Rhein/Ruhr: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2022/23“

Nein, ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen. Nach der Deutschen Oper Berlin gibt es heute einen Rundblick über die Region Rheinland und Ruhrgebiet mit der Oper Köln, der Deutschen Oper am Rhein, dem Musiktheater im Revier, dem Aalto Theater Essen und dem Theater Aachen. Weitere Bilanzen sollen folgen.

Beste Produktion:
Bernarda Albas Haus“ von Aribert Reimann am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. So packend kann ein Opernabend sein!

Größte Enttäuschung:
Simon Bocangera“ in Essen – wie eine Intendanz eine solche Produktion auf die Bühne lassen kann bleibt ein Rätsel.

Entdeckung des Jahres:
Miranda“ in Köln – das Opern-Pasticcio des Orpheus Britannicus Henry Purcell wird zu einem echten Thriller. Ein Abend, der unter die Haut geht.

Beste Wiederaufnahme:
Barrie Koskys Inszenierung von „Die Zauberflöte“ ist mittlerweile Kult und wird nicht nur an der Deutschen Oper am Rhein, sondern auf der ganzen Welt gezeigt. Welche Inszenierung schafft das schon?

Beste Gesangsleistung (Ensemble, Hauptpartie):
Kathrin Zukowski als Infantin Donna Clara in der sehr gelungenen Produktion „Der Zwerg“ an der Oper Köln.

Beste Gesangsleistung (Ensemble, Nebenrolle):
Andreas Joost als Hauptmann in „Wozzeck“ am Theater Aachen.

Beste Gesangsleistung (Gast):
Sonia Prina als Tolomeo in Händels „Giulio Cesare“ an der Oper Köln. Ein Rollenporträt voller Witz und Esprit und dabei exzellent musiziert.

Nachwuchssänger des Jahres: Soyoon Lee im Opernstudio NRW (u.a. gesehen als Martirio in „Bernarda Albas Haus“ in Gelsenkirchen). Unglaubliche Höhen mit Präzision und Strahlkraft, dazu szenisch absolut überzeugend. 

Bestes Dirigat: Francois Xavier Roth mit „Les Troyens“ in Köln – vielleicht der beste Berlioz-Dirigent dieser Tage.

Beste Regie: Dietrich Hilsdorf mit „Bernarda Albas Haus“ in Gelsenkirchen.

Bestes Bühnenbild:
Pia Dederichs und Lena Schmid mit der sehr gelungenen Nutzung der Situation im Staatenhaus in der Produktion „Der Zwerg/Petruschka“  an der Oper Köln.

Beste Chorleistung:
Chor der Oper Köln in allen Produktionen – ein wirklich exzellenter Klangkörper.

Größtes Ärgernis:
Der Flug des Essener Aalto-Theaters von der deutschen Spitze in provinzielle Belanglosigkeit. Was hat es dort in der Ära Soltesz für wunderbare Abende gegeben – und nun biedert man sich mit musiktheatralem Quatsch wie „Yesterdate“ beim Publikum an, zeigt wirklich mäßige Neuproduktionen und holt Sänger, die sicherlich solide singen, aber an alte Herrlichkeit nicht anzuknüpfen vermögen. Schade. Hoffen wir, dass die neue Intendantin die Weichen wieder besser stellt.


Die Bilanz zog Sebastian Jacobs.