Wuppertal: „Erwartung / Der Wald“, Arnold Schönberg / Ethel Smyth

Lieber Opernfreund-Freund,

Mut beweisen derzeit die Wuppertaler Bühnen, indem sie zwei selbst ausgemachten Opernkennern nahezu unbekannte Werke im Rahmen eines Doppelabends präsentieren. Doch was Regisseur Manuel Schmitt aus Arnold Schönbergs Erwartung und Ethel Smyths Der Wald gemacht hat, ist nicht nur höchst spannend, sondern macht Lust auf mehr.

Erwartung / © Björn Hickmann

Die beiden Werke sind zwar im Abstand von nur wenigen Jahren entstanden, könnten aber doch unterschiedlicher kaum sein. Die streitbare englische Komponistin Ethel Smyth hatte von ihrem Vater die Zustimmung zu einem Musikstudium in Leipzig per Hungerstreik abgerungen und komponierte in der Tradition der Spätromantik in der Nachfolge von Brahms und Wagner ganz in deren Stil. So klingt Der Wald wie eine Mischung aus Freischütz und Walküre, hochromantische Passagen wechseln sich mit klanglicher Tiefe ab, um wenig später Anklängen an Volkstänze Raum zu geben. Man hat irgendwie den Eindruck, etwas Bekanntes und doch gleichzeitig Neues zu hören. Dabei wird Smyths Komposition umso dramatischer, je bedrohlicher die Geschichte wird.

Arnold Schönberg gilt vielen Opernliebhabern per se als rotes Tuch, löst er doch in seinen späteren Werken die Dur-Moll-Tonalität und die daraus entstehenden Harmonien vollends auf und komponiert auf Basis der Zwölftontechnik. Nach deren strenger Lehre sind alle zwölf Töne gleichberechtigt und müssen deshalb zuerst alle einmal gespielt werden, bevor die Zwölftonreihe von Neuem beginnen darf; damit verfolgt Schönberg eher einen mathematisch-theoretischen als einen emotionalen Ansatz. In seiner Erwartung, 1909 fertig gestellt, aber erst 1924 uraufgeführt, sind diese Ansätze allerdings nur rudimentär zu beobachten; sein Stil ist da noch hoch-expressiv, lässt Dissonanzen bewusst zu, auch um die inneren Nöte seiner Figur auszudrücken.

Erwartung / © Björn Hickmann

Dass es Manuel Schmitt so hervorragend gelingt, die beiden Werke zu einem Ganzen zu verbinden, ist vor dem Hintergrund ihrer Unterschiedlichkeit umso erstaunlicher. Den Wald als verbindendes Element lässt er dabei nur im Hintergrund auftreten, holt ihn aber mittels holzvertäfelten Wänden und Parkettboden im Bühnenbild von Julia Katharina Berndt ins Geschehen. In seiner Lesart folgt die Erwartung zeitlich auf den Wald, ist ihm aber am ohne Pause durchgespielten, nur 90 Minuten dauernden Abend vorangestellt. Die Frau, die bei Schönberg mit ihren Ängsten konfrontiert wird, bevor sie im Wald die Leiche ihres Geliebten findet, erlebt Ethel Smyths rund einstündiges Werk als Rückblende: Heinrich und Röschen wollen heiraten und der Bräutigam hat für das Hochzeitsfest sogar ein Reh gewildert. Doch darauf steht die Todesstrafe. Als er Jolanthe, die Geliebte des Landgrafen zurückweist, bietet die ihm nach der Entdeckung des toten Wildes Begnadigung an, wenn er in ihre Dienste und damit auch in ihr Schlafzimmer tritt. Doch Heinrich entscheidet sich für die Treue zu Röschen und bezahlt diesen Entschluss mit seinem Leben. Trotz des klangliches Bruches erscheint Schmitts Interpretation aus einem Guss, der an die klassische Guckkastenbühne erinnernde Kulisse in Der Wald schafft Räumlichkeit und ermöglicht ein vielschichtiges Bespielen der Bühne. Dabei gelingt Schmitt eine auch szenische Tiefe voll großer atmosphärischer Dichte.

Der Wald / © Björn Hickmann

Musikalisch wird dieser Doppelpack zu wesentlichen Teilen aus dem eigenen Ensemble gestemmt. Hanna Larissa Naujoks interpretiert als Gast die Frau in Erwartung mit tadellosem, expressiven Gesang. Ihr unter die Haut gehendes Spiel verstärkt dabei noch die musikalischen Brüche, die Schönberg in sein Monodram voller tiefenpsychologischer Andeutungen eingebaut hat. Mariya Taniguchi überzeugt mich als Röschen in Der Wald ebenso mit ihrem kraftvollen Sopran und voluminöser Höhe. Als ihre Gegenspielerin Jolanthe trumpft die US-Amerikanerin Edith Grossman, seit dieser Spielzeit im Wuppertaler Ensemble, mit sattem Mezzo und verführerischen Zwischentönen auf. Objekt der Begierde der beiden ist Heinrich, den Sangmin Jeon mit eindrucksvollem Tenor voller Kraft und strahlender Höhe. Samuel Park hüllt bei seiner Interpretation des Landgrafen seinen raumfüllenden Bass in ein samtenes Gewand, während Zachary Wilson als Hausierer einen farbenreichen Bariton präsentiert.

Der Chor ist in Ethel Smyths Der Wald nicht nur Stimmungsmaler im Pro- und Epilog, sondern treibt auch immer wieder die Handlung voran. Unter der Leitung von Ulrich Zippelius singen die Damen dabei präzise und äußerst facettenreich. Im Graben hält Patrick Hahn die Fäden gekonnt zusammen, präsentiert die so unterschiedlichen Partituren als eine Einheit und gibt dabei den doch so unterschiedlichen Stilen die Möglichkeit, ihren jeweiligen Reiz vollends zu entfallen.

Der Wald / © Björn Hickmann

Eine lohnende Ausgrabung ist dem Wuppertaler Opernhaus da gelungen, Ethel Smyth ist eine echte Entdeckung. Ich bin gespannt, wann sich weitere Häuser dieser vergessenen Komponistin annehmen (die Spielzeitvorschau des Staatstheaters Meiningen lässt neue Smyth-Fans hoffen). Smyth ist als gleichwertige Komponistin unter Komponisten eine Erinnerung wert – und dieses Urteil hätte ihr gewiss gefallen. Wenn Sie, lieber Opernfreund-Freund, also neugierig geworden sind: es gibt noch zwei Gelegenheiten für diese neue Erfahrung.

Ihr

Jochen Rüth, 5. Mai 2024


Erwartung
Monodram von Arnold Schönberg

Der Wald
Oper von Ethel Smyth

Wuppertaler Bühnen

Premiere: 7. April 2024
besuchte Vorstellung: 4. Mai 2024

Regie: Manuel Schmitt
Musikalische Leitung: Patrick Hahn
Sinfonieorchester Wuppertal

Weitere Vorstellungen: 10. und 18. Mai