Mindestens eine Woche Feuilletonabstinenz sollte sich verordnen, wer sich die Vorfreude auf eine bevorstehende Opernpremiere erhalten möchte, denn allzu oft wird diese zerstört durch das Lesen eines Vorabberichts, einer Darlegung der Inszenierungsideen der Regie. So geschehen in einer Berliner Tageszeitung, die Pinar Karabulut, die Regisseurin von Puccinis Il Trittico an der Deutschen Oper Berlin, nach ihren Ideen für das aus drei Einaktern bestehende Werk befragte.
Schon die Überschrift „Ja, es wird wieder bunt“, befremdete, dazu zwei Fotos aus anderen Inszenierungen aus gleicher Hand, vielmehr zwei Händen, denn Regisseurin und Bühnenbildnerin scheinen ein unzertrennbares Gespann zu sein, das mit immer der gleichen Masche, der der Kunterbuntheit, an jedes wie auch immer geartete Werk herangeht. Puccini komponierte mit Il Trittico eine tragische, eine lyrische und eine komische Oper, von denen eine im Paris um 1910, eine in einem italienischen Kloster Ende des 17. Jahrhunderts und eine im mittelalterlichen Florenz spielt Weniger Gemeinsamkeit ist kaum denkbar. Der Held der Farsa, Gianni Schicchi, wird kurz in Dantes Commedia divina erwähnt, in der er wegen Erbschleicherei in der Hölle, dem Inferno, schmort. Das nimmt die Regie zum Anlass, allen drei Opern die Struktur von Dantes Werk überzustülpen, in Il Tabarro das Inferno, in Suor Angelica das Purgatorio und in der Komödie das Paradies zu sehen, welche Unterscheidung eine so sinnentleerte wie willkürliche ist und außerdem der optischen Gleichschaltung, die die Regie verordnet, ebenso widerspricht wie deren Vorhaben, alle Figuren sich immer wieder begegnen zu lassen. Einmal mehr erweckt eine Inszenierung den Verdacht, nicht das Stück habe am Anfang gestanden und zu Ideen animiert, sondern eine sich einmal bewährt habende Idee würde nun jedem beliebigem Stück aufoktroyiert.
Stellt man dann am Abend der Premiere das im Interview beabsichtigte Vorhaben der tatsächlichen Optik gegenüber, konnte man zumindest am 30. September feststellen, dass die Regie eine weithin sehr ordentliche, wenn auch für die Komödie übertrieben sarkastisch wirkende Personenführung, so im Umgang mit dem anscheinend untoten Buoso Donati, bereitgestellt hatte, während das Bühnenbild von Michela Flück durchgehend in grellem Pink, Orange, Lila und Türkis gehalten war, alle kraftvollen Farben meidend und dazu für Suor Angelica vom Drehwurm befallen und extrem dem Kitsch zuneigend, wenn sich bei Eintrübung der Stimmung die Unmengen von rosafarbenem Gewölk in düster drohendes dunkles Orange verfärben. Kongenial zum Bühnenbild passen die Kostüme von Theresa Vergho mit rotem Lack für Michele (mit aufblitzendem Strahl im Innenfutter) und Gianni Schicchi sowie Giorgetta und Lauretta, andersfarbigem, aber genau so unpassendem für das gesamte Personal von Il Tabarro, und die Nonnen scheinen geheimnisvolle Insekten in zarttürkisen oder zartgrünen Flügelkostümen zu sein.
War etwa eine von ihnen aus der Raupe geschlüpft, als die zuvor Frugola hatte erscheinen müssen? In Gianni Schicchi ziehen die riesigen Perücken und manch grüner Kahlkopf die Blicke auf sich. Wasser musste sein wegen IL Tabarro, und es ist ein etwa wadenhohes, in dem Luigi sein Leben lassen muss und dem Angelica mit blutbefleckten Schenkeln entsteigt. Der Enkelin Puccinis, Simonetta, hatte das vorherige Trittico an der DOB in der Regie von Katharina Wagner nicht gefallen, auch weil die Jungfrau Maria für eine Zigarettenpause aus ihrem Bilderahmen stieg. Nun raucht die Mutter Oberin und es würde ihr wohl auch nicht zusagen. Dabei könnte die Arbeit dem Publikum, das sie allerdings durchaus zu goutieren schien, auch dann noch gefallen, wenn man sie von einer Reihe so überflüssiger wie werkentstellender Gags sowie dem Zwang, die drei Einakter optisch ineinander zu verschränken, befreit.
Die Sängerstars waren zumindest auf dem Papier für den Tabarro reserviert worden, denn Carmen Giannattasio hat in Italien und anderswo bereits eine große Karriere gemacht. Auch als Giorgetta konnte sie mit einem in der Höhe schön aufblühendem Sopran erfreuen, leichte Schärfen trübten den positiven Gesamteindruck kaum. Der Sopranstar des Abends aber war die Armenierin Mané Galoyan mit einem herzbewegendem Senza Mamma in wunderschön tragfähiger, farbiger Mezza Voce und voller Innigkeit, dazu noch mit einem nicht nur dem Ohr schmeichelnden Babbino caro. Nicht viel Anlass zu Freude boten die beiden Primi Uomini, denn Jonathan Tetelman als Luigi war wieder einmal mehr viel zu laut, arbeitete hörbar auf trompetenhafte Spitzentöne hin, wurde allerdings streckenweis auch vom Orchester stark gefordert. Andrei Danilov konnte lyrische Qualitäten erst im Schlussduett mit Lauretta hören lassen, ließ in seinem Preislied auf Florenz zu scharfe Töne vernehmen. Annika Schlicht war in allen drei Einaktern eingesetzt, ließ durchgehend eine urgesunde, schön timbrierte Mezzo-Stimme hören und wusste dabei auch vokal zu differenzieren zwischen einer zwielichtigen Frugola, einer strengen Suora Zelatrice und einer deftigen Zita. Während Suor Angelica hatte sich Misha Kiria von seiner Darstellung des Michele erholen, aber nicht seine Stimme ändern können. War sein Bariton im Tabarro an angebrachter dunkler Bärbeißigkeit und damit vokaler Präsenz kaum zu überbieten, so fehlten für das Schlitzohr Schicchi die Feinheit des Parlando und die Geschmeidigkeit. Auch optisch gelang die Umstellung auf die ganz andere Partie schon deswegen nicht, weil wieder roter Lack zum Einsatz kam. Sonor füllte Andrew Harris die Partien Talpa und Simone aus, und Jörg Schörner und Markus Brück, die gerade noch in Butterfly einiges zu singen hatten, begnügten sich bescheiden mit Maestro Spinelloccio und Ser Amantio di Nicolao. Was für ein Luxus! Nicht luxuriös, aber werkdienlich, zügig und mit Erfolg um eine schöne Ausgewogenheit zwischen Bühne und Graben bemüht, leitete der für Sir Donald Runnicles eingesprungene John Fiore das Orchester der Deutschen Oper Berlin, die sich über einen von den Zuschauern gefeierten Saisonauftakt freuen kann, bei dem es dem Publikum nicht zu bunt wurde.
Ingrid Wanja, 1. Oktober 2023
Il Trittico
Giacomo Puccini
Deutsche Oper Berlin
Besuchte Premiere am 30. September 2023
Inszenierung Pinar Karabulut
Musikalische Leitung John Fiore
Orchester der DO Berlin