Diese Produktion war erstmals im Dezember 1980 zu sehen und hat somit fast 43 Jahre auf dem Buckel. Für Regie, Bühne und Kostüme war damals der Italiener Filippo Sanjust (1925-1992) verantwortlich. Wieder ein von der Ausstattung her kommender Künstler, von dem eher gefällige Arrangements als Personenführung zu erwarten waren. Beim Bühnenbild hatte er sich für bemalte Kulissen entschieden, bei den Kostümen für historische Treue. Welchen Eindruck macht das nach so vielen Jahren? Mancher Besucher wird wohl reflexartig „verstaubt“ gedacht haben, aber ich muss gestehen, dass ich eine gewisse Rührung nicht unterdrücken konnte, wenn sich der Chor in Reih und Glied aufstellte, gemeinsam den Hut zog (die Herren) oder Erregung bzw. Entsetzen mimte (die Damen). Vermutlich war diese Regie schon damals eher rückwärtsgewandt, aber sie hatte Atmosphäre und gab den Solisten die Möglichkeit, sich auf den Gesang zu konzentrieren (Spielleitung: Gerlinde Pelkowski).
In der Titelrolle war Adela Zaharia, eine junge Rumänin, zu hören, die einschlug wie eine Bombe. Ein manchmal an die große Virginia Zeani erinnerndes Timbre, eine überaus sichere Technik und vor allem sehr viel Ausdruck, der die Wahnsinnsszene so spannend wie schon lange nicht mehr machte (sensationell ihr „Duett“ mit der Flöte von Eric Kirchhoff). Dazu gesellte sich ein jederzeit überzeugendes Spiel mit vielen Einfällen, wenn sie etwa Raimondo für ihren Edgardo hielt oder dem herbeigeeilten Enrico kurz ihren Hochzeitsschleier aufsetzte. Eine große Leistung der – sozusagen als Draufgabe – sehr gut aussehenden Sängerin. Ihre Stimme harmonierte gut mit dem Tenor des Mexikaners Javier Camarena, der mit seinem lyrischen Organ einen temperamentvollen Edgardo gab, doch nach dem Sextett und in der Schlussszene kleine Ermüdungserscheinungen nicht verbergen konnte. War er mit seinem Wutausbruch bei Lucias Hochzeit kurz in Gefahr, fast veristisch zu klingen, so sang er hingegen das Cis in seiner großen Arie in perfektem Belcantostil im falsettone. Im Ganzen eine Leistung, die seinem Ruf gerecht wurde. Der ab der ersten Vorstellung (besprochen werden hier die zweite und dritte) Markus Brück als Enrico ersetzende Georgier Michael Bachtadze ließ sich beide Male ansagen, aber ich bin nicht sicher, ob die Rauheit und fehlende Eleganz seines Baritons nur auf Indisposition zurückzuführen ist. Einen hervorragenden Eindruck machte der Amerikaner Thomas Cilluffo, Stipendiat der Opera Foundation New York, der seinen schwierigen Auftritt als Arturo mit festem, klangschönem Tenor bewältigte. Als Alisa ließ Maire Therese Carmack, gleichfalls Stipendiatin dieser Organisation, einen angenehmen Mezzo hören, und Patrick Cook war ein verlässlicher Normanno. Unbefriedigend hingegen die Leistung des Koreaners Byung Gil Kim (Raimondo), der durch fehlende Musikalität und schreckliches Italienisch auffiel. Der von Thomas Richter geleitete Chor sang erfreulich homogen, und glanzvoll war der Klang des durch das so temperamentvolle wie auf die Sänger achtende Dirigat von Matteo Beltrami merklich inspirierten Orchesters des Hauses.
Der Vergleich der beiden Vorstellungen ergab, dass Camarena am 28. freier klang und Zaharia, falls überhaupt möglich, noch intensiver. Das Publikum feierte lautstark und lange die beiden Protagonisten, das Orchester und den Dirigenten.
Eva Pleus 3. Juni 2023
„Lucia di Lammermoor“
Gaetano Donizetti
Deutsche Oper
Vorstellungen am: 25. und 28. Mai 2023
Regie, Bühnenbild, Kostüme: Filippo Sanjust
Musikalische Leitung: Matteo Beltrami
Orchester der DOB