Winterthur: „Il matrimonio segreto“, Domenico Cimarosa

Premiere am 09.05.2013 – Eine Aufführung des Opernhaus Zürich

Aus einem Puppenhaus: ganz im Geiste der Komödie des settecento

„Il matrimonio segreto“ (Die heimliche Ehe) ist die 54. von etwa 70 Opern von Domenico Cimarosa (1749–1801). Das Libretto stammt vom italienischen Textdichter Giovanni Bertati, dem als Vorlage das Lustspiel The Clandestine Marriage von David Garrick und George Colman dem Älteren diente, 1766 am Royal Theatre Drury Lane uraufgeführt. Zu ihrer Komödie wurden diese durch einen Kupferstich des englischen Malers William Hogarth angeregt, der mit seinen Karikaturen auch Strawinsky zu „The Rake’s Progress“ inspirierte. Il matrimonio segreto wurde 1792 in Wien uraufgeführt. Dorthin war der Komponist 1791 als Nachfolger Salieris von Kaiser Leopold II zum Hofkomponisten berufen worden. Es ist die einzige Oper des Komponisten, die heute noch regelmäßig auf den Spielplänen zu finden ist. Angeblich hat Leopold II nach der Uraufführung verlangt, das ganze Werk sofort zu wiederholen, weil es ihm so gut gefallen hatte. Der Librettist Bertati war in Nachfolge des in Ungnade gefallenen Lorenzo da Ponte von Leopold II zum „Kaiserlichen Poeten“ der Oper in Wien ernannt worden; was Wunder, dass da Ponte ihn als unerheblichen Schreiberling darstellte.

Einen frühen Höhepunkt hatte die Gattung der opera buffa gerade sechs Jahre zuvor in Wien mit Mozarts Nozze di Figaro erklommen. Die Buffoopern entwickelten gar sozialen und politischen Sprengstoff. Das Bürgertum emanzipierte sich gegen den Adel bis hin zu revolutionären Umtrieben. Cimarosa selbst war Mitglied im neapolitanischen Jakobiner-Club, war sogar vorübergehend zum Tode verurteile und saß viel Tage ein. Revolutionär ist der Stoff des matrimonio zwar nicht, enthält aber ein ironisches Sittenbild der Zeit und nimmt zudem den Geist der Aufklärung auf. Die Oper thematisiert nicht zuletzt die heimliche Ehe als Liebesheirat gegenüber der arrangierten Ehe als Zweckbund, ein Thema der Aufklärung und des bürgerlichen 19. Jhdts. In der buffa wird statt Befindlichkeit und Affekt der seria die Handlung wichtig. Statt kunstvoll verfertigter Arien werden mehr und mehr flotte Ensembles komponiert. Die gestalten sind nicht mehr heroisch, sondern aus dem Leben gegriffen.

Graf Robinson reitet am Hause des Geronimo vorbei

Geronimo, ein reicher Kaufmann möchte seine Töchter adlig verheiraten, um an Ehre und Ansehen zu gewinnen. Seine jüngere Tochter Carolina hat sich aber bereits heimlich mit dem Kontorgehilfen Paolino verheiratet, der für die ältere Elisetta den Grafen Robinson als adlige Verbindung an Land gezogen hat, dem Geronimo eine stattliche Mitgift verspricht. (Das gibt es 120 Jahre später im Rosenkavalier genau noch einmal.) Leider verschmäht der Graf die Ältere und verliebt sich in die Jüngere und will nun diese heiraten selbst unter Verzicht auf Teile der Mitgift. Fidalma, die mannstolle, jung und reich verwitwete Schwester Geronimos, hat ein Auge auf Paolino geworfen. Zudem hat sie etwas in der Hand: sie hat den Laden ihres Bruders durch eine stille Einlage finanziert. Das ist der Stoff, aus der die Komödie des 17. Jhdts gemacht ist. Leicht erkennt man Figuren der commedia dell’arte wieder: den reichen Kaufmann Geronimo sowie das listig/lustige Pärchen als Arlecchino und Colombina. Die beiden zickigen Schwestern Carolina und Elisetta findet man später noch zweimal bei Rossini wieder (La scala di seta; la Cenerentola).

Sunnyboy Dladla (Paolino); Deanna Breiwick (Carolina)

Literarischer Tiefgang ist in der Oper weder vorhanden noch erwünscht; Situationskomik regiert. Regisseure, die in dem Stück psychologischen Tiefgang suchen, und Stückezerhacker scheitern am matrimonio. Das Stück muss aus dem Geiste der Komödie inszeniert werden. Genau das tat für die Neuproduktion des Opernhaus Zürich im Theater Winterthur die Regisseurin Cordula Däuper. Ralph Zeger baute ihr ein einfach anmutendes, aber doch raffiniert im Detail gestaltetes Bühnenbild: ein überdimensioniertes Puppenhaus in Form eines modernen zweistöckigen Siedlungshäuschens auf einer Drehbühne. Durch Drehung erhält der Zuschauer verschiedene Einblicke hinter die Fassade der etwas verschrobenen Architektur und in das Innenleben der Geronimo-Familie. Passend dazu hat Sophie du Vinage mit viel Liebe zum Detail und Fantasie die Protagonisten puppenähnlich und grell kostümiert. Alles ist Bonbon-bunt. Die Bewohner des Hauses stellen sich während der Ouvertüre in den Fenstern des Puppenhauses artig mit Namensschildern vor und bewässern dabei gleichzeitig die Blumenkästen. Das Spiel kann beginnen.

Roberto Lorenzi (Geronimo); Hannah Bradbury (Elisetta); Olivia Vote (Fidalma); Deanna Breiwick (Carolina)

Der etwas dämliche Graf Robinson hat auch Einzug bei den Geronimos gehalten, womit drei soziale Schichten das Haus bevölkern. Paolino, welcher der untersten angehört, ist in einer Art Kriechkeller untergebracht, der gerade noch hoch genug ist, um dort mit Carolina einer horizontalen Beschäftigung nachzugehen. Offensichtlich erfolgreich, denn Carolina ist schon ziemlich schwanger, was einen gewissen Druck erzeugt, dass die beiden heimlich Verheirateten dem Familienvorstand alles gestehen. Denn Carolinas heimliches Verzehren von haufenweise sauren Gurken würde ja nicht ewig unbemerkt bleiben… Nicht alle Regieeinfälle in dieser fulminanten Komödie sind neu; es werden auch etliche Stereotypen und überkommende Bewegungsmuster des Lustspiels verwandt, und andrerseits geht es auch bis zum Slapstick. Aber jederzeit hat die Regisseurin mit ihren Darstellern die Lacher auf ihrer Seite, wobei es Schlag auf Schlag geht und Kurzweil zugesichert ist. Wenn es in die Pause des Zweiakters geht, liegen die Interessen so überquer, dass man sich kaum vorstellen kann, dass alles zu einem glücklichen Ende geführt werden kann. Das kommt dann aber so heftig und so schnell, dass Carolina eine Schnellgeburt hat, wobei sogar die Mendelschen Regeln gewahrt waren, denn Paolino ist ein Farbiger… Fidalma, die leer ausgegangen ist, hält zum Schluss ihre Telefonnummer zum Publikum hin; möchte sie nicht doch jemand? Oder muss sie sich weiterhin mit ihrem großen Plüschbären abgeben?

Ensemble

Wenn man behauptet, Cimarosa habe musikalisch schon auf Rossini verwiesen, dann ist das sicherlich falsch aufgehängt. Denn es geht genau umgekehrt: Rossini hat Cimarosas Musik gut gekannt und dabei den syllabischen Duktus der Musik geschickt weiter entwickelt. Dieser ist schon bei Cimarosa vorhanden und erlaubt schnelle Gesangspassagen. Andererseits hat Cimarosa aber ganz offensichtlich nach seiner Ankunft in Wien viel von Mozarts Kunst aufgesaugt, denn nur allzu ähnlich klingt seine Musik. Mozarts musikalische Ausflüge in die Tiefe der Seelen sind nicht zwar nicht vorhanden; aber mehr als nur ein Hauch der buffonesk perlenden Figaro-Passagen weht durch Cimarosas Werk. Und so wird sie auch vom Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Riccardo Minasi dargebracht: als funkelndes musikalisches Bindeglied zwischen Mozart und dem italienischen Belcantismo. An die Zauberflöte erinnernde schwere Eingangsakkorde weichen alsbald der in rasendem Tempo musizierten Ouvertüre, was das Orchester an die Grenze des präzise zu Musizierenden brachte. Auch in späteren immer sehr temperamentvoll musizierten flotten Passagen der hochinspirierten Partitur erreichte das Orchester nicht immer die optimale Durchsichtigkeit. Aber dennoch wurde stets ein rauschendes Klangbild in sprühendem Brio nahe am Vorbild Mozart erzeugt. Selbst an dessen später Liebe zur solo musizierenden Klarinette ging Cimarosa nicht vorbei. Am Hammerklavier amüsierte sich Andrea Mele mit etlichen Fremdzitaten von Mozart bis Wagner und Verdi, und parodierte mit kakophonischen Schlägen.

Deanna Breiwick (Carolina); Oleg Loza (Graf Robinson)

Aus dem Internationalen Opernstudio der Oper Zürich stammten die Solisten des Abends, die mit ihren schauspielerischen uns gesanglichen Leistungen durchaus zufrieden sein konnten. Was die Spiellaune anbelangt, sprechen die beigefügten Bilder für sich. Roberto Lorenzi, genoss als einziger italienischer Muttersprachler im Ensemble einen gewissen Heimvorteil; er verlieh dem Geronimo seinen gefälligen und beweglichen Bass auf sonorem Fundament. Seine Schwester Fidalma war mit Olivia Vote mit einem klangschönen, kräftigen, etwas ausladenden Mezzo besetzt. Die Sopranistin Hannah Bradbury sang die Elisetta; sie kam nicht gleich gut in die Rolle und wirkte zunächst eng, ließ ihre Stimme nicht frei schwingen; sie verbesserte sich aber im Verlauf mit abnehmender Anspannung ganz deutlich und zeigte ihren gefälligen Sopran, die Rezitative indes etwas spitz. Ihre jüngere Schwester Carolina wurde durch Deanna Breiwick mit warm timbriertem Sopran in schönem Fluss gesungen; schimmernde Höhen und gekonnte Koloraturen zeichneten sie aus; aber auch sie etwas spitz in den Rezitativen. Beide Schwestern kamen wohl mit der italienischen Sprache noch nicht in der erforderlichen Leichtigkeit zurecht, und ihre Textverständlichkeit ist noch verbesserungsfähig. Oleg Loza verkörperte den Grafen Robinson mit kraftvollem wendigem Bariton bei guter Diktion. Der Südafrikaner Sunnyboy Dladla war als Paolino besetzt; sein Tenor zeigt schönes Potential für den feinen lyrischen Gesang; ihm fehlt aber noch etwas Reife; im Ensemble-Gesang konnte er sich stimmlich nicht immer durchsetzen.

Begeisterte Zustimmung des Publikums für alle Beteiligten aus dem vollen Premierensaal in Winterthur für den gelungenen vergnüglichen Opernabend. (Es muss nicht immer Mozart sein.) Es kommen noch weitere Vorstellungen am 11., 13., 15. und 17. Mai im Theater Winterthur. Die Produktion wird im Opernhaus Zürich ab 24. Okt. 2014 für sechs Vorstellungen in anderer Besetzung wieder aufgenommen; dann auch mit Preisen des Hauses am Bellevueplatz – die unterscheiden sich ein wenig…

Manfred Langer, 12.05.2014

Fotos: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf