Leipzig: „Faust“ als Tanzdrama

Es war eine glänzende Idee des Ballettdirektors Mario Schröder, den slowenischen Choreografen vom Nationaltheater

Maribor, Edward Clug, für eine Produktion nach Leipzig zu verpflichten. Die Wahl fiel auf Faust nach Goethes Dichtung mit der Musik von Milko Lazar. Die Bühne mit Himmelsprojektionen und einer transparenten Box baute Marko Japeli, die Kostüme im biedermeierlichen bis modischen Stil entwarf Leo Kulas.

Die Eingangsszene führt in Fausts Studierzimmer mit dem Gelehrten im Rollstuhl; seine düsteren Gedanken werden durch dunkle Engel, die auf dem Boden mit den Flügeln schlagen oder zittern, personifiziert. Seine Absicht, sich das Leben zu nehmen, wird von einer himmlischen Gestalt im weißen Trikot, einer Sybil (Soojeong Choi), vereitelt. Mit dem Auftritt der grölenden Studenten in blauen kurzen Hosen kommt Leben in das Geschehen. Mit ihren Bierflaschen stampfen sie ausgelassen, unter ihnen Mephisto, erkennbar an seinen roten Schuhen. Andrea Carino mit seiner charismatischen Aura und sinnlichen Körperlichkeit ist eine stimmige Besetzung. Als schwarzer Pudel in Form eines Luftballons verschafft er sich Zugang zu Fausts Zimmer. In der Box, wo zuvor anlässlich des Osterfestes eine Auferstehungsprozession gezeigt wird (mit David Iglesias Gonzales als Jesus), erfolgt die Unterzeichnung des Vertrages zwischen dem nunmehr verjüngten Faust und Mephisto. Beide finden sich danach zu einem übermütigen Tanz zusammen. Gretchen, die mit einem Bierkasten auftritt und die leeren Flaschen einsammelt, ist in Gestalt von Natasa Dudar ein heutiger Typ. Ihre erste Begegnung mit Faust ist eine originelle choreografische Lösung, denn auch Mephisto und Marthe (streng und exzentrisch: Ester Ferrini) treffen sich und die beiden Paare werden in ihrem Bewegungsduktus absolut synchron geführt. Bei der Rückkehr von Gretchens Bruder Valentin (viril: Carl van Godtsenhoven) aus dem Krieg wandelt sich die Musik von gefälligen in martialisch-dissonante und schmerzende Klänge. Die Szenen zwischen den Geschwistern sowie zwischen Valentin und Faust sind packend und gehören zu den stärksten der Choreografie.

Deren unbestrittener Höhepunkt aber ist die Walpurgisnacht im Zweiten Teil. In bizarren Kostümen sitzen Fabelwesen an einer Tafel, darunter Schweine mit monströsen Ohren, Motten, Schnecken und goldene Göttinnen auf Kothurnen. Hauptfigur ist ein Satyr, den Marcos Vinicius Da Silva in extravagantem Gestus gibt. Nach dem Mord an ihrem Kind, das sie im Kinderwagen ertränkt, findet sich Gretchen in der Box wieder, umgeben von mehreren Doubles. Nach der 4. Vorstellung am 1. 4. 2022 feierte das Publikum alle Interpreten begeistert, auch den Dirigenten Matthias Foremny, der mit dem Gewandhausorchester Lazars Musik differenziert und klangvoll zum Erklingen brachte,

Bernd Hoppe, 11.4.22