Natürlich ist auch 2023 vieles so, wie man es 2018 bei der Premiere von Verdis Macbeth in der Berliner Staatsoper in einem Alterswerk Harry Kupfers erlebt hatte. Streng materialistisch werden aus den Hexen leichenfleddernde Bettelweiber, aus den Luftgeistern Krankenschwestern, gibt es keinen versöhnlichen Schluss mit „Salve il Re“, sondern einen Kampf Macduffs und Malcolms um die Königsschärpe, setzt sich die Regie über die Absichten des Komponisten hinweg und bringt zum Schluss die später gestrichene Arie des Macbeth aus der Fassung von 1847 zurück auf die Bühne, obwohl mit „Rispetto, pietà, amore“ bereits alles gesagt ist. Auch olle Regiekamellen wie mit Paradeuniformen prunkende Militärs südamerikanischer Anmutung oder nicht weniger eitle hohe Geistlichkeit bevölkern die nur durch weißes Mobiliar aufgehellte düstere Bühne, und Dramatik liefert nicht das Bühnengeschehen, sondern reichlich eingesetzte Videoprojektionen nehmen sich dieser Aufgabe an. Dramatisch wird es weniger auf der Bühne als auf dem Hintergrundhorizont, wo ein Vulkan Lavaströme ausstößt, es immer wieder zu blitzreichen, aber donnerfreien Gewittern kommt, und rätselhaft bleibt der Einsatz eines Riesenbaggers, der nicht seiner wohl angedachten Bestimmung, Bancos Leichnam zu entsorgen, zugeführt wird. So blieb es bei einer vom Sänger sicherlich geschätzten Verstärkung des Klangs für seine große Arie.
Placido Domingo erarbeitete sich zur Zeit der Premiere sein Baritonrepertoire, und sein Freund Daniel Barenboim hatte ihm wohl nicht den Mussbach-Macbeth im Reich der Termiten zumuten wollen und sich zu einer Neuproduktion entschlossen. War es zwar nicht anlässlich eines Macbeth, sondern einer Traviata, dass sich vor der Lindenoper Gruppen von gegen seinen Auftritt Protestierenden aus dem Me-too-Lager eingefunden hatten, war es nun bei der Wiederaufnahme Anna Netrebko, gegen deren Engagement sich aus bekanntem Grund Widerstand in Form von Plakaten, Protestgeschrei vor dem Opernhaus und vereinzelt sogar während der Vorstellung in der Form von Buhrufen wahrnehmbar gemacht hatte. Das schlagendste Argument gegen ihren Auftritt sollte übrigens ein Foto aus dem Jahre 2014 sein, das sie mit Putin und einer Fahne der zwischen der Ukraine und Russland zum Streitobjekt gewordenen Gebiete zeigte. Danach gab es mehrere Bekenntnisse gegen den Krieg und damit auch gegen seinen Verursacher.
In der zweiten ihrer insgesamt vier Vorstellungen als Lady Macbeth war vorm wie im Haus von Protest nichts mehr zu bemerken, und die Vorstellung konnte ungestört ihren triumphalen Verlauf nehmen.
Hervorzuheben ist zuerst einmal die Besetzung dieser italienischen Oper mit fast nur italienischen Sängern, heutzutage eine Seltenheit, wenn der Sopran Bulgarin, der Tenor Amerikaner, der Bariton Koreaner ist, während man an diesem Abend, geht man davon aus, dass Anna Netrebko in die italienische Oper gehört, sich über ein einheitliches Klangbild freuen konnte. Da hatte Fabio Sartori den unnachahmlichen Schmelz eines italienischen Tenors, für den man jede noch so unheldenhafte Optik in Kauf nimmt, und konnte mit „Dalla paterna mano“ ergreifen. Herber klang sein Kollege Andrés Moreno Garcia als Malcolm. Ferruccio Furlanettos inzwischen sehr reifer basso profondo weiß noch immer um eine generöse Phrasierung für den Banquo und lässt bei „È assassinato il re Duncano“ erschauern. Luca Salsis Bariton besitzt schöne, dunkle Farben für die Titelpartie, lässt im Wettstreit um die Gunst des Publikums allerdings weniger an einen Verdi-Helden denken als auf der Alfio/Tonio-Schiene veristisch unterwegs zu sein. Es wirkte so, als wolle der Bariton auch auf Kosten der Stilsicherheit um jeden Preis mit seiner Kollegin und Bühnengattin mithalten. Die Riesenfermate zum Schluss verfehlte tatsächlich ihre Wirkung auf das Publikum nicht. La Netrebko allerdings war einfach sensationell mit fabulösen Klängen von der hochpräsenten Pianissimo-Höhe über gleisnerisch schillernde Töne in allen Lagen bis zur farbigen Tiefenlage, eine Stimme wie aus einem Guss, von betörender Farbe und der Fähigkeit, die unterschiedlichsten Stimmungen hör- und damit vermittelbar zu machen. Auch darstellerisch schien sie eins mit der Rolle zu sein, für die sie in der Schlafwandlerszene sogar auf das Mitgefühl der Zuschauer zählen durfte.
Der Chor hatte mit dem Insieme am Schluss des ersten Akts, vor allem aber mit „Patria oppressa“ seinen großen Auftritt und faszinierte durch seinen agogikreichen Einsatz. Bertrand de Billy fand mit dem Orchester der Staatsoper zu verdigerecht brioreichem und nur selten zu lautem Spiel.
Ingrid Wanja, 17. September 2023
Macbeth
Melodramma in vier Akten von Giuseppe Verdi
Staatsoper Berlin
10. Vorstellung am 17. September 2023 nach der Premiere am 17. Juni 2018
Inszenierung: Harry Kupfer
Musikalische Leitung: Bertrand de Billy
Orchester der Staatsoper Berlin