Aufführung der Tschechischen Oper Prag am 05.05.2016
Verwirrte Liebesgeschichten fast wie im Fieberwahn erfreuen
Ich freue mich immer wieder, wenn ich einen Abstecher in das wunderschöne Stadttheater Fürth machen kann und dank dem guten Händchen von Intendant Werner Müller, hat es auch nur ganz selten Aufführungen gegeben, die mich nicht überzeugt haben. Und auch diesmal steht ein stimmiger Ritt durch die Seelenqualen des Dichters E.T.A. Hoffmann bevor, den ich als Bamberger sehr gut nachvollziehen kann, denn in unserer Stadt gibt es an jeder Ecke Erinnerungen an den skurrilen Dichter. Der Dichter E.T.A. Hoffmann durchlebt schon mehr als eigenartige Frauengeschichten, die ihm teilweise der Fieberwahn vorgaukelt. Die Puppe Olympia, die ihm solange den Kopf verdrehen kann, bis er merkt, dass er einen Automaten lieben wollte, ist die erste der drei Frauen. Die Kurtisane Olympia verrät ihn für schnödes Geschmeide und auch hier kann er seinen Liebestraum nicht vollenden. Ebenso wenig bei der dritten seiner Frauengestalten, der Sängerin Antonia. Zwar steht ihm mit ihr die ewige Liebe bevor, doch eine ererbte Krankheit, durch Dr. Mirakel zum Höhepunkt gebracht, stürzt sie vor der Vereinigung in den Tod. Die wahnhafte Erinnerung an diese drei von ihm geliebten Frauen, die er alle drei in der Operndiva Stella vereint sieht, wird ihm auch hier wieder entrissen. Im Alkoholrausch sinkt er, ergriffen von den Geschichten seiner drei Geliebten zu Boden und Stella verlässt ihn an der Hand des Stadtrates Lindorf. Seine Muse, der selbstlose Freund Niklaus gibt ihm am Schluss Gift zu trinken und bringt sich gleich selbst mit um. Dieses Ende ist zwar schon öfter gebracht worden, jedoch für mich nicht sonderlich stimmig. Der Dichter, der sich wieder in den Rausch stürzt und an den Frauen zu zerbrechen droht, ist mir persönlich der stimmigere Schluss. Da Jacques Offenbach das Werk nie vollenden konnte, gibt es ja eine ganze Reihe von unterschiedlichen Bearbeitungen, die, bei der Hoffmann allein zurückbleibt und von seiner Muse wieder zur Kunst zurückgeführt wird, für die er ja eigentlich lebt und sein Leben verschrieben hat, ist für mich persönlich die am besten passende, aber auch das ist natürlich Geschmackssache. Gesungen wird in Französisch mit deutschen Übertiteln.
Hoffmann – Tomás Cerny, Giuletta – Lucie Hajkova, Niklaus – Alzbeta Vomackova
Die Musik von Jacques Offenbach ist sehr gefühlsbestimmt, in vielen Passagen aufbrausend dramatisch und nimmt das Publikum, welches dem mit aller Leidenschaft folgt, mit auf den Weg durch die seelischen Qualen des Dichterfürsten. Die Tschechische Oper bringt das Werk in Zusammenarbeit mit dem Opernhaus Liberec auf die Bühne und sie macht dies gekonnt und leidenschaftlich. Das Orchester ist unter seinem Dirigenten Martin Doubravský in jeder Sekunde auf dem Punkt bei dem dramatischen Werk. Feurig, leidenschaftlich, aber auch zurückhaltend und zart in den entsprechenden Passagen ist es mehr als eine klangvolle Begleitung. Es überdeckt nie die Sänger und ist stets präsent. Eine schwungvolle, präzise und überzeugende Leistung, ebenso wie der gutaufgelegte und auftrumpfende Chor unter Tvrtko Karlovic. Die Inszenierung und das Bühnenbild stammen von Martin Otava und er hat ganze Arbeit geleistet. Er hat eine traditionelle Version der leidenschaftlichen Geschichte auf die Bretter gebracht und damit hat er mir – der ich überhaupt kein Freund von Regisseuren bin, die sich selbst zu verwirklichen suchen – eine große Freude gemacht. Die Kostüme von Ales Valasek sind in dunkel und grau gehalten und werden mit jedem Akt etwas farbiger. Eine stimmige Auffassung, der man folgen kann und die gut zu dem düsteren Bild der Bühne passt. Die zerrissene Seele Hoffmanns wird auch hierdurch zum Ausdruck gebracht und das Verständnis für seine Seelenqualen nimmt beim Publikum zu.
Tomás Cerny verkörpert den zerrissenen Dichterfürsten mit nie ermüdendem Material. Sein kräftiger robuster Tenor lotet jeden Winkel der vielschichtigen Rolle auf das vortrefflichste aus. Er ist eine exzellente Verkörperung des Hin- und Hergerissenen, auch vom schauspielerischen kann er viele Akzente setzen, insgesamt gesehen eine überdurchschnittliche Verkörperung des Hoffmann, einer Rolle, die von unseren Supertenören gar nicht so gerne gesungen wird, weil sie schwerer zu verkörpern ist, als man vielleicht landläufig so denkt. Seine Muse, das Koksen passt mir nicht so ganz dazu, aber ist auch in dieser Auffassung zu tolerieren wird von Alzbeta Vomackova verkörpert. Und sie ist gesanglich voll auf der Höhe und passt in jeder Lage gut auf ihren Dichterfürsten auf. Sie begleitet Hoffmann und reicht ihm – na ja und da kann man jetzt unterschiedlichere Auffassung sein – am Endes das Gift, was für mich nicht so nachvollziehbar ist, ebenso wie ihr eigener Tod, der jedoch in dieser Interpretation des Endes wieder stimmig erscheint.
Die Krone der drei Frauen hat für mich Olga Jeliknova als überdurchschnittlich gute Olympia. Mit silbrigem Timbre, die teilweise schwindelnden Höhen ganz einfach meisternd, als wenn das gar nichts wäre, jede noch so problematische Koloratur auskostend und dabei noch ein hervorragendes Spiel. Sie verkörpert die mechanische Puppe so, dass man fast daran glauben könnte, dass dies wirklich ein Automat und zwar ein menschlicher ist. Für mich die beste Leistung des gesamten Abends, ohne die anderen Mitwirkenden in ihren Darbietungen schmälern zu wollen. Im Gegenteil. Lucie Hajkova, kann mit einem vollen ausdrucksstarken Timbre glänzen, laszive räkelt sie sich in einer Mondsichel und stellt die Verführerin sehr plastisch und auch recht üppig auf die Bühne des Fürther Theaters. Die Barcarole wird zu einem weiteren Höhepunkt der Aufführung. Als Antonia bringt Vera Polachova einen zarten aber dennoch durchschlagenden Sopran mit, der leidenschaftlich ihren lyrischen Part unterstreicht. Eine gleichwertige Gestaltung der dritten Frauenpartie.
Pavel Vancura gibt die vier finsteren Gesellen, die Hoffmann das Leben schwermachen. Als Lindorf, Coppelius, Dapertutto und Dr. Mirakel weiß er mit kräftigem, wohlklingendem, aber auch diabolisch gefärbtem Bass zu punkten und drückt jeder der verschiedenen Rollen seinen Stempel auf. Als Andreas, Cochenille, Pitichinacchio und vor allem als Frantz weiß Marian Micjar voll zu überzeugen. Seine „große“ Arie als Frantz macht er zu einem wahren Kabinettstückchen, viel Humor, Witz und überschäumende Spiellaune bringen ihm den Beifall auf offener Bühne dafür ein. Dass er auch darstellerisch allen vier Rollen mehr als gewachsen war, sei hier nur am Rande erwähnt.
In den weiteren Rollen gibt es keinen einzigen Ausfall, alle machen ihre Sache sehr gut, sei es Blanka Cerna als Antonias Mutter, als auch Dusan Ruzicka als Spalanzani und Schlemihl, Jaroslav Patocka als Luther und Crespel und schließlich Hanna Postranecka als Stella.
Ein aufregender beeindruckender Abend in Fürth, der aber auch aufzeigt, wie viel musikalisches Potential in der einzigen Oper von Jacques Offenbach schlummert. So macht Oper einfach Spaß – und so soll es auch sein.
Manfred Drescher 16.05.2016
Bilder Art & Artist Tschernig