Soto/Scholz/Schröder heißt der neue dreiteilige Abend beim Leipziger Ballett, der mit den unterschiedlichen Handschriften dreier Choreografen die Vielseitigkeit der Compagnie eindrucksvoll beweist. Eigentlich müsste der Titel des Programms Scholz/Soto/Schröder lauten, denn in dieser Reihenfolge werden die Arbeiten gezeigt. Zu Beginn also Uwe Scholz mit seiner Choreografie zu Robert Schumanns Zweiter Sinfonie, die bereits in Monte-Carlo, Wien, Düsseldorf, Berlin und Dresden zu sehen war – 1998 auch schon in Leipzig. Seine Umsetzung der Musik in den Tanz erwies sich auch an diesem Abend als klassisch und zeitlos gültig. Zwei Solo- und zehn Gruppenpaare stellt Scholz in vielfältigen Formationen auf. Madoka Ishikawa und Marcos Vinicius da Silva sowie Diana Sandu und Carl van Godtsenhoven können sich hier eindrucksvoll profilieren, vor allem mit der gefühlvollen Interpretation des visionär-entrückten 3. Satzes Adagio espressivo. In starkem Kontrast dazu die Körperspiralen und -kreisel im 4. Satz Allegro molto vivace. Am Ende bleiben die beiden Solotänzerinnen zurück, die die Choreografie wie ein Zwillingspaar mit synchronen Figuren eröffnet hatten. Das Gewandhausorchester Leipzig hat Tradition mit dieser Komposition Schumanns, denn hier wurde sie 1846 uraufgeführt. Davon profitierte auch die Wiedergabe bei der Premiere dieses Ballettabends am 14. 5. 2022 unter Matthias Foremny mit gleichermaßen empfindsamer Lyrik wie rhythmischer Impulsivität. Wie zumeist zeichnete Scholz auch für die Ausstattung und das Licht verantwortlich. Vor weißen, farbig umrandeten Bildtafeln kommen die Tänzer in blauen Trikots zu effektvoller Wirkung. Es ist verdienstvoll, dass Ballettdirektor Mario Schröder das künstlerische Erbe des einstigen Chefchoreografen kontinuierlich pflegt und dessen Arbeiten immer wieder ins Repertoire der Compagnie aufnimmt.
Nicht weniger wichtig ist es, junge, unbekannte Choreografen vorzustellen. Davon zeugt der Mittelteil des Programms mit einer Arbeit des spanischen Choreografen Cayetano Soto, betitelt Uneven.
Die musikalische Folie bildet eine minimalistische, doch monotone Komposition für Cello und Audioplayback von David Lang mit dem Titel „World to come“. Nicolas Defranoux spielt sie live auf der leeren Bühne, deren Boden der Choreograf weiß ausgekleidet hat. Ein Ärgernis aber ist das Licht von Seah Johnson, der blendende Scheinwerfer ins Publikum richtet, was die vier Tänzerpaare in diffuses Halbdunkel versetzt. Sie agieren mit exzentrischen Bewegungen, doch ohne erkennbare choreografische Handschrift.
Beim letzten Teil des Abends, einer choreografischern Uraufführung von Mario Schröder mit dem Titel Cocoon, kommt das Gewandhausorchester wieder zum Einsatz. Aaron Coplands Konzert für Klarinette spielt Andres Lehnert als Solist; Bühne und Kostüme entwarf Paul Zoller. Die Optik ist asiatisch inspiriert, vor allem bei den Tänzern in roten Overalls mit Fledermausärmeln. Die Choreografie ist ebenso verrätselt wie die Videos auf der Rückwand. Mit Schmetterlingen, Insekten und Pflanzen bringen sie anfangs eine exotische Stimmung ein, lösen sich allmählich in ein geometrisches Raster auf und gehen dann in eine nächtliche Großstadtszenerie mit Wolkenkratzern über. Möglicherweise soll hier die Zerstörung der Natur durch die Technik angesprochen werden. Tänzerisch bleibt vor allem das Solo von Fang-Yi Liu in Erinnerung, die damit ihren letzten Auftritt bei der Compagnie absolviert. Im plissierten blauen Seidenanzug trippelt sie zu Beginn in fremdartiger Manier und wird gedoubelt von Jeanne Baudrier im Hintergrund. Mit ihrer reichen Erfahrung gelingt es ihr, fernöstliches Vokabular mit europäischem Tanzempfinden zu verbinden. Dennoch hinterlässt auch am Ende des Abends die Arbeit von Uwe Scholz den stärksten Eindruck.
Bernd Hoppe, 21.5.22