Premiere: 9.Februar 2013
Musikalische Qualität in Stuhl-und Lampenausstellung!
Florian Scholz hat die Intendanz des Hauses ab 2012/13 übernommen und seine erste Saison unter das Motto „Naturgewalten“ gestellt. Nach „Der Freischütz“ und „Das schlaue Füchslein“ folgte nun mit „Idomeneo“ die dritte Opern-Premiere – und da geht es ja wirklich um Naturgewalten. Mozarts Librettist Varesco fügte – im zeitgebundenen Verständnis antiker Mythologie – extreme äußere Situationen aneinander. Hier drei Beispiele aus den szenischen Anweisungen im Libretto: „Poseidon erscheint über dem Meer. Er besänftigt die Winde durch eine Gebärde“ (1.Akt) – „Ein Gewitter erhebt sich; das Meer schwillt an, es donnert, häufige Blitze stecken die Schiffe in Brand; ein gewaltiges Ungeheuer entsteigt den Wellen“ (2.Akt) – „Ein gewaltiges Erdbeben wird hörbar, die Statue Poseidons erzittert“ (3.Akt).
Das szenische Leading-Team kümmert sich allerdings weder um das Motto des Intendanten noch um die szenischen Anweisungen des Stücks. Der für das Bühnenbild verantwortliche Norweger Rune Guneriussen präsentiert im 1.Akt aufeinandergetürmte Stahlrohrsessel (übernommen aus einer seiner Web-Installationen – http://www.thejunction.de/ ), im 2.Akt eine Lampeninstallation (übernommen aus einer eben erst stattgefundenen Wohnungsausstellung – siehe:
http://die-wohngalerie.blogspot.co.at/2012/10/leuchten-installationen-von-rune.html
und im 3.Akt die völlig leere Bühne mit einem darüber gespannten weißen Segel. Diese Installationen, die keinerlei Bezug zum Idomeneo ergeben, sind übrigens nur sichtbar, wenn der Chor beteiligt ist. Bei einem Großteil der Arien, Rezitative und Solistenensembles wird das Ganze gnädig durch einen eigens montierten Zwischenvorhang verdeckt, vor den die Solisten treten, sodass eigentlich das Ganze eher wie eine konzertante Aufführung wirkt.
Dazu kommt die „Kostümierung“ durch Axel Aust, der alle Männer – seien sie nun der König, sein Vertrauter, der Oberpriester oder die Choristen – in graue Anzüge samt Krawatte steckt. Allerdings: wohl als Zeichen der emotionalen Spannung erscheint Idomeneo bei seinem Schiffbruch und am Ende bei der geplanten Hinrichtung des eigenen Sohns im weißen Unterhemd…
In diesem sterilen Umfeld bleibt dem Regisseur Árpád Schilling nur, die Auf- und Abtritte zu organisieren. Alle Solisten wirken allein gelassen, eine situationsadäquate Personenführung gibt es kaum. Der Chor – übrigens durch Günter Wallner sehr gut einstudiert und stimmlich auch bei den Solostellen auf hohem Niveau – bleibt dem Installationscharakter der Inszenierung angepasst ein statischer Block. Und in diesem starren Rahmen überrascht es nicht, dass es kein Ballett gibt. Das Programmheft verweist zwar darauf, dass der Aufführung die Neue Mozart-Ausgabe von Daniel Heartz im Bärenreiter-Verlag zugrunde liegt. Das gilt aber leider nur für den musikalischen Teil. Im Vorwort der Neuen Mozart-Ausgabe heißt es: „Eines der wesentlichen Anliegen der Idomeneo-Edition besteht darin, dem Ballett als einem wichtigen Bestandteil der Oper seinen ursprünglichen, ihm von Mozart zugedachten Platz zurückzugewinnen.“
Die Klagenfurter Produktion bietet zwar die Ballett-Musik im Finale, verabsäumt es aber völlig, diese szenisch – wenn schon aus Finanzgründen nicht durch eine Ballett-Gruppe, so zumindest choreographisch durch den Chor – zu gestalten. Stattdessen muss man der zunächst Fingernägel kauenden, sich mit ihren Stöckelschuhen beschäftigenden, dann sich Idomeneo anbiedernden Elettra zuschauen, die – nachdem das neue Königspaar Idamante/Ilia mit dem Chor durch das große Tor der Hinterbühne entschwunden ist – dem offenbar seinem Thron nachtrauernden abgetretenen König das Richtbeil bringt.
Aber einen großen Vorteil hat diese halb- – fast möchte man sagen viertel- -szenische Präsentationsform: Den Solisten wird für ihre schwierigen Gesangsaufgaben kein Aktionismus vorgegeben – sie können sich auf den musikalischen Part konzentrieren. Und hier bietet die Klagenfurter Produktion hohes Niveau.
An der Spitze des Ensembles stehen für mich die Elettra von Sofia Soloviy und der Idamante von Jurgita Adamonytė. Die ukrainische Sopranistin Soloviy hat schon relativ große internationale Erfahrung und gestaltete ihre erste Elettra mit sicherer Technik und vielen, den unterschiedlichen Gefühlszuständen entsprechenden Stimmschattierungen ausgezeichnet. Ihre lyrischen Phrasen überzeugten ebenso wie ihre Hassausbrüche.
Auch die Litauerin Adamonytė hat trotz ihrer Jugend schon an vielen großen Bühnen gesungen und in Klagenfurt zuletzt im „Schlauen Füchslein“ überzeugt. Ihr Idamante hat charismatische Ausstrahlung, ihre Stimme berührt und bewältigt die schwierige Partie makellos.
Lothar Odinius als Idomeneo ist ein überaus koloraturensicherer Interpret. Alles ist technisch souverän gestaltet, wenn auch für mich die Stimme in den lyrischen Passagen ein wenig trocken klingt.
Die Ilia der erst 28-jährigen Russin Evgeniya Sotnikova zeigt gute Ansätze. Im Piano hat sie ein einnehmend-individuelles Timbre, leider sitzt die Stimme ab dem mezzo forte nicht mehr richtig „im Körper“ (um einen derzeit im „Opernfreund“ diskutierten Terminus zu verwenden) und ist dann nicht mehr zentriert. Schade auch, dass sie besonders im 1.Bild recht unvorteilhaft kostümiert ist.
Die drei kleineren Rollen – Arbace (Patrick Vogel – leider ohne eine der drei Arien), Oberpriester (Thomas Tischler) und Stimme (David Steffens) – waren sehr solid aus dem fixen Hausensemble besetzt. Recht peinlich allerdings die szenische „Lösung“ für den Orakelspruch:
Im Zuschauerraum wird es licht, der junge Sänger erhebt sich in einer Balkonloge, singt seine kurze Passage und setzt sich dann wieder auf seinen Platz. Also keine „Botschaft des Himmels“, wie es im Libretto heißt, sondern offenbar die „Volkesstimme“ – welch hilfloser Regie“einfall“!
Wesentlichen Anteil am musikalischen Erfolg haben zweifellos mehrere Umstände:
– Die Größe des Hauses mit seinen 800 Plätzen passt ideal für Mozart,
– das Sängerensemble war optimal zusammengestellt,
– Chor und Extrachor sind auf hohem Niveau
– und das Kärntner Sinfonieorchester war durch den jungen englischen Dirigenten Alexander Soddy (der schon bei der Saisoneröffnung im Freischütz überzeugte und ab nächster Saison Chefdirigent in Klagenfurt wird) ausgezeichnet vorbereitet. Die musikalische Spannung wurde stets gehalten, da gab es keine Kontaktprobleme zwischen Bühne und Orchester und so manch schön musiziertes Instrumentalsolo.
Am Ende gab es freundlichen Beifall für die Sängerinnen und Sänger sowie den Dirigenten, beim Erscheinen des szenischen Teams mischte sich hörbares Murren darunter.
Hermann Becke
Alle Fotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Aljosa Rebolj
Links
Die großartige Elettra-Arie „D’Oreste,d’Aiace“ aus dem 3.Akt hat übrigens Sofia Soloviy beim Viotti-Wettbewerb im Jahre 2009 gesungen (1.Preis und Publikumspreis) >
Interview mit dem Regisseur Árpád Schilling
Weitere Idomeneo-Vorstellungen in Klagenfurt:
9., 12., 14., 16., 20., 22., 27. Februar; 1., 3. Marz 2013