Die Oper Köln verschreibt sich immer wieder der Tradition Neues Musiktheater aus der Taufe zu heben und nutzt hier die unkonventionellen Gegebenheiten des Interims jedes Mal aufs Neue. Dabei sind die in den letzten Jahren zu erlebenden Produktionen so unterschiedlich und vielfältig, wie Oper eben nur sein kann. Nun stand also die Uraufführung von Frank Pescis „The Strangers“ auf dem Programm und dieses Werk hat durchaus Potential auch in der Zukunft vielleicht das ein oder andere Mal auf einem Spielplan zu landen.
Pesci und sein Librettist Andrew Altenbach nehmen sich eine wahre Begebenheit aus dem New Orleans des ausgehenden 19. Jahrhunderts vor: In diesen Jahren versuchte man gezielt gegen sizilianische Einwanderer Stimmung zu machen. So wurde ihnen unter anderem der Mord am Polizeichef untergejubelt, was zu einem harten Durchgreifen gegen und einer massiven Verhaftungswelle unter den Immigranten führte. In „The Strangers“ stehen das Paar Iania und Emanuele im Mittelpunkt, die voller Träume in die USA ausgewandert waren und nun in den Trubel geraten, an dessen Ende Emanuele schließlich im Gefängnis landet. Es kommt zum Prozess, bei dem viele der Inhaftierten freigesprochen werden, doch genau in diesem Moment stürmt ein Mob das Gefängnis und lyncht die in ihren Augen Schuldigen.
Dieser Plot ist durchaus operntauglich, vielleicht sogar für eine großformatige Umsetzung, das vorliegende Werk kommt aber deutlich verhaltener daher. Eine Handvoll Musiker (davon einige Streicher, einfach besetztes Blech, Klarinette, Fagott, Klavier, Drumset und Schlagwerk), zwar eine ordentliche Anzahl Partien, aber kein Chor. Die Musik die Pesci für das Werk schreibt strotzt nur so von Jazz und Südstaaten-Lokalkolorit. Es groovt, es swingt, es reißt mit. Das ist sicherlich eine Stärke der Partitur, dass gerade diese sehr kraft- und schwungvollen Passagen gut ins Ohr gehen und einen interessanten Brückenschlag in Richtung Neue Musik machen. Pesci weiß die Singstimmen hervorragend zu führen, driftet nie zu weit in die Atonalität ab und zeigt in orchestralen Zwischenspielen die Möglichkeiten seines Instrumentariums. Das ist alles sehr ordentlich gedacht und auch die generelle Anlage des Librettos funktioniert – dennoch hat das Werk Schwachstellen und eine ist sicherlich die Länge. So exzellent gebaut einige Szenen sind, so langatmig und pathetisch kommen andere daher. Ein nicht enden wollender Epilog am Schluss dämpft die Freude, über die gerade in der zweiten Hälfte des Abends flüssige und gut erzählte Handlung. Immer wieder verliert sich das Stück in seiner eigenen aufoktroyierten Bedeutungsschwere, anstatt einfach nur zu fließen und zu erzählen. Dabei tut die Regie ihr Bestmögliches, um eben diese spannende Story zu erzählen.
Die kanadische Regisseurin Maria Lamont und ihr Ausstatter Louis F. Carvalho nutzen Raum, Orchester und Sänger, um für den Zuschauer eine Art Rundumerlebnis zu schaffen. Die Personenführung ist klar und eindeutig und die raffinierte Ausstattung, bei der das Orchester manegenartig in der Mitte des Saals sitzt, lässt einige Szenen quasi vor den Füßen des Zuschauers passieren. Sechs quadratische Podeste werden immer wieder im Raum bewegt, zu neuen Räumen zusammengefügt und mit einigen wenigen Requisiten bestückt und bieten so zeitweise atemberaubende Nähe zu den Protagonisten. Ungünstig wird dieses Setting nur, wenn gerade auf der genau gegenüberliegenden Seite gespielt wird, denn dann ist alles auf einmal atemberaubend weit weg und teilweise sieht man die Akteure nicht mehr. Das ist ärgerlich und gerade in solchen Momenten wird die Länge des Abends wieder spürbar.
Sein besonderes Lob verdient der Abend sich durch die unglaubliche Spielfreude und hohe musikalische Qualität, die von allen Beteiligten an den Tag gelegt wird. „The Strangers“ ist ein Kraftakt für alle Beteiligten und es ist schön zu sehen, dass die Besetzung, die in weiten Teilen aus dem Ensemble der Oper besteht, mit so viel Verve und Freude an die Arbeit geht. Man mag beinahe keinen Sänger oder keine Sängerin besonders hervorheben, denn die Leistung stimmt durch die Bank weg. Ob es Miljenko Turk als David Hennessy, John Heuzenroeder als Emmanuele Pozzi oder Emily Hindrichs als Iania Costa ist – es macht Spaß zuzuschauen und alles klingt bestens. Das Gürzenich-Orchester unter Leitung des jungen Dirigenten Harry Ogg zeigt einmal mehr seine Klasse und schafft es die notwendige Leichtigkeit der jazzinspirierten Züge des Werks zu bewahren, sich auf der anderen Seite aber auch mit großer Akkuratesse den feingliedrigen Anforderungen der Neuen Musik zu stellen. Durch die kleine Besetzung blitzen immer wieder exzellente solistische Leistungen der Musiker auf und zeigen die Qualität der Partitur.
„The Strangers“ hinterlassen einen generell positiven Eindruck und beweisen einmal mehr, dass Berührungsängste mit neuem Musiktheater überhaupt nicht sein müssen. Auch wenn diese Produktion die Anforderungen des Stückes absolut bedient und alle Beteiligten wunderbar agieren, so möchte man sich fast wünschen, dass das Werk eine Überarbeitung für eine „richtige“ große Bühne bekommt, denn das Potential ist da. So bleibt im Hinblick auf Länge und Raffiniertheit der Musik der Eindruck, dass da mehr hätte sein können, mehr hätte sein müssen, die Komposition aber letztlich mehr will, als sie in diesem Setting erreichen kann. Dennoch zeigt sich das Publikum am Ende des Abends sehr angetan und das mit Recht.
Sebastian Jacobs, 6. Oktober 2023
Oper Köln
Frank Pesci: The Strangers
Uraufführung: 30.09.2023
Besuchte Vorstellung: 04.10.2023
Inszenierung: Maria Lamont
Musikalische Leitung: Harry Ogg
Gürzenich-Orchester Köln