Interview: „Bernhard Lang“ zu seiner Oper „Dora“

OF: Lieber Herr Lang, mit Ihrer neuen Oper Dora, die vor kurzem zur Uraufführung des Jahres 2024 gekürt wurde, ist Ihnen ein ganz großer Wurf gelungen. Um Dora soll es auch in diesem Interview ausschließlich gehen. Zuerst einmal die Frage: Wer ist diese Dora überhaupt?

L: Das Stück entfaltet sich in der Suche nach der Antwort auf diese Frage; die Suche selbst findet im Stück selbst kein Ende.

OF: Was ist die Grundidee der Dora?

L: Es ist mehr ein Rhizom von Ideen, Reflexionsebenen und Perspektiven: Eine davon ist sicher ein Entwicklungsdrama, dass in einer Verflechtung von zeitgenössischen Orientierungsversuchen und deutscher Geschichte und Mythologie  vor unseren Augen abläuft und sich ebenso verläuft.

OF: Wonach genau sucht Dora?

L: Sie weiß es wahrscheinlich selbst nicht. Am ehesten nach sich selbst, doch ihre Identität bleibt ephemer.

OF: Warum greift Dora zu Beginn des zweiten Aktes zum Mittel der Magie?

L: Diese Frage richtet sich ja eigentlich an den Librettisten. Hier meine Interpretation: Ich sehe hierin einen Rückgriff auf Vergangenes, auf die Walpurgisnachtszene, auf den Hexen-Topos, aber auch auf Theatermagie. Hierin gründen sich wahrscheinlich die zahlreichen Assoziationen zu Goethe.

OF: Was erwarten Dora und der Teufel jeweils voneinander?

L: Ich sehe die beiden als Spiegelungen eines Subjekts. Es will also eines immer  das andere sein, und ebenso das Gegenteil davon.

OF: Können Sie die Entstehungsgeschichte der Dora kurz schildern?

L: Barbara Eckle hat mich erstmals mit dem Werk Witzels bekannt gemacht und mich nach der Möglichkeit eines Musiktheaters über Witzels Texte gefragt. Dann kam sehr bald die offizielle Anfrage der Stuttgarter Staatsoper. Ich begann Witzels Werk zu studieren und war sehr schnell begeistert.

OF: Wie war die Zusammenarbeit mit Ihrem Librettisten Frank Witzel?

L: Sehr glücklich. Es war ein belebender, aber auch kritischer Austausch.

OF: In der Dora wird viel philosophiert. Welchen Stellenwert nimmt die Philosophie in Ihrer Oper ein?

L: Sicher einen großen Stellenwert. Es ist ja auch eine Oper über die Oper, also auch ein Philosophieren über das Musiktheater. Und Witzels Libretto wirft nicht nur ein philosophisches Problem auf, sondern ein ganzes Bündel.

OF: Welche Bedeutung kommt im Gesamtkontext der Dora dem antiken Chor zu?

L: Eigentlich eine sehr klassische Bedeutung: Der Chor repräsentiert das Hegelsche Allgemeine, als Kommentator und Repräsentant einer übergeordneten Gedankenebene. Er referenziert damit auch die Klassische griechische Tragödie.

OF: Was sind die wesentlichen Merkmale der Dora-Musik?

L: Als Komponist ist man wahrscheinlich der schlechteste Analytiker seiner selbst: Aber die musikalische Wiederholung in all ihren Einsatzformen vom Kanon bis zur Jazz-Loop scheinen sehr charakteristisch für das Stück zu sein.

OF: Welche Intention verfolgten Sie mit den zahlreichen Zitaten aus der Opern- und Musikgeschichte?

L: Oper ist immer im Kontext der Geschichte zu sehen. Und jedes Kunstwerk definiert sich durch seinen Kontext (Peter Weibel). Wie ich oben schon erwähnte, ist Dora auch ein Nachdenken über die Oper als Kontext.

OF: Was genau hat es mit den zu Beginn des Werkes ertönenden Zitaten aus Wagners Götterdämmerung und Strauss‘ Elektra auf sich?

L: Ich hatte versucht, die Musik zu erspüren, die Witzel beim Dichten des Librettos gehört haben mag. Zudem kamen die inhaltlichen Referenzen und Koinzidenzen, die Zitat und Libretto verbinden.

OF: Welche Absicht liegt dem gegen Ende des Stückes erklingenden Zitat von Brünnhildes Schlussgesang aus der Götterdämmerung zugrunde?

L: Das ist eine Klammer zum Anfang, die Verklärung im Scheitern in einem Moment großer Theaterillusion, ein erinnerndes Aufblühen, das sich dann doch als schöner Traum entpuppt.

OF: Brünnhilde und Elektra sind zwei der größten Heroinnen der Operngeschichte. Weist Dora Ähnlichkeiten mit diesen beiden starken Frauen  auf? Wenn ja, wo liegen die Parallelen?

L: In der Unbewältigbarkeit der sie umgebenden Umstände und ihrer Hoffnungslosigkeit. Dann aber auch in der Idee der Revolte.

OF: Aus welchem Grund zitieren Sie im ersten Akt das deutsche Weihnachtslied Stille Nacht?

L: Das wurde in meiner Familie immer mehrstimmig zu Weihnachten gesungen: Es geht hier um den (mentalen) Schlaf des braven Bürgers.

OF: Welche Bedeutung kommt im 5. Akt dem Sondern zu?

L: Das ist eine spezielle Erfindung Witzels, dem eine dialektische oder vielmehr anti-dialektische Philosophie zugrunde liegen mag: Das Sondern symbolisiert einen dritten Weg, jenseits des existentialistischen Entweder-Oder.

OF: Sie haben vergangene Spielzeit an der Staatsoper Stuttgart an den musikalischen Proben der Dora teilgenommen. Wie stark waren Sie in den Probenprozess eingebunden?

L: Ich denke doch sehr stark: Ich liebe das Proben, Korrigieren und Perfektionieren im Prozess.

OF: Welchen Eindruck hatten Sie von der Dirigentin der Uraufführung Elena Schwarz? Hat ihr Dirigat Ihren Intentionen voll und ganz entsprochen? Konnten Sie ihr vielleicht einige wertvolle Tipps geben?

L: Elena Schwarz hat das Stück mit großer musikantischer Energie aufgeladen. Das entspricht ihrem Temperament. Und wir haben uns gegenseitig während der Produktion fortwährend ausgetauscht.

OF: Gab es unter den Sängern welche, deren Rollengestaltungen Ihnen besonders am Herzen lagen?

L: Ich habe sie alle geliebt. Es wäre ungerecht, hier jemanden voranzustellen.

OF: Wie geht es mit der Dora weiter? Haben schon andere Opernhäuser ihr Interesse an diesem Werk bekundet? Wird Dora in absehbarer Zeit noch an anderen Operntheatern zu erleben sein?

L: Darüber weiß ich, ehrlich gesagt, zu wenig Bescheid. Das wird andernorts verhandelt, und glauben darf man an eine Wiederaufführung erst in der Generalprobe. Ich weiß derzeit nur von einer Stuttgarter Neuaufnahme.

OF: Herzlichen Dank für das Interview.

Ludwig Steinbach, 23. September 2024