Berlin: „Lucia di Lammermoor“, Gaetano Donizetti

Nicht einmal vor den Schätzen des schottischen Hochadels macht offensichtlich der Remmo-Clan Halt, gerade für den Raub der Juwelen aus dem Dresdner Grünen Gewölbe verurteilt und für den der Goldmünze aus dem Berliner Museum einsitzend, denn nun fehlen auch die Riesengoldgefäße, die in der Inszenierung von Filippo Sanjust von Donizettis Lucia di Lammermoor aller Augen im fünften Bild auf sich zogen, wohl als Hochzeitsgeschenke für das junge Paar gedacht. Nun stehen nur noch sehr viel kleinere Exemplare herum, und das ist nicht die einzige Änderung, denn in der 146. Aufführung nach der Premiere im Jahr 1980 wölbt sich plötzlich ein orangefarbener über dem zweiten und ein violetter Himmel über dem Hochzeitsfeierbild. Die passen zwar nicht zu den sonstigen sehr klaren Farben und wirken in der Szenerie, die aus der Uraufführungszeit stammen könnte mit viel bemalter Pappe und vorgetäuschtem Kerzenlicht recht befremdlich, aber man freut sich, dass offensichtlich die Absicht besteht, die Produktion weiter im Spielplan zu halten, so wie auch Ponchiellis La Gioconda, deren Optik an der DOB ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert stammen könnte und die in der nächsten Spielzeit wieder zu erleben ist.

© Bettina Stöß

Edita Gruberova hatte die Premiere gesungen, danach war Lucia Aliberti jahrelang die umjubelte Lucia gewesen, auch Elena Mosuc hatte triumphiert und viele andere, mal mit Glasharmonika, mal mit Flöte als Begleitung zur Wahnsinnsarie. An diesem Abend bedankte sich die Lucia artig bei Robert Lerch für das Flöten-Echo zu ihren Klagetönen, auch Noelia Cotuna an der Harfe war im zweiten Bild eine vorzügliche Solistin.

Rumänische Stimmen können im besten Fall die Schönheit italienischer Stimmen mit einem gewissen Etwas, apart und unverwechselbar, vereinen. Adela Zaharia hat beides, ist dazu optisch rollendeckend und sang alle Verzierungen mit perfekter Technik, aber auch immer beseelt klingend, nie als virtuoser Selbstzweck, sondern stets als Ausdruck eines Gemütszustands erkennbar. Dazu kam eine ungewohnt aktive Darstellung, die sie in der Wahnsinnsszene mal dem verdutzten Raimondo die Rolle des ersehnten Bräutigams zuteilen, mal dem ebenso konsternierten Enrico den Brautschleier überstülpen ließ. Kann man machen, muss man aber nicht. Ebenfalls nicht nur auf das Singen mit einem Mezzosopran voll Wärme und von schönem Ebenmaß beschränkte sich Maire Therese Carmack als Alisa, die eifrig die Bühne nach unerwünschten Störenfrieden absuchte.

© Bettina Stöß

Zumindest auf dem Papier des Besetzungszettels der Star war der Edgardo von Javier Camarena, ein tenore di grazia in der Nachfolge von Alfredo Kraus, der auch in dieser Inszenierung triumphierte, in deren langer Geschichte aber auch Spintotenöre wie bei der Premiere Giorgio Merighi oder später Vasile Moldoveanu gern gesehen und zu hören waren. Camarena begann etwas verhalten, von Beginn an erfreute seine Textverständlichkeit, verblüfften seine zusätzlich eingelegten Spitzentöne, auch mal im Falsettone, die Geschmeidigkeit der Stimmführung und nicht zuletzt die darstellerische Präsenz, die vergessen ließ, dass das unglückliche Liebespaar optisch eigentlich nicht besonders gut zueinander passte. In dieser Hinsicht hatte der Sopran auch mit dem Arturo von Ya-Chung Huang nicht viel Glück, der aber und auch im Sextett am Schluss des zweiten Akts sich mehr als wacker behauptete. Eingesprungen als Enrico war der Georgier Michael Bachtadze, der mit schönen Schwelltönen, der Respektierung auch der kleinen Notenwerte, weniger mit einem Ausnahmetimbre erfreuen konnte. Leider wie die Turmszene gestrichen ist in dieser Produktion die Arie des Raimondo, den Byung Gil Kim in dunkler Zuverlässigkeit sang, während Patrick Cook als Normanno bewies, dass auch Tenöre eine Brunnenvergifterstimme haben können.

© Bettina Stöß

Begann es etwas wacklig mit der Chorszene, in der die Mannen Enricos und das Orchester sich nicht immer einig waren, so war insgesamt doch Matteo Beltrami ein zuverlässiger Begleiter, hörbar mit dem Wissen um die dienende Funktion des Orchesters in einer Belcanto-Oper wie dieser. Das Hingehen lohnt sich!

Ingrid Wanja, 18. Mai 2023


Lucia di Lammermoor  

Gaetano Donizetti

Deutsche Oper Berlin

145. Aufführung am 17. Mai 2023 nach der Premiere am 5. Dezember 1980

Inszenierung, Bühne und Kostüme Filippo Sanjust

Musikalische Leitung Matteo Beltrami

Orchester der Deutschen Oper Berlin