Aufführung am 30.7.16 im Palazzo Ducale (Premiere)
Die Geschichte der Liebe zwischen Francesca da Polenta und Paolo Malatesta wird von Dante Alighieri in seiner „Göttlichen Komödie“ erzählt, wo er die beiden verschwägerten, ehebrecherischen Gestalten in einen Kreis der Hölle verbannt; dennoch schwingt in den Worten des größten italienischen Dichters so etwas wie Mitleid mit den beiden mit. Ein derartiges Gefühl dürften auch die zahlreichen Komponisten verspürt haben, die sich von der tragischen Geschichte inspirieren ließen: Auf instrumentalem Gebiet seien zumindest Tschaikowsky und Liszt erwähnt, eine Oper widmeten dem Thema u.a. Feliciano Strepponi (Vater der zweiten Frau Verdis!), Ambroise Thomas, Konradin Kreuzer (!) und Rachmaninow. Die relativ bekannteste Fassung stammt von Riccardo Zandonai auf einen Text von Gabriele d’Annunzio.
In Martina Franca hatte man es mit einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Uraufführung zu tun, denn Saverio Mercadante, gebürtig aus dem apulischen Altamura, schrieb 1830-31 in Madrid eine Oper dieses Titels, die aus den verschiedensten Gründen nie die Bühne erreichte, obwohl sie an der Mailänder Scala gegeben werden sollte. Hier war es die berühmte Giuditta Pasta, die die Aufführung hintertrieb, da sie befand, in der Hosenrolle des Paolo nicht genügend im Mittelpunkt zu stehen. Das auf einem Drama des italienischen Freiheitshelden Silvio Pellico basierende Libretto stammt wieder einmal von Felice Romani und ist die Basis für immerhin drei Stunden und fünf Minuten Musik, während derer es zu keinem Ehebruch kommt und Francesca sich ins Kloster zurückziehen will (was wohl teils der Zensur, teils einer typisch romantischen Sicht der Dinge geschuldet ist)..
Das Faktum dieser Uraufführung stellt natürlich eine kleine Sensation dar, aber wie gewichtig ist die Musik Mercadantes, der mit seinem Geburtsjahr 1795 ein Zeitgenosse von Donizetti und Bellini war und in seinem Todesjahr 1870 den Aufstieg eines Giuseppe Verdi miterlebte? Von seinen 58 (!) Bühnenwerken sind „Il bravo“ und „Il giuramento“ wenigstens dem Titel nach im Gedächtnis geblieben. Hört man seine „Francesca“, so versteht man auch, warum er hinter den vorgenannten Komponisten zurückstehen musste: Seine Musik hat immer wieder inspirierte Einfälle, die er aber nicht zu einem dramatischen Knoten zu schürzen versteht, er ist kein Erneuerer, bleibt unter Rossinis Einfluss, einem sich überholenden Modell verhaftet (was auch durch die Entscheidung, für die Figur des Liebhabers eine Hosenrolle vorzusehen, bestätigt wird). Der Vergleich mit Bellinis zeitgleich uraufgeführter „Norma“ ist erdrückend.
Dessen ungeachtet eine eines Festivals würdige Ausgrabung, die von Fabio Luisi am Pult des Orchestra Internazionale d’Italia vorbildlich betreut wurde. Das Orchester bemühte sich sehr, den romantischen Vorgaben des Komponisten und Luisis einer entsprechend weit ausschwingenden Interpretation gerecht zu werden. Die Sänger haben vokal äußerst anspruchsvolle Aufgaben, derer sie sich beachtenswert entledigten. Am besten klang die an der Accademia della Scala ausgebildete Japanerin Aya Wakizono, die mit weichem Mezzo dem Paolo die Süße und Glut des romantischen Liebhabers Paolo verlieh. Die Spanierin Leonor Bonilla meisterte die stimmlichen Schwierigkeiten ihrer umfangreichen Rolle professionell, doch wäre ihr Sopran einer Adina oder Norina angemessener – sie singt, wie so viele heute, über ihr Fach. Der Albaner Mert Süngü bewältigte die Rolle des betrogenen Ehemanns Lanciotto mit ihrer besonders hohen Tessitura mehr als achtbar, auch wenn sein Timbre nicht besonders reizvoll ist. Als Francescas Vater Guido ließ Antonio Di Matteo, der einzige Italiener des Ensembles, einen eher matt klingenden Bass hören. Die Vertrauten Isaura und Guelfo wurden von Larisa Martinez aus Puerto Rico bzw. dem Peruaner Ivan Ayon Rivas gegeben, wobei sich vor allem der Tenor für größere Rollen empfahl. Der von Cornel Groza geleitete Chor stammte wie in den vergangenen Jahren aus Klausenburg und tat seine Pflicht.
Die von Pier Luigi Pizzi als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner verantwortete Produktion als minimalistisch zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Es gab nämlich überhaupt kein Bühnenbild, nur die festen Seitenteile der Bühne im Hof des Palazzo Ducale waren schwarz gestrichen, die Fenster des Palastes verhüllt worden (was eine interessante, an Leon Battista Alberti und seinen Goldenen Schnitt erinnernde Wirkung ergab). Die Gewänder bestanden aus vielen Metern besonders leichter Bühnenseide, welchen Stoff Pizzi gewählt hatte, um den im Schlosshof allgegenwärtigen Wind zu nutzen, sodass die Kostüme eindrucksvoll flatterten. Absolut entbehrlich war die Choreographie von Gheorghe Iancu, zunächst, weil sie orchestrale Passagen vertanzte, da keinerlei Ballettmusik vorgesehen ist, und dann wegen einer lächerlichen Gebärdensprache, die aus in schwarz-weißen Gewändern trauernden Figuren geradezu Karikaturen machte.
In jedem Fall eine hochinteressante Begegnung, auf die der Zuschauer schon nach „Baccanali“ eingestimmt worden war, als die Pianistinnen Anastasia und Liubov Gromoglasova die Arrangements für vierhändiges Klavierspiel von Tschaikowskys symphonischer Phantasie „Francesca da Rimini“ und Liszts sogenannter „Dante-Sonate“ brillant wiedergaben, bereichert um die Deklamation einiger der zu Beginn dieses Berichts erwähnten Verse Dantes durch Schauspieler.