Frankfurt: Reisegrüße aus dem Süden

hr-Sinfonieorchester

Alain Altinoglu (Leitung), Renaud Capuçon (Violine)

Emmanuel Chabrier
España

Maurice Ravel
Sonate für Violine und Klavier (Orchestrierung: Maresz)

Jacques Ibert
Escales

Maurice Ravel
Boléro

Südländisches Flair bestimmte das jüngste Konzert des hr-Sinfonieorchesters in der Alten Oper. Zu Beginn wurde dem Publikum der Alten Oper Frankfurt ein Preis vergeben. Gregor Burgenmeister, Herausgeber der Zeitschrift „Concerti“, zeichnete das Publikum des hr-Sinfonieorchesters (für das Jahr 2021) als bestes Konzertpublikum Deutschlands aus. Dazu erhielt es aus den Reihen des hr-Sinfonieorchesters viele Dankesbekundungen, vorgetragen in den unterschiedlichen Landessprachen (danach in deutscher Übersetzung) der einzelnen Orchestermitglieder. Eine schöne Geste. Dazu war das Bühnenportal mit herrlichem Rosendekor prächtig geschmückt. Es lag eine besondere Stimmung im Raum und das Publikum an diesem Abend wurde nicht enttäuscht.

Im Jahr 1883 verbrachte Emmanuel Chabrier viele Wochen in Spanien. Musikalisches Zeugnis dieser Reise wurde seine bekannteste Komposition España. Ein herrlich virtuoses Orchesterwerk, das bei Publikum und auch bei Chabriers Kollegen, wie de Falla oder Mahler große Anerkennung fand. Wunderbar instrumentiert, rhythmisch pointiert und dazu eine Fülle musikalischer Überraschungen. Wer kennt sie nicht, die markant und spanisch tönenden Posaunen in diesem Werk? Emile Waldteufel hat auf diese unwiderstehlichen Melodien einen schönen Walzer komponiert.

Das hr-Sinfonieorchester zeigte sich an diesem Abend in bester Disposition und üppiger Spiellaune. Und auch Chef-Dirigent Alain Altinoglu zeigte sich überraschend stark inspiriert. Mit Verve und erkennbarer Begeisterung motivierte er sein Orchester zu einem mitreißenden Orchester-Feuerwerk. Ein vielversprechender Beginn.

Groß ist die Faszination an der Musik von Maurice Ravel, die den Komponisten Yard Maresz begleitet. Er instrumentierte dessen Violinsonate im Jahr 2013 in kammermusikalischer Weise und ließ dabei die Stimme der Violine nahezu unangetastet.

Solist des Abends war der französische Virtuose Renaud Capucon. Mit höchster Konzentration und warmem Ton auf seinem Instrument zelebrierte er jeden Moment dieser Komposition, die manchmal neutönend und auch jazzig mit etwas Bluesfeeling daherkommt. Hoch sensibel in den kantablen Momenten gestaltend, dann auch schroff und zupackend artikulierend, dabei stets edel klingend mit empfundenen Phrasierungsbögen. Altinoglu war auch hier ein befeuernder Partner, der seinem Solisten jede Unterstützung zukommen ließ.

Zu den besonders anspruchsvollen Werken für Solo-Violine zählt die Rhapsodie „Tzigane“, die 1924 von Maurice Ravel geschrieben wurde. Obwohl der Werktitel „Zigeuner“ dem Werk eine koloristische Empfehlung ausspricht, so ist das Werk nicht wirklich durch Folklorismen gekennzeichnet. Das Werk wirkt hintergründig und ertönt eher dunkel in der Grundfärbung. Ein wenig befremdlich ist der rein solistische Beginn der Violine. Erst nach einigen Minuten tritt das Orchester begleitend hinzu.

Und hier entfaltete Renaud Capucon seine ganze virtuose Meisterschaft. Rasend schnelle Doppelgriffe, große Intervallsprünge und häufig in einem zugespitzten Tempo. Capucon, der große Souverän an seinem herrlichen Instrument, war nicht aus der Ruhe zu bringen. Mit staunenswerter, stoischer Konzentration zauberte er eine Farbskala auf seinem Instrument, so dass das Publikum völlig aus dem Häuschen geriet.

Und Capucon bedankte sich mit einer großzügigen Zugabe. Ein wirkliches Geschenk an die begeisternden Zuhörer. Er spielte zusammen mit Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand die Meditation aus der Oper „Thais“ von Jules Massenet. Ein Sternstunden Moment, das Publikum war völlig gebannt, so innig, so ergreifend und zugleich sonor schwelgte Renaud Capucon in den herrlichen Kantilenen. Großer Jubel!

Selten sind sie im Konzertsaal anzutreffen, die Orchesterwerke des Franzosen Jacques Ibert. Sein Oeuvre ist weitreichend und umfasst u.a. Oper, Ballett, Kammermusik. Ibert sah sich der klaren Melodieführung verpflichtet und war behutsam mit harmonischen Neuerungen. Freudvoll nutzte er Orchesterfarben für ländliches Kolorit, was ihm zeitweilig den Spitznamen „moderner Chabrier“ eintrug.

Sein 1924 entstandenes Orchesterwerk „Escales“ wirkt wie ein musikalischer Reiseführer. Der erste Satz „Palerme“ beschreibt eine Seereise von Rom nach Palermo. Im zweiten Satz geht es dann nach Tunis, eine kleine exotische Klangkaravane. Überschäumend endet die Komposition mit musikalischen Grüßen aus der iberischen Stadt Valencia.

Alain Altinoglu war mit dem bestens vorbereitetem hr-Sinfonieorchester ganz in seinem Element. Mit klanglicher Raffinesse und rhythmischem Drive zeigte einmal mehr das großartige Orchester seine überlegene Spielkultur. Die volltönende Streichergruppe war ein Meer des Klanges, auf welchem die übrigen Instrumentalisten sich wunderbar bewegen konnten. Bestleistungen in den Bläsergruppen und auch in dem großen Schlagzeugapparat, der durchsichtig und zupackend agierte.

Last but not least stand am Ende mit dem unverwüstlichen „Bolero“ das bekannteste Werk von Maurice Ravel auf dem Programm. Das 1928 entstandene Stück ist bis heute sein meist gespieltes Konzertstück geblieben. Ravel zog in der Selbstbetrachtung eine bittere Bilanz: “Ich habe nur ein Meisterwerk geschrieben, den Bolero und dieser enthält keine Musik!“ Der gefühlt endlos verlaufende ostinate Grundrhythmus der Trommel bietet jedem Orchester reichlich Gelegenheit, alle Orchestergruppen in den Mittelpunkt der Zuhörer zu stellen. Eine große Herausforderung in der Konzentration gilt es für den Trommler zu bewältigen. An die 170 Mal muss er die wiederkehrende Rhythmusfigur spielen.

Spannender und passender zum Programm wäre sicherlich Ravels „Rhapsodie Espagnole“ gewesen. Musste es also der Bolero sein? Hierauf ein definitives JA!

Denn das hr-Sinfonieorchester nutzte nachdrücklich die Gunst, sich bestens zu präsentieren. Mit nicht nachlassender Konzentration zeigte es einmal mehr seine Klangschönheit. Dirigent Alain Altinoglu gab seinem Orchester hier besonders freies Spiel, so dass manche Phrasierung eine ganz eigene Farbe bekam. Überlegen sein Timing für die dynamische Entwicklung des Werkes. Jedes instrumentale Solo kam als klang gewordene Persönlichkeit daher. Filigran die Flöte von Sebastian Wittiber. Herrlich im Ton die Klarinette von Tomaž Močilnik. Überaus volltönend Saxofon und Posaune. Wunderbar die leicht schmierigen Glissandi, die immer geschmackvoll von Altinoglu gewährt wurden. Rhythmisches Zentrum war Konrad Graf an der kleinen Trommel! Sehr zurückhaltend, aber äußerst präzise in der Artikulation realisierte der Schlagzeuger seine Aufgabe bestens.

Alain Altinoglu gestaltete diesen Evergreen als fortwährendes Crescendo im perfekten Timing. Und natürlich war es eine überwältigende Klangerfahrung, als das hr-Sinfonieorchester in den letzten Minuten völlig losgelöst sich klanglich komplett entäußerte.

Die immense Steigerung erzeugte beim Publikum einen großen kollektiven Aufschrei der Begeisterung!

Merci beaucoup et à bientot!

Dirk Schauß

11. Juni 2022