München: „Die Passagierin“, Mieczysław Weinberg

Ungewohnte Sicht auf Auschwitz

Nach der österreichischen Erstaufführung des Auschwitz-Musikdramas „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg durch David Pountney 2010 in Bregenz mit einem Gastspiel in Tel-Aviv 2019 und weiteren Inszenierungen u.a. in Jekaterinburg 2018 und in einer sehr gelungenen Produktion in Innsbruck durch Johannes Reitmeier 2022 kam nun auch die Bayerische Staatsoper im März dieses Jahres mit einer Neuinszenierung von Tobias Kratzer bei dramatischer Unterstützung von Christopher Warmuth heraus, die sie nun bei den Opernfestspielen wieder zeigte. Rainer Sellmaier schuf Bühnenbilder und Kostüme, während Michael Bauer für das Licht und Manuel Braun sowie Jonas Dahl für die Videos verantwortlich zeichneten. Man kann mittlerweile durchaus von einer Renaissance dieser interessanten und immer unter die Haut gehenden Oper des polnisch-russischen Komponisten Weinberg sprechen, der fast seine gesamte Familie im KZ verlor.

© Wilfried Hoesl

Während man in den bisherigen Inszenierungen stets die tragische Realität der Zustände im KZ Auschwitz zu sehen bekam, lässt Kratzer die Ebene der Realität von Lisa mit ihrem Mann Walter auf der Schifffahrt nach Brasilien einerseits mit der Erinnerung an ihre Taten in Auschwitz andererseits ineinanderfließen. So zeigt das erste Bild die Seite eines für heitere Zeiten typischen Kreuzfahrtschiffes mit vielen weißen Kabinendecks, wo überall Statisten bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten zu sehen sind. Zu sehen ist auch eine Alte Lisa (Sibylle Maria Dordel), die mit einer Urne (wohl von Tadeusz) im weiteren Verlauf eine zusätzliche Komponente ins Spiel bringt. Das alles führt zu äußerst spannenden und enthüllenden Situationen in der Darstellung der Protagonisten Lisa, Marta und Tadeusz sowie der mit Marta befreundeten Insassinnen des KZs.

© Wilfried Hoesl

Was auf diese Weise an zwischenmenschlicher Dramatik gewonnen wird, geht zu einem gewissen Grad durch die so nicht mehr sichtbare grausame Realität des KZ-Alltags verloren. Stattdessen sieht man im 2. Akt auf das riesige Bordrestaurant, in dem viele Statisten an weiß gedeckten Tischen regungslos vor sich hinstarren. In diesem Umfeld finden die Erniedrigungen Martas durch Lisa statt, aber letztlich auch ihr eigener emotionaler Untergang. So gelang eine emotional starke Aufführung, in der Sophie Koch eine intensive und facettenreiche Lisa mit ihrem kraftvollen Mezzo gab, Charles Workman einen trotz weitgehender Abwesenheit nach dem 1. Akt für sie immer moralisch präsenten Walter, Elena Tsallagova eine berührende und klangschöne Marta sowie Jacques Imbrailo einen erschütternden Tadeusz. Daria Proszek, Lotte Betts-Dean, Noa Beinart, Larissa Diadkova und Evgeniya Sotnikova spielten emotional sehr berührend die Freundinnen Martas – sozusagen – im KZ. Bálint Szabó, Roman Chabaranok und Gideon Poppe waren die drei SS-Männer und Martin Snell der Respekt gebietende ältere Passagier. Dann gab es noch Sophie Wendt als Oberaufseherin/Kapo, Lukhanyo Bele als Steward und Dimiter Ivanov als Sologeiger.

© Wilfried Hoesl

Vladimir Jurowski dirigierte das Bayerische Staatsorchester mit großer Liebe zum Detail sowie viel Gefühl für die Emotionalität und zeitweise hohe Expressivität der Musik. Der Bayerische Staatsopernchor war von Christoph Heil bestens und auch szenisch wirkungsvoll einstudiert.

Klaus Billand, 26. August 2024


Die Passagierin
Mieczysław Weinberg

Bayerische Staatsoper

Besuchte Vorstellung: 16. Juli 2024

Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester