am 2. Oktober 2017
featuring: Christian Tetzlaff (Violine)
Wahrscheinlich hat Francois-Xavier Roth, der in seinen Programmen mit dem Gürzenich-Orchester gerne Köln-Bezüge herstellt, solche auch beim jetzigen Saisonauftakt beabsichtigt. György Ligetis Violinkonzert erlebte seine Uraufführung nämlich 1992 in der Philharmonie (dieser Ort wird im Programmheft freilich nicht ausdrücklich genannt). Der Interpret war Saschko Gawriloff (heute 87), welcher das Werk auch in Auftrag gegeben hatte. Ihn begleitete das Ensemble Modern unter Peter Eötvös, ein angemessener Klangkörper für das recht kammermusikalisch konzipierte Werk (mit reichlich Schlagzeug allerdings). Zwei Jahre zuvor waren schon die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden drei Sätze (von den geplanten fünf) zur Aufführung gekommen. Etliches Notenmaterial wurde erst kurz vor der Premiere fertig. Der Solist musste es wahrlich mit „hängender Zunge“ einstudieren. Auch Gary Bertini, damals Chef des WDR Sinfonieorchesters, dürfte Schweißperlen vergossen haben.
Das Ganze ist nun ein Vierteljahrhundert her, und das Konzert hat sich offenbar gut etabliert. Francois-Xavier Roth wandte sich am Ende des erlebten mittleren Abo-Konzertes jedenfalls mit dieser Feststellung an das Publikum, wie immer ein liebenswürdiger Anwalt in Sachen Moderne. Er hat das Werk offenkundig minutiös im Kopf (trotz aufgeschlagener Partitur), dirigierte die heikle und teilweise aggressiv dissonante Musik mit rhythmischer Akkuratesse, mit Elan und Hellhörigkeit für ihre klangfarblichen Finessen.
Solist war Christian Tetzlaff. Er elektrisierte von Anfang an, machte mit seiner grifftechnischen Sicherheit vergessen, was der Komponist mal mit ironischer Selbstkritik über sein Werk sagte: „Für die Geige zu schreiben, war für mich wie Japanisch zu sprechen.“ Ligeti tobt sich kompositorisch also gewissermaßen aus, bündelt seine manchmal unspielbar erscheinenden Einfälle ein letztes Mal in der virtuosen Kadenz des finalen Agitato molto. In der an zweiter Stelle platzierten Aria gibt es freilich auch ausdrucksvoll lyrische Passagen wie dann nochmals im Lento intenso der Passacaglia (4. Satz), die freilich durch Einwürfe des Schlagzeugs und grell aufblitzenden Tönen von Okarinas und Lotusflöten partiell zerfurcht werden.
Christian Tetzlaff war, so konvulsivisch er sich auch gab, eine Art Fels in der Brandung von Ligetis Musik, mal virtuos attackenhaft, mal den Klangaufruhr melodisch glättend. Dass ihm sein Part volle Konzentration abverlangte, war aus seiner Körperspannung abzulesen, die man von ihm freilich auch bei klassischen Werken erlebt. Bei seiner Bartók-Zugabe faszinierten nicht zuletzt die vielen mitunter fast in die Unhörbarkeit mündenden Pianissimi.
Mit schwierigen Annäherungen an die Endgestalt eines Werkes hatte auch Anton Bruckner zu kämpfen, zumal er – bescheiden und über Gebühr unsicher – immer wieder allen möglichen Einflüsterungen nachgab. 1874 war die Premiere seiner dritten Sinfonie war ein Desaster, was Bearbeitungen zur Folge hatte. Die Schlussversion von 1889 wurde gar von 2056 auf 1644 Takte gekürzt. Die Urfassung liegt erst seit 1977 gedruckt vor. Der akribische Francois-Xavier Roth wählte sie für sein Kölner Konzert. Wer Aufführungen oder Aufnahmen der Sinfonie im Ohr hat, dem fielen Veränderungen vor allem in den Rahmensätzen auf.
Prägend ist bei dieser „Wagner-Sinfonie“ allerdings nach wie vor der Monumentalstil der Musik, welchen Roth mit zugespitzter Dynamik und sehr breiten Generalpausen unterstrich. Dass er im Moment im Staatenhaus auch den „Tannhäuser“ dirigiert, bedeutet freilich nicht unbedingt eine Beeinflussung. Auf jeden Fall aber ließ er das hinreißend konzentrierte Gürzenich-Orchester mit emotionalem Nachdruck musizieren und gönnte sich bei Höhepunkten den einen oder anderen „Bernstein-Sprung“. Roths äußerst dringliche Interpretation hielt die Zuschauer in Atem, und die von ihm aufgebaute Spannung verwehrte quasi fast automatisch störendes Husten, ermöglichte ein voll konzentriertes Musikerlebnis.
Christoph Zimmermann 3. Oktober 2017
Fotos © Giorgia Bertzzi, Holger Talinski