am 3.11.16
Gastspiel des Landestheaters Detmold
Als Albert Lortzing am 24. Januar 1851 auf dem Sophien-Friedhof in Berlin beigesetzt wurde, sprach der Schauspieler und Regisseur Anton Ascher am Grab die folgenden Worte: „Selten ist eine so begabte Natur, ein so grosses Talent so wenig nach Verdienst gewürdigt worden! Während seine Schöpfungen Tausende entzückten, seine Melodien in den entferntesten Ländern erklangen, seine Lieder im Munde des Volkes lebten, lebte er kümmerlich ein sorgenvolles Dasein … Und doch wird dein Name den von Tausenden deiner Zeitgenossen überleben!“ Und in der Tat, lange Zeit waren Lortzings Bühnenwerke ein Renner, zumindest auf den deutschsprachigen Bühnen. Erst in den letzten 50 Jahren machten viele Bühnen (zumindest die grossen …) eher einen Bogen um die deutsche Spieloper. Umso verdienstvoller stellen sich die kleineren Bühnen immer wieder der Aufgabe, diese Werke am Leben zu erhalten. Zu Recht, wie das Gastspiel des Landestheaters Detmold gestern Abend in Winterthur bewies. Denn die zündenden Melodien Lortzings, diese regelrechten (doch nie billigen) Gassenhauer, verfehlen auch heute noch ihre mit Glücks- und Schmunzelgefühlen verbundene Wirkung nicht. Spritzig und aufgeweckt intonierte das Symphonieorchester des Landestheaters Detmold unter der vorwärtsdrängenden (aber nie überhasteten) Leitung von György Mészáros die erfrischende Partitur, vom interessanten Andante in Moll zu Beginn der Ouvertüre, über deren Allegro-Freuden gegen Ende der Exposition bis zum Finale mit dem berühmten Wunschkonzert-Hit des Holzschuhtanzes. Auch dazwischen blitzten immer wieder ausgefeilt gestaltete Einzelleistungen der Musikerinnen und Musiker im Graben auf.
Wichtige Glanzpunkte setzte auch der nicht sehr grosse, aber ausgesprochen klangschön intonierende Chor und Extrachor des Landestheaters Detmold (Einstudierung: Marbod Kaiser), der auch durch treffliche Mimik im Spiel zu erfreuen wusste, so zum Beispiel in der köstlichen „Chorprobe“ mit dem blasierten Bürgermeister van Bett im dritten Aufzug. Zu den Rollen in ZAR UND ZIMMERMANN bemerkte Lortzing einmal selbst: „…Partien, die nicht totd zu machen sind, die sich von selbst spielen, wie der Bürgermeister (van Bett) und Peter der Grosse. Mit der ersteren Rolle ist noch keiner durchgefallen, und ebenso kann als Zar keiner durchfallen, wenn er nur sein Lied (im dritten Aufzug) tonvoll herauszuschmachten vermag …“ . Und genau so war es auch anlässlich dieser Aufführung in Winterthur. Christoph Stephinger setzte seine Pointen als dümmlicher, selbstgefälliger „Schwachkopf“ van Bett gekonnt, setzte seinen Bass wirkungsvoll ein. Herrlich komisch in seiner Auftrittsarie O sancta Justitia, wo ihm das Fagott erst den tiefsten Ton vorgeben musste und er ihn dann dankend übernahm, sich als Cäsar in die Toga „einwickeln“ liess und den Lorbeerkranz entgegennahm, eine Selbstüberschätzung eines „kleinen“ Politikers sondergleichen (welche aber nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat …). Wunderbar auch die rasanten, wortreichen Parlando-Passagen, welche an Rossini gemahnten und später von Donizetti in seiner letzten Buffa DON PASQUALE nochmals aufgegriffen wurden.
Insu Hwang sang den Zaren Peter I. mit schön geführtem, leicht herb timbriertem Bariton. Erfreulich, dass man ihm auch die oft gestrichene Arie im ersten Aufzug liess, welche eben auch die „dunkleren“ Seiten des Potentaten zeigt, wo er das Henkersbeil gefärbt vom Blut der Verräter sehen will. Hier evozierte Insu Hwang die absolutistischen Machtansprüche des sich sonst so volkstümlich gebenden Zaren mit Vehemenz in der Gestaltung. Aber eben, daneben gibt es auch noch die empfindsamen Aspekte seines Charakters, und denen verlieh er in den drei Strophen seines Liedes im dritten Akt Ausdruck: Sonst spielt ich mit Zepter und Krone und Stern mit der refrainartig wiederholten Phrase (und einer der trefflichsten, gefühlsbetontesten Melodien der Oper) O selig, o selig, ein Kind noch zu sein. Insu Hwang sang diese Arie nicht allzu schmachtend und deshalb bestand die Gefahr auch nicht, dass das Stück in kitschige Gefühlsduselei abglitt. Anlässlich der Generalprobe in Leipzig 1837 hatte sich ja ein wahrer Disput um diese berühmte Arie, die heutzutage alle lyrischen Baritone im Repertoire haben, entwickelt. Der Sänger, der Dirigent, der Theaterdirektor machten sich gemeinsam über das Lied lustig, der Bariton verlangte zumindest noch ein paar Koloraturen in diesem schlichten Lied, diesem „Schmachtfetzen“, wie der Theaterdirektor ausrief. Doch Lortzing mit seinem untrüglichen Instinkt beharrte auf seiner ursprünglichen Komposition, und erwiderte: „Jagt nur eure allgemeinen Ideen zum Teufel und dringt ins wirkliche Leben ein, wie Shakespeare und Goethe … . Der Mensch soll noch geboren werden, der niemals eine weiche, wehmütige Stunde hatte.“
Wie immer behielt er Recht, diese Arie wurde zu einem Welterfolg und verfehlte auch in der Interpretation von Insu Hwang ihre sentimentale Wirkung nicht. Der „andere“ Peter, nämlich Iwanow, wurde gestern von Markus Gruber mit wunderschön gefärbtem Tenor gegeben, lyrisch, verspielt und dann doch in den Eifersuchtsszenen mit seiner Marie wunderbar kraftvoll und intonationssicher aufschwingend. Ganz vortrefflich geriet das a capella Sextett der sechs Männer (Iwanow, Peter I., van Bett, Lord Syndham, Marquis von Chateauneuf, Admiral Lefort) im zweiten Akt. Chateauneuf (Stephen Chambers) hatte zuvor schon mit seinem „Flandrischen Mädchen“ punkten können, mit dem er sich mit seiner auffallend samtenen, einschmeichelnden Stimme als Womanizer profilierte. Sehr komisch auch Michael Zehe als Lord Syndham, gekleidet wie Captain Hook und seinen Haken wie einen Fingernagel feilend während van Bett seiner lächerlichen Inquisition frönte. Ergänzt wurde das prächtige Sextett der Männer durch Kyung-Won Yu als um das Wohl Russlands besorgter Admiral Lefort. Die Frauen sind von Lortzing (leider) nur mit zwei Rollen bedacht worden, Marie und die Witwe Browe. Simone Krampe sang eine wunderbar spritzige Marie, ein wunderschönes stimmliches Timbre gepaart mit einnehmender Spielfreude, köstlich zum Beispiel wie sie mit der Eifersucht Iwanows umging. Die liedhafte Melodik Lortzings war in ihrer Stimme bestens aufgehoben, wie ihre wunderschöne Interpretation des Brautliedes im zweiten Akt bewies. Brigitte Bauma machte aus der kleinen Rolle der Witwe Browe ein darstellerisches Kabinettsstückchen und bewies, dass kleine Rollen, wenn sie mit Bühnenpräsenz gefüllt werden, eben nie klein bleiben.
Aber wie inszeniert man eine solche Oper, deren historischer Hintergrund ja gegeben ist? Nun, der Regisseur Wolf Widder ersann einen interessanten Trick, um von der Gegenwart in die Vergangenheit des 17. Jahrhunderts zu führen. Er erfand einen heutigen Stadtführer der Stadt Zaandam (in der Oper Saardam), Cornelius (gespielt von Mathias Eysen), welcher das Publikum quasi mit der Historie betraut machte. Ausgehend vor dem Prospekt einer heutigen, kleinen Werft, wo Plastikboote hergestellt werden, hob sich dieser Zwischenvorhang und wir schlüpften in einer Art Dokumentarspiel in die Vergangenheit. Die gesprochenen Dialoge waren weitestgehend gestrichen, der Stadtführer im Regenmantel und mit holländischem Akzent übernahm die Conférance und führte als Spiritus Rector durch die Handlung. Dabei streute er zwar immer wieder auch aktuelle Anspielungen ein, die aber leider oft etwas untergingen. Auch das Spiel auf der Bühne blieb oft erstaunlich bieder und brav. Hier hätte man sich etwas mehr Mut und Frechheit zum Hervorstreichen der durchaus relevanten sozialpolitischen Stellungnahmen Lortzings gewünscht. Immerhin, hübsch anzusehen war die Produktion mit witzigen, farbenfrohen historischen Kostümen und einem adäquaten Bühnenbild (beides von Petra Mollérus) allemal.
Alles in allem ein dann doch noch recht kurzweiliger, vergnüglicher Abend, der eindeutig mehr Lust auf Lortzing machte.
Kaspar Sannemann 10.11.16
Bilder (c) Theater Winterthur / Quast