Essen: „Babi Yar“

Yuri Temirkanov & Sankt Petersburger Philharmoniker

Herren des Wiener Singvereins Johannes Prinz (Leitung)

Petr Migunov (Bass)

Nikolai Rimski-Korsakow

Musikalische Bilder aus "Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und der Jungfrau Fewronia" (arrangiert von Maximilian Steinberg)

Dmitri Schostakowitsch

Sinfonie Nr. 13 b-Moll für Bass, Männerchor und Orchester, op. 113 "Babi Yar"

Es gibt nicht viele Stück, die man ernsthaft als Jahrhundertwerk bezeichnen kann, aber es gibt Stücke welche diese Bezeichnung ohne wenn und aber verdienen. Dazu muß Schostakowitschs 13. Sinfonie – Untertitel Babi Yar, beruhend auf einem Gedicht von Jetuschenko – unbedingt gezählt werden. Sie ist ein Mahnmal an die Ermordung von mindestens 100 000 Menschen durch die Nationalsozialisten – anfangs überwiegend Juden. Das geschah 1941 in jener Schlucht namens Babi Yar, in der Nähe der ukrainischen Stadt Kiew.

Das Stück gehört zu den beeindruckendsten und erschütternsten Meilensteinen der Musikgeschichte und wenn am Ende in einem quasi Piano der Stille nur noch das Totenglöcklein ertönt, schnürt es auch heute noch den Zuhörern die Kehle zu, man hat Tränen in den Augen, und es folgen statt Beifall erst einmal viele unendliche wichtige, im Konzert ungewöhnliche Sekunden der Stille. Ähnlich wie nach dem Finale der Poulenc-Oper Dialogues des Carmélites. Das sind jene großen Momente, wo Musik in die tiefste Seele der Zuhörer eindringt und die Menschen nachhaltig bewegt.

Wenn dann noch ein solch phänomenales großes russisches Orchester, wie die St. Petersburger Philharmoniker mit einem Urgestein als Dirigenten namens Yuri Temirkanov (Bild oben) – der immerhin dieses grandiose traditionelle Klangkollektiv schon seit 1988 leitet – aufspielt, kann man ohne Zögern schon im voraus von einer idealen Wiedergabe ausgehen.

Die Erwartung des Rezensenten wurde nicht enttäuscht. Auch wenn 100 Stimmen des Männerchores doch schon etwas voluminöser klingen, als die "nur" 45 des Wiener Singvereins. Und auch wenn dieser wirklich fabelhaft singende Männerchor (Johannes Prinz) – das letzte Tüpfelchen auf dem "i" – wohl noch toller von der Chorempore geklungen hätte, ist ein Traumabend zu attestieren. Ich denke, Schostakowitsch selber hätte das nicht besser dirigieren können und hat sich irgendwo aus den ätherischen Wolken oben im Musikgötterhimmel über eine so grandiose Interpretation und Ernsthaftigkeit gefreut.

Der junge Petr Migunov (Bild rechts) Gewinner diverser internationaler Gesangswettbewerbe

sang sich, trotz seiner für einen Bass relativ hoch liegenden Tessitura, ganz großartig in die Herzen der Zuschauer. Eine Entdeckung!

Lobenswert, daß man in Form einer Ouvertüre eine kurze 15-minütige Zusammenstellung von Auszügen aus Nikolai Rimski-Korsakows in unseren Landen praktisch nie gehörter Oper Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und der Jungfrau Fewronija voranstellte. Immerhin klangmalerische Schönheit ohne größeren Tiefgang, in der man thematisch die Schlacht am Kershenez zwar etwas weit hergeholte, aber doch als thematische Verbindung sehen kann.

Schade, daß die Essener Philharmonie bei so einem Jahrhundertwerk in vollendeter Interpretation und geschliffenster Wiedergabe nicht ausverkauft war. Musik aus der Tiefe der russischen Seele, wie man sie auch auf besten Silberscheiben so sonst nicht zu hören bekommt; berauschender und ergreifender Beifall nach einer halben Gedenkminute. Danke.

Peter Bilsing 16.10.2018

Bilder (c) Phil Essen / Bolshoi Opera

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