Aufführung am 12.2. 2019
featuring Isabelle Faust (Violine)
Schwierige Werke?
Vor wenigen Tagen erst war Isabelle Faust in der Philharmonie aufgetreten, und zwar mit dem London Symphony unter John Eliot Gardiner und in Partnerschaft mit dem Pianisten Kristian Bezuidenhout für Mendelssohns Doppelkonzert. Ein selten gespieltes Werk wie auch Robert Schumanns Violinkonzert, selbst wenn eine Reihe von CD-Aufnahmen signalisieren, daß sein früheres Schattendasein weitgehend beendet scheint. Eine besondere Herausforderung bleibt es freilich weiterhin. Ob es sich die Geigerin für ihr Debüt beim Gürzenich-Orchester ausgesucht hat oder der Dirigent Francois-Xavier Roth, ist nicht bekannt. Da Isabelle Faust mit Noten spielte, ist am ehesten an ein Entscheid des Dirigenten zu glauben.
Das Violinkonzert blickt auf eine schicksalsträchtige Geschichte zurück. 1853 neben einer Fantasie in gleicher Besetzung entstanden, wurde die geplante Uraufführung nach den ersten Proben aufgegeben, weil sich der noch sehr junge Joseph Joachim der Bewältigung des Werkes nicht zur Gänze gewachsen zeigte. Eine neue Initiative fand nicht statt, nachdem sich Schumann in den Rhein stürzte und seine aktuelle Kompositionstätigkeit daraufhin als Spiegel für diese Wahnsinnstat angesehen wurde. Schumanns Gattin Clara hatte sich schon zuvor zurückhaltend über das Konzert geäußert, zumal über seinen Introduktionssatz. Sie bat schließlich sogar, von Aufführungen überhaupt abzusehen. Das Notenmaterial ging in den Besitz von Joseph Joachim über, welcher verfügte, daß das Werk erst hundert Jahre nach Schumanns Tod aufgeführt werden dürfe. Aufgrund von Nachfragen durch die Geigerin Jelly d’Arányi, einer Großnichte Joachims, wurde im 20. Jahrhundert jedoch neues Interesse an dem Werk wach. Der Verlag Schott mischte sich ein und erreichte bei den Joachim-Erben eine Annullierung der „Schutz“frist. Für die Nationalsozialisten war dies willkommener Anlaß, das beliebte Konzert des „Juden“ Mendelssohn durch das des „deutschen“ Robert Schumann in der Musiköffentlichkeit zu ersetzen.
Am 26. November 1937 fand in Berlin die Uraufführung statt. Georg Kulenkampff spielte (als „Ersatz“ für den zunächst vorgesehenen Yehudi Menuhin) den Solopart, welchen er leicht modifiziert hatte. Es begleiteten die Philharmoniker unter Karl Böhm. Die Interpretation des Geigers mit dem Berliner Orchester ist überliefert, für lange Zeit allerdings nur in Form einer nachträglichen Studioproduktion, bei welcher zudem Hans Schmidt-Isserstedt statt Böhm dirigierte. Die Tatsache, daß die Premierenaufführung weltweit im Radio übertragen wurde, ließ einen Violinenthusiasten unserer Tage nicht ruhen. Ihm gelang es tatsächlich, über weitverzweigte Kanäle einen privaten Mitschnitt ausfindig zu machen, welcher seit 2016 auf dem Label „Podium“ greifbar ist.
Die Musik von Schumanns Konzert ist kaum als einschmeichelnd zu bezeichnen, einige melodische Themen ausgenommen. Bereits die fast rabiat zu nennenden Doppelgriffe der Introduktion markieren eine über romantische Gefälligkeit hinausführende Energie. Der polonaisenartige Finalsatz wirkt entschieden gelöster, sogar leicht humorvoll. Sein rhythmischer Impetus wurde häufig (und wird vielleicht noch) durch allzu rasche Tempi unbotmäßig nivelliert. Francois-Xavier Roth hielt sich strikt an das „lebhaft, aber nicht zu schnell“, was man vielleicht um einige Grade als zu streng empfinden konnte. Aber Mendelssohn-Grazie ist dem Werk nun einmal per se nicht eigen. Isabelle Faust unterstrich das mit ihrem zupackenden Spiel, intensiviert durch Tonformulierungen mit einem Vibrato, welches erst nach einer Millisekunde wirksam wurde. Das ergab eine leicht harsche Wirkung. Die stilistische Kompetenz der Geigerin frappierte jedoch auf ganzer Linie, das Gürzenich-Orchester bot eine elanvolle Begleitung.
Nach der Pause Gustav Mahlers fünfte Sinfonie. Francois-Xavier Roth hat sie bereits mehrfach aufgeführt und auch aufgenommen, stolz darüber, daß „sein“ Orchester 1904 die Uraufführung bestritten hat. Ein historisches Foto des Gürzenich-Saales aus diesem Jahr im Programmheft zeigt einen durchaus dekorativen Raum, dessen festliche Wirkung durch simple Stuhlreihen freilich leicht ernüchtert wird. Wie auch immer: der Abend des 18. Oktober geriet zum Ereignis, auch durch das persönliche Dirigat von Mahler.
Über sein Werk schrieb der Komponist mit selbstkritischer Ironie: „Was soll es (das Publikum) zu diesem Chaos…, zu diesem sausenden, brüllenden, tosenden Meer … für ein Gesicht machen?“ Heute empfindet man die sich vor Radikalität fraglos nicht scheuende Musik als uneingeschränkt zugänglich. Das traumesselige Adagietto ist dabei nicht einmal ausschlaggebend, wenn auch hilfreich. Die emotional überbordende Interpretationsweise eines Leonard Bernstein ist die Sache von Francois-Xavier Roth nicht. Er machte mit Hilfe seiner sehr belebten Dirigiergestik die Strukturen des Werkes nachvollziehbar, gab der Musik federnde Elastizität. Daß auch diese Art von musikalischer Darstellung starke Gefühlswallungen auszulösen imstande ist, war an den Publikumsreaktionen abzulesen, zumal das Gürzenich-Orchester große Präsenz zeigte.
Inzwischen befinden sich die Künstler auf einer Tournee mit den Stationen Turin, Budapest, Zürich und Wien. Mahlers „Fünfte“ bleibt das zentrale Werk. Das Schumann-Konzert wird freilich durch das von Mendelssohn ersetzt. Auch wenn man dies als historische Erinnerung nachvollziehen kann, ist der Austausch bedauerlich, denn für Schumanns WoO 1 bleibt immer noch viel zu tun.
Christoph Zimmermann 13.23.201
Bild (c) Felix Broede