Schnee“ bezauberte mich alten Romantiker.
7. C Major, 1 DVD/Blu-ray, München, 2016: „Fade Regie killt Verdis spannendes Melodiendrama“
Wieder mal eine Inszenierung, die unbedingt psychologisch interessant sein will und doch nur die grandiose Musik konterkariert und lähmt. Und das so stark, dass diese Lähmung dann sogar den sonst gar nicht faden Zubin Mehta angesteckt hat? Es spielt alles in einem Schlafzimmer mit geschwungener Treppe nach oben, wie man sie aus alten Revuefilmen mit Marika Rökk nur allzu leidvoll in Erinnerung hat. Ebenso sinnlos wie öde. Nun ja, wenn nur wenigstens die Personenregie nicht auch noch wie in Zeitlupe wirken würde. Darüber hinaus gibt’s groteske Szenen, so wenn das Liebespaar, wie in einem Konzert nebeneinander im Bett stehend, sich seiner Liebe versichert und der Ehemann einen Meter daneben im selben Bett „schnarcht“. Oder bei Renatos großer Erinnerungs-Arie ein Johannes Heesters im Frack Marika Rökk im Brautkleid die blöde Treppe hochträgt. So viel Kitsch hat Verdis herrliche Musik nicht verdient. Und die Regietheaterfans auch nicht. Dieser pausenlos pseudopsychologisierende Blödsinn nimmt dem doch recht spannenden Geschehen jeden Pepp und ist auf die Dauer nur noch langweilig. Obwohl Piotr Beczala als auch Anja Harteros natürlich himmlisch singen und Okka v.d. Damerau geradezu vorbildlich die Ulrika orgelt und spielt. Blass dagegen Petean, dem man den eifersüchtigen Gatten überhaupt nicht abnimmt. Blödsinnig: wieder der Mord im 3. Akt, denn alle stehen da im dauernd präsenten Ehebett herum! Schade um die verpasste Chance und doppelt schade, dass diese überflüssige Produktion auch noch als DVD erscheinen musste. Die Harteros- und Beczala-fans hätten Besseres verdient. Und erst recht die Anhänger des Regietheaters.
8. 3-Sat, Leider noch (?) keine DVD, Arena Verona, 2014: „Die DVD-Labels haben da was verpasst!“
Meines Erachtens ist das eine der sympathischsten und besten Produktionen dieser großartigen Oper. Auch wenn sie, oder gerade, weil sie, ohne die hochgejubelten Superstars auskommt. Die sehr schöne und intelligente Inszenierung stammt von Pierluigi Picci. Höhepunkt ist der großartig angelegte 2. Akt. Den Riccardo singt Francesco Meli, einer der wohl zurzeit besten Verdi- Tenöre, der ebenso elegant singt wie agiert. Unermüdlich ist seine leichte Höhenpräsenz, so sensibel wie man es in der Arena selten hört, denn da werden ja mehr die lauten robusten Töne bejubelt. Die liefert mit gewaltiger Stimme Luca Salsi, der führende Verdi Bariton, der mir aber fast immer etwas zu sehr auf reine Stimmgewalt setzt. Hui He hat den typischen Verdiklang und spielt elegant wirkungsvoll. Serena Gamberoni ist der hinreißende Page, die ihrem Getriller auch Inhalt zu geben weiß und großartig spielt. Die Ulrika Elisabetta Fiorillos orgelt ihre Partie wie es sich gehört und bemüht sich, keine Hexe zu sein. Für das spannende Dirigieren ist der junge Andrea Battistoni zuständig. Ein extra Bravo für ihn!
Fazit: da es die Aufnahme aus Verona (Nr. 8) noch nicht gibt, empfehle ich als Stimmfest die aus der MET mit dem besten Riccardo aller Zeiten. Romantikern sei das Bühnenwunder aus Parma gegönnt (Nr. 6). Domingofans dürften mit (Nr. 1) selig werden. Den Liebhabern des Regietheaters kann ich leider keine der Aufnahmen richtig empfehlen. Dabei gibt es bei Youtube ganz interessante Aufführungen zu sehen. Sicher erscheinen solche Experimente den Marketingstrategen der Firmen zu riskant für die Absatzzahlen. Allen anderen viel Vergnügen!
Peter Klier, 12. Mai 2023