Braunschweig: „Tosca“, Giacomo Puccini

Die 2003 mit „Carmen“ begonnene Erfolgsserie der Open-Air-Aufführungen auf dem historischen Burgplatz in Braunschweig feierte jetzt ihr 20-jähriges Jubiläum. Bei der besuchten Aufführung spielte auch das Wetter mit, so dass man den immer wieder spannenden „Opern-Krimi“ an einem lauen Sommerabend erleben konnte. Und es gab ganz großes Musiktheater, das einen von Anfang an fesselte, obwohl man doch „Tosca“ nun schon so oft gesehen hat. Woran lag das? Zum Einen an der gestalterischen Kraft des gesamten Ensembles, das mit Hilfe der exzellenten Personenführung der Regisseurin Anna Bernreitner großartige Leistungen zeigte. Einige besondere inszenatorische Ideen unterstützten das Verständnis der Handlung, wie z. B. das Auftreten der Attavanti, die den Schlüssel und die Frauenkleidung für ihren Bruder Angelotti (mit sicherem Bass  Rainer Mesecke) in der Kirche versteckte. Dass sie zum „Tedeum“ dann wie in einer Prozession zur Madonna wird, nachdem sich zuvor Scarpia ihr lüstern genähert hatte, war eher fragwürdig. Im letzten Bild entstand mit einem Kreuz versehen das Grab für Cavaradossi, in das später auch Tosca nach ihrem Selbstmord mit dem Spoletta entwendeten Revolver fiel. Zuvor wird recht deutlich, dass Cavaradossi offensichtlich durchschaut, dass die Hinrichtung keineswegs nur zum Schein erfolgt. Reichlich übertrieben fand ich, dass zur Charakterisierung von Scarpias Sex- und Machtgeilheit dieser zu Beginn des 2. Aktes eine der ihm zugeführten drei Frauen im weißen Hemdchen mit Rotwein überschüttete, als sie sich nicht ohne Gegenwehr von ihm betatschen ließ.

© Joseph Ruben Heicks

Zum Zweiten hatte sich Bühnenbildnerin Eva-Maria van Acker für eineeinfache, gut bespielbare Umgebung entschieden, indem die sinnfällig zu verschiebenden Spielflächen in Kreuzesform wie die Wand hinter dem Burglöwen barocke Malereien enthielten. Das passte folgerichtig zum Magdalenen-Bildnis, an dem Cavaradossi wie bei der Straßenmalerei auf dem Fußboden arbeitete. Dies war aber auch der einzige Bezug zur Historie, denn die zeitgenössischen Kostüme von Christine Hielscher machten deutlich, dass es sich hier um zeitlose Probleme wie Machtmissbrauch und Gewalt gegen jedermann handelt.

Schließlich war zum Dritten die musikalische Verwirklichung von beeindruckender Qualität: Braunschweigs 1. Kapellmeister Mino Marani hatte mit überaus präzisem, inspirierendem Dirigat den ganzen Apparat gut im Griff, ließ das in allen Gruppen ausgezeichnete Staatsorchester Braunschweig gewaltig aufbrausen, was gegenüber den Gesangssolisten teilweise zu viel war. Dies mag allerdings auch an der Tonmischung gelegen haben; denn in den lyrischen Phasen kam die Musik in angemessener Form zur Ruhe. So hatte die Morgenstimmung zu Beginn des 3. Aktes mit dem schön sauber intonierenden Hirt (Vivien Zöller) viel Atmosphäre.

© Joseph Ruben Heicks

Auch die stimmlichen Leistungen hatten in jeder Partie erfreulich hohes Niveau.  Da ist zunächst Liana Aleksanyan als Tosca zu nennen. Die während ihrer Braunschweiger Zeit beliebte Sängerin, die seit 2019 in Düsseldorf im Ensemble ist, begeisterte durch ihr temperamentvolles Spiel, mit dem sie sowohl die Eifersucht der Tosca, aber auch ihre leidenschaftliche Liebe zu Cavaradossi glaubwürdig darstellte. Das war es natürlich nicht allein, denn ihre sängerischen Qualitäten sind erheblich gewachsen, indem sie alle unterschiedlichen Aspekte der Partie ausdeutete, von den lyrischen zarten Tönen bis zu aufbrausender Dramatik; dabei erfreuten die in bestem Legato ausgeführten Melodiebögen ebenso wie die wie selbstverständlich präsentierten sicheren Höhen. Ein Ereignis war Toscas berühmtes Kunstbekenntnis „Vissi d’arte“, das begeisterten Szenenapplaus erhielt. Den bekam auch Kwonsoo Jeon nach der ausgesprochen anrührend gestalteten Arie „E lucevan le stelle“. Im Übrigen wusste das Braunschweiger Ensemble-Mitglied durch glaubwürdige Darstellung des zunächst fast unbekümmerten, später kämpferischen Malers und mit seinem in allen Lagen strahlkräftigen Tenor zu gefallen; die gefürchteten „Vittoria“-Rufe waren eine Klasse für sich.

© Joseph Ruben Heicks

Der italienische Opernsänger Davide Damiani als Gast in Braunschweig gab den Polizeichef Scarpia als sadistischen, stets gewaltbereiten Fiesling; dazu passte gut sein kräftiger, bassgrundierter Bariton. Mit lebendigem Spiel und flexibler Stimmführung überzeugte Zachariah N. Kariithi als ängstlicher Mesner; klarstimmig war Peter O’Reilly als Spoletta. Sebastian Matschoß als Sciarrone und Peter Fontaine als Schließer ergänzten das Solistenensemble ohne Fehl. Insgesamt klangprächtig gefielen Chor und Extrachor (Georg Menskes, Johanna Motter) sowie der Kinderchor (Mike Garling). Begeisterter Beifall belohnte alle Mitwirkenden.

Gerhard Eckels,10. September 2023


„Tosca“
Oper von Giacomo Puccini

Staatstheater Braunschweig

Premiere am 26. August 2023
Besuchte Vorstellung am 9. September 2023

Inszenierung: Anna Bernreitner
Musikalische Leitung: Mino Marani
Staatsorchester Braunschweig