Valle d’Itria: „41º Festival della Valle d’Itria“

Auch das diesjährige Festival brachte auf seiner Hauptschiene vier Opern heraus, und die Daten der Programmierung ergaben bei meinem Besuch den hübschen Effekt, dass ich die Werke in der Chronologie ihrer Entstehung sehen konnte.

Zunächst also 17. Jahrhundert mit Monteverdis INCORONAZIONE DI POPPEA (29.7.): Im stimmungsvollen Chiostro di San Domenico war eine leicht gekürzte Fassung zu hören, in der auch einige Szenen umgestellt waren und für die der als sein eigener Dramaturg fungierende Regisseur Gianmaria Aliverta verantwortlich war. Ihm und seinem Team (Bühne: Raffaele Montesano, basierend auf einer Vorgabe von Aliverta, Kostüme: Alessio Rosati) standen nur sehr wenige finanzielle Mittel, dafür aber sehr viel Phantasie zur Verfügung. So bestanden die in der Festivalwerkstatt entstandenen Kostüme zum Teil aus dort bemalten Stoffen, die nicht nur pittoresk wirkten, sondern die Charaktere der Figuren scharf umrissen. In der Mitte des halbkreisförmig angeordneten Publikums befanden sich ein paar weiße Würfel verschiedener Größe, auf denen die Sänger hin- und hersprangen; Poppeas Bleibe war mit Hilfe blumengeschmückter Obstkisten angedeutet – nicht nur billige, sondern auch originelle Lösungen, die durchaus Stimmung verbreiteten.

Antonio Greco, in Martina Franca der Spezialist für Alte Musik, leitete kompetent das aus zehn MusikerInnen bestehende und auf Originalinstrumenten spielende Ensemble „Cremona Antiqua“. Als Sänger standen ihm großteils Studierende der Accademia del Belcanto „Rodolfo Celletti“ zur Verfügung. Aus ihnen stach die Israeli Shaked Bar hervor, die mit dunkel getöntem Sopran einen trotzig auf seiner Liebe bestehenden Nerone gab, mehr verliebter Jüngling als grausamer Kaiser, was den Intentionen der Regie entsprach. Mit angenehmem Sopran und hübscher Erscheinung sang Qiteria Muñoz Inglada die Poppea. Vielversprechend klangen der Seneca von Nicolò Donini und der Merkur (mit Flügeln auf den Turnschuhen!) des Baritons Kristian Lindroos, während der bei diesem Festival schon wiederholt aufgetretene Giampiero Cicino eine köstliche Studie der Amme gab. Allen Übrigen ein Pauschallob für diesen sehr animierend gestalteten Abend.

In aufsteigender Reihenfolge am nächsten Abend ein Werk des 18. Jahrhunderts:

MEDEA IN CORINTO

des Deutschitalieners Johann Simon (Giovanni Simone) Mayr. Die Oper wurde 1813 in Neapel uraufgeführt, wobei Rossinis spätere Gattin Isabella Colbran die Titelrolle sang. Später wurde diese Medea zu einer Glanzrolle von Giuditta Pasta, und als sich diese zurückzog, verschwand auch das Werk von den Spielplänen.

Mit dem Libretto hatte Mayr den aufstrebenden Felice Romani betraut, der noch ein wenig im Banne Metastasios stand, obwohl der Komponist nach der klassischen Gesetztheit von Cherubinis „Medea“ teilweise durchaus neue Wege ging, wie etwa den Einsatz einzelner Instrumente (z.B. Posaune, Harfe, Perkussion) für die spezifische Farbe bestimmter Szenen. Anders als in den bekannten „Medea“-Fassungen gibt es hier eine Figur namens Egeo, der Kreusa liebt und sich mit Medea zusammentut, um die Königstochter und Jason während der Hochzeitszeremonie zu rauben. Dieser Versuch schlägt fehl, und die Handlung nimmt mit der Ermordung Kreusas und ihrer eigenen Kinder durch Medea den üblichen Faden wieder auf. Schließlich verschwindet die Kolcherin auf einem von Drachen gezogenen Wagen, während Jason sich vergeblich selbst zu töten versucht.

Im Vorjahr hatte Benedetto Sicca mit einem Agostino Steffani im Chiostro di San Domenico gewidmeten Abend großen Erfolg gehabt, weshalb ihm nun eine Regie am Hauptspielort, dem Hof des Palazzo Ducale, anvertraut worden war. Diesmal kam seine Arbeit aber nicht so gut an, denn die Tänzer von der Fattoria Vittadini (die schon 2014 an den verschiedenen Produktionen mitgewirkt hatten) bzw. ihre Einbeziehung in das Geschehen, wurden als störend und das Geschehen verwirrend empfunden. Auch war erst dem Programmheft zu entnehmen, dass drei von ihnen Medeas Kinder bzw. Egeos Sohn verkörpern sollten. War die Bühne von Maria Paola di Francesco akzeptabel (mohnblumenübersäte Wiesen für den 1. Akt, graue Platten für den zweiten), so erwiesen sich die Kostüme von Tommaso Lagattolla als nicht sehr kleidsam und waren im Fall des nicht sehr glücklich gebauten Jason-Sängers gar eine Zumutung.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Fabio Luisi, seit dem Vorjahr musikalischer Leiter des Festivals. Ich kenne Luisi als sehr guten, häufig auch inspirierten Dirigenten, aber unter seinem Dirigat wollte das Werk in der Umsetzung durch das Orchestra Internazionale d’Italia nicht so recht zum Leben erwachen. Auch der Chor der Staatlichen Philharmonie „Transilvania“ aus Klausenburg unter der Leitung von Cornel Groza erwies sich nicht als so standfest wie in der vergangenen Saison. Für die Titelrolle wäre das Temperament von Davinia Rodriguez die richtige Wahl gewesen, doch war sie stimmlich überfordert, denn ihr Sopran besitzt nicht die nötige Basis in Mittellage und Tiefe, sodass die Dramatik zu kurz kam, was sich vor allem in der großen Szene der Verfluchung zeigte und besonders schade war.

Da auch die Kreusa von Mihaela Marcu stimmlich uninteressant und zudem sprachlich völlig unverständlich war, lag es an den beiden Tenören, die Ehre des Abends zu retten, was ihnen auch ausgezeichnet gelang: Michael Spyres wies neuerlich nach, dass er heute ein führender Vertreter des Genres baritenore ist und prunkte nicht nur mit seiner jeglichen hörbaren Registerwechsel meidenden Stimme, sondern auch mit vorbildlicher Artikulierung. Als Egeo ließ Enea Scala einen sehr schön timbrierten lyrischen Tenor hören, der vor allem die sanft-melancholischen Töne seiner ersten Arie zu wunderbarem Erblühen brachte. Der Bass Roberto Lorenzi gab einen angenehm klingenden Kreon ohne rechtes Profil, die Nebenrollen wurden von dem Mezzo Nozomi Kato (Ismene) und den beiden Tenören Paolo Cauteruccio (Evandro) und Marco Stefani (Tideo) verlässlich verkörpert.

Schöner Schlussapplaus, gemischt mit Buhrufen für Regisseur Sicca und den Choreographen Riccardo Olivier (30.7.).

Am 31.7. war man glücklich im 19. Jahrhundert angekommen:

DON CHECCO

ist ein Werk des in Apuliens Hauptstadt Bari geborenen Nicola De Giosa (1819-1885) und bot sich schon deshalb für die Aufführung bei einem in dieser Region stattfindenden Festival an. Über diese Eignung hinaus erwies sich die Wahl des 1850 in Neapel mit großem Erfolg uraufgeführten Stücks als Glücksgriff, denn der auch als Salonkomponist tätige De Giosa stellte eine Reihe köstlicher Melodien zusammen, die sich an Offenbach (übrigens auch 1819 geboren), Donizetti, dem frühen Verdi und manch anderem Komponistenkollegen inspirieren und beim Hörer umgehend beste Laune bewirken.

Die Geschichte handelt vom jähzornigen Wirten Bertolaccio, seiner Tochter Fiorina und dem Kellner Carletto, die ineinander verliebt sind. Der Wirt will für seine Tochter aber höher hinaus und fällt auf den vor dem Steuereintreiber flüchtenden Hungerleider Don Checco herein, den er für den Fürsten hält, der sich gerne verkleidet unters Volk mischt. Natürlich gibt es ein Happyend für die jungen Leute und auch für Don Checco, dem der Fürst (der die ganze Geschichte als Maler verkleidet in der Osteria Bertolaccios miterlebt hat) seine Schulden erlässt. Das Libretto von Almerindo Spadetta basiert trotz seiner im neapolitanischen Dialekt gesprochenen Dialoge.

Die in Koproduktion mit dem Teatro San Carlo in Neapel entstandene Inszenierung wurde von Lorenzo Amato (Regie), Nicola Rubertelli (Bühnenbild), Giusi Giustino (Kostüme), Franco Machitella (Licht) und Giancarlo Stiscia (Choreographie) verantwortet. In einer überaus stimmungsvollen Osteria-Szenerie und mit passenden Kostümen gelang dem Team eine humorsprühende Interpretation. Von den vielen amüsanten Regieeinfällen sei wenigstens die Situation erwähnt, wenn der schüchterne Carletto endlich erfährt, dass auch Fiorina ihn liebt: Er will sie wiederholt mit dramatisch erhobenen Armen (wie wir dies aus dem Opernalltag kennen) umarmen, läuft aber ins Leere, weil seine quirlige Angebetete schon wieder woanders steht.

Die musikalische Leitung des köstlichen Spaßes hatte Matteo Beltrami inne, der das Orchestra Internazionale d’Italia zu einem wie Champagner perlenden Klang führte. Es war klar ersichtlich, dass er und seine Musiker sich ebenso gut unterhielten wie das Publikum. In der Titelrolle stand Domenico Colaianni im Mittelpunkt, ein Erzkomödiant von einem Bariton, der sich aber nie dazu hinreißen ließ, dem Affen Zucker zu geben und so nicht nur die rein komischen Seiten der von ihm verkörperten Figur auslotete. Sein Gegenspieler Bertolaccio fand in Carmine Monaco und seinem bewusst polternd eingesetzten Bariton den rechten Interpreten. Überzeugend auch Carolina Lippo (Fiorina) mit anmutigem Sopran und viel Spielfreude. Schönes Tenormaterial, das aber noch des Feinschliffs bedarf, präsentierte Francesco Castoro (Carletto). Als Steuereintreiber Succhiello Scorticone (=in etwa Bohrer und Schinder) lief Paolo Cauteruccio emsig dem Schuldner hinterher. Als verkleideter Fürst „Roberto“ ergänzte sympathisch Rocco Cavalluzzi.

Großer Jubel für alle Beteiligten.

In der Jetztzeit angelangt, gab es am 1.8. die Reprise des im Vorjahr vollendeten Einakters

LE BRACI

von Marco Tutino, eines Auftragswerks, das hier am 15.7. seine Uraufführung erlebt hatte. Das vom Komponisten selbst verfasste Textbuch basiert auf dem 1998 mit einem Sensationserfolg wieder aufgelegten Roman „Die Glut“ von Sándor Márai, in dem zwei alte Herren vor dem Hintergrund des 2. Weltkriegs über ihre Liebe zu dem selben Mädchen zu Zeiten der untergehenden österreichisch-ungarischen Monarchie sprechen: Krisztina war dann die Gattin von Henrik, einem überzeugten Militär geworden, was seinen Freund Konrad, einen Zivilisten, damals veranlasst hatte, sein Leben in fernen Ländern weiterzuführen. Da sich Tutino für ein Werk von der Dauer von achtzig Minuten entschieden hatte, war er angesichts der psychologischen Komplexität der Geschichte natürlich gezwungen, gewisse Nuancen zu übergehen. Dennoch ist es ihm gelungen, den Erzählstil des Romans beizubehalten, der immer wieder zwischen in der Gegenwart und in der Vergangenheit spielenden Szenen changiert.

Musikalisch ist Tutino (geboren 1961) kein Revolutionär und bleibt grundsätzlich im Tonalen. Symphonische Stellen nehmen relativ breiten Raum ein und bilden eine angenehme Abwechslung zu einer Art Sprechgesang der Protagonisten. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Musik als Berieselung rezepiert wird, als eine Art begleitender Tonspur der Geschehnisse auf der Bühne. Interesse vermag das Werk allemal zu wecken.

Das Bühnenbild von Tiziano Santi zeigte sehr geschickt zentral auf der Bühne des Palazzo Ducale das Wohnzimmer des alten Henrik, während sich links und rechts davon die in der Vergangenheit angesiedelten Szenen abspielten. Die Kostüme von Silvia Aymonino kleideten die Sänger bestens, wobei Henrik in seiner k.u.k.-Uniform besonders gute Figur machte. Durch den ständigen Orts- und Zeitwechsel kam auch der Beleuchtung von Franco Machitella große Bedeutung zu. Leo Muscato hatte eine solide, traditionelle Regie erdacht, was sowohl angesichts eines neuen Werks, als auch wegen der Epoche, die es wieder auferstehen lässt, mit Sicherheit die beste Lösung war.

Francesco Cilluffo am Pult des in diesen Tagen so sehr geforderten Orchestra Internazionale d’Italia hatte ein merklich gutes Feeling für diese Musik, die er großflächig aufzufächern verstand. Die Rollen, aus denen man wirklich etwas machen kann, sind natürlich Henrik (Bass) und Konrad (Bassbariton), und in Martina Franca hatte man sich der langjährigen Recken und Singschauspieler Roberto Scandiuzzi und Alfonso Antoniozzi versichert, die den beiden Figuren stimmlich und darstellerisch stärkstes Profil verliehen. Daneben wussten sich der Tenor Davide Giusti als junger Konrad und der slowakische Bariton j als junger Henrik immerhin zu behaupten. Krisztina war mit angenehm leuchtendem Sopran Angela Nisi, die alte Haushälterin Nini verlässlich der Mezzo Romina Tomasoni.

Nach diesem kurzen Abend gab es in der Kirche Sant’Antonio im Rahmen der Schiene „Canta la notte“ um 23.30 Uhr noch ein Konzert mit (vorwiegend rumänischer) geistlicher Musik des Klausenburger Chors „Transilvania“ zu hören, der sich, wiederum unter der Leitung von Cornel Groza, in diesem Repertoire als bedeutend trittsicherer erwies denn in den Opern, an denen er beteiligt war. So ergab sich ein schöner Abschluss dieses musikalischen Abends, bei dem die gefeierten Choristen noch zwei Spirituals als Zugabe brachten.
Eva Pleus 16.8.15

Eva Pleus 17.8.15

Bilder: Paolo Conserva