Hamburg: „Der Troubadour“, Giuseppe Verdi

© Brinkhoff/Mögenburg

„Grauenhaft!“

So entfuhr es noch vor Einsetzen des Schluss Applauses einem empörten Besucher der „Troubadour“-Premiere am 17. März in der Hamburger Staatsoper. Ganz so einfach und vor allem heftig verhält sich das Ganze nicht, denn die Inszenierung von Immo Karaman hat ausgesprochen gute und vor allem bildmächtige Ansätze.

Die Handlung spielt in der Empfangshalle eines repräsentativen Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert, die Kostüme von Herbert Barz-Murauer lassen an die 20er bis 30er Jahre des 20. Jahrhunderts denken. Das alles hat etwas von Magischem Realismus mit Rückblenden und reizvollen Traumszenen.

Leitmotivisch lodern Flammen entweder in Video-Projektionen auf der gesamten Bühne; das ganze Haus hat zwischen dem zweiten und dem dritten Akt gebrannt, was die Beschädigungen und Rußflecken offenbar machen. Mal brennen Stühle oder – das stärkste und beklemmendste Bild der Produktion – ein Kinderwagen. Das hat etwas von der Grausamkeit der berühmten Szene aus Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, als ein Kinderwagen über die Richelieu-Treppe in Odessa rollt, nachdem die Kinderfrau erschossen wurde. Auch eine Bedienstete wird angezündet, denn der Mob hat sich die schutzlose Frau als Projektionsfläche für die kindermörderische Hexe auf dem Scheiterhaufen ausgesucht.

Die Gewalt in dieser Produktion findet einen Höhepunkt, als Graf Luna eine Hausangestellte vor den Augen aller zu vergewaltigen versucht. Das paßt zwar inhaltlich, weil die Szene den Charakter des selbstherrlichen Machos unterstreicht, aber es ist in der Drastik völlig überzogen und so setzt es kurz nach der Szene und in der folgenden Generalpause die ersten Buh-Rufe.

Vieles bleibt unklar in dieser Inszenierung, wie eine Karnevalskapelle oder die rückwärts durch den Raum schreitenden Personen (geht es hier um den Bezug zur Vergangenheit?) sowie die zeitlich nicht in die Handlung passende Schwangerschaft Leonoras. Ihr Auslegen von Lilien ist in der Unschulds-Symbolik etwas platt und angesichts ihres Zustands auch nicht stimmig. Das gilt ebenso für das durchgehende Spiel im gleichen Raum; laut Libretto gibt es je mehrere Handlungsorte. Schon klar, der Regisseur möchte dadurch das Gefangensein aller Personen und eine gewisse Unverrückbarkeit, damit Unentrinnbarkeit aus dem drohenden Schicksal darstellen, aber das beißt sich eben zu deutlich mit dem Text.

Schön sind solche Ideen, wie den Walzertakt der Musik aufzunehmen und Paare tanzen lassen, um deren Teilnahmslosigkeit am dramatischen Geschick der anderen darzustellen, aber das Lachen der Gesellschaft in Arien hinein zerstört den musikalischen Duktus.

© Brinkhoff/Mögenburg

Die Personenregie kann sich nicht entscheiden zwischen Aktion und Statik – letztere ist in den Tableau-Szenen noch zu bewegt, um als Stillstand identifiziert werden zu können. Die Solistinnen und Solisten, vor allem der Tenor, verbleiben häufig im altbackenen Rampensingen; dabei gäbe es hier so viele psychische und beziehungsmäßige Abgründe, die man gestisch und im Miteinander eindringlich hätte vermitteln können.

Aleksei Isaev als Graf Luna ist der Einzige, der seine Rolle darstellerisch illustriert und er überzeugt auch stimmlich mit Libretto-kongruenter harter Diktion und, inhaltlich passend, machtvollem Volumen.

Guanqun Yus Leonora hat wundervolle eindringliche Momente, wofür sie „Brava!“-Rufe einheimst, aber dynamisch bleibt sie hinter den Anforderungen oft zurück. Es gelingt ihr aber streckenweise die Vermittlung einer weiblichen Angreifbarkeit und Seelentiefe.

Daß Gwyn Hughes Jones in der Titelrolle gerade bei der Stretta der Di quella pira-Arie stimmlich versagt, bringt ihm mehrere „Buhs“ ein. So etwas muß nicht sein, der Mann ist schließlich keine Maschine. Dann applaudiert man eben nicht und würdigt höflich seine ansonsten meist anständig, wenn auch etwas weinerlich gesungene Partie.

Wenn man Stimmen wie die von Elena Maximova mit ihrem etwas kehligen Timbre mag, wird man sie als Azucena überzeugend finden. Das paßt jedenfalls zur Rolle der Außenseiterin, die ja nicht schön klingen soll – Verdi hatte mehrfach entsprechende Färbungen durchaus empfohlen. Auch wenn die Stimme vielleicht schlichtweg etwas abgesungen sein mag, sind die vereinzelten „Buh“-Rufe unangebracht.

Eine ausgesprochen markige Figur macht in jeder Hinsicht Alexander Rovalets als Ferrando, der diese Rolle mit männlicher Stärke und durchdringender Stimmgewalt versieht und ihr dadurch eine wunderbare Präsenz gibt.

Olivia Boen als Inez, Aaron Godfrey-Mayes in der Partie des Ruiz und Eun-Seok Jang als alter Mann füllen mit Einsatz die Nebenrollen, die aber auch eine zugewandtere Personenregie vertragen hätten.

© Brinkhoff/Mögenburg

Stark und füllig singt der Chor der Staatsoper Hamburg unter Christian Günther, aber es gibt zwei Einsatzfehler, wo der Chor mit dem Philharmonische Staatsorchester Hamburg ein paar Takte zeitlich nicht stimmig singt. Der Klangkörper unter Giampaolo Bisanti spielt durchweg passabel, aber es fehlt insgesamt etwas die schmissige Verdi-Italianità. Zumindest nimmt der Dirigent in der Dynamik Rücksicht auf die Solo-Partien.

Orchester, Sopranistin und Bariton bekommen beim Schluß Applaus den meisten Beifall, aber gegen Ende der Vorhänge gibt es eher schwache, als anhaltende Ovationen, denn das Publikum ist größtenteils schon auf dem Weg nach draußen.

Um die Feuer-Metaphorik noch einmal aufzunehmen: Das Ganze hat etwas von einem Braten, der zu lange auf dem Grill gelegen hat. Innen findet man noch schmackhafte Stellen, aber es schmeckt doch alles ein bißchen verbrannt.

Man mag der Produktion eine Werkstatt-artige Bearbeitung wünschen, um die guten Ansätze tragender zu machen und die Fehlgriffe zu eliminieren.

Andreas Ströbl, 18. März 2024


Der Troubadour
Giuseppe Verdi

Staatsoper Hamburg

17. März 2024

Inszenierung: Immo Karaman
Dirigat: Giampaolo Bisanti
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg


Nächsten Vorstellungen: 20., 23. und 26. März