Wien: „Schwanensee“, Peter Tschaikowsky

Phänomenale Rollendebüts

Rudolf Nurejews „Schwanensee“ ist diese Saison noch ein paar Mal an der Wiener Staatsoper zu erleben. Der Startänzer, welcher seine Version extra für Wien schuf, hat es generell den Tänzern nicht leicht gemacht. Seine Choreografien sind detailreich und auch für die Herren äußerst anspruchsvoll, da einige Elemente, die vor allem Tänzerinnen auf den Leib choreographiert werden, auch für die Herren an der Tagesordnung stehen. Wenn das Tempo vom Orchester zu schnell ist, kann diese Choreografie mitunter hektisch und sogar für die Zuschauer mitunter überfordernd wirken.

© Wiener Staatsballet/Ashley Taylor

Nach wie vor hat allerdings das Wiener Staatsballett die Tänzer, die dieser Version gerecht werden. So auch die Erste Solotänzerin Ioanna Avraam, die in dieser Saison erstmals in der Doppelrolle der Odette und Odile zu erleben ist. Was sein Vorgänger verabsäumt hatte, hat Ballettdirektor Martin Schläpfer vor zwei Jahren löblich getan, nämlich Avraam nach einer fulminanten Onegin-Vorstellung zur Ersten Solotänzerin zu ernennen und sie auch mit weiteren großen Ballerinen-Partien zu besetzen. Avraam hat nicht nur eine vorzügliche Technik, mit welcher sie auch eine Odette und Odile in der wohl fordernden Version meistert, sondern vor allem auch die Gabe, Rollen bis in die Fingerspitzen zu verkörpern. So ist sie als Odette sehr wohl verschüchtert bei der ersten Begegnung mit Siegfried (die verdiente Lobeshymne auf Arne Vandervelde folgt im nächsten Absatz), verliert aber nie die edle Haltung. Besonders elegant wirken ihre Ports de bras, und sei es nur ein langsames Absenken der Arme nach einer Balance. Sehr erfreulich ist, dass Avraam aus dem schwarzen Schwan keine Akrobatik macht, sondern auch hier mit Stil und ohne unnötige Überdehnungen agiert. Geschickt kombiniert sie Präzision mit Geschmeidigkeit und ist dabei eine verführerische, kokette Odile, wie man sie selten erlebt. Die Variation in der Fassung von Nurejew ist eine der wohl schwierigsten Variationen. Avraam steht drüber und mehr noch, sie bleibt auch hier in der Rolle. Im 4. Akt wechselt sie gekonnt wieder auf Odette, deren Herz gebrochen wurde. Und auch hier zeigt sich, dass sie die verschiedenen Stile hervorragend beherrscht. Es sind vielleicht nur kleine Details, die man in einer bestimmten Armbewegung bemerken kann, oder auch nicht, jedenfalls weiß sie um den Unterschied von einer Giselle zu einer Odette und anderen Partien. Eine phänomenale Ballerina, die man gesehen haben muss!

Ioanna Avraam / © Andreas Jakwerth

Arne Vandervelde tanzt erstmals den Prinzen Siegfried und dies bravourös. Wie bereits zu Beginn erwähnt, ist für Nurejew Choreografien eine überragende Technik notwendig und jedem, der es schafft, diese Rolle überhaupt zu tanzen, gebührt ein Sonderapplaus. Vandervelde erhält verdient großen Applaus für seine präzise getanzte erste Variation. Seine Sprungkraft setzt er geschickt ein, wenngleich zwischenzeitlich durch die sehr flotten Tempi im Orchester die Arme nicht immer ganz organisch wirken, dies betrifft aber bei den Ensembles im Pas de cinq nicht nur ihn, sondern auch die ohnehin sehr flinken Gefährten des Prinzen. Ein paar Metronomschläge langsamer würden gerade dieser Choreografie und den Ausführenden guttun. Als Partner harmoniert er wunderbar mit Avraam, die Hebefiguren sind alle sicher und man glaubt ihm die Verzweiflung zum Ende des 3., sowie im 4. Akt.

Weitere Rollendebüts gab es bei Rotbart (ausdrucksstark: Calogero Failla), der Königin (trotz extravaganten Kopfschmuckes eine elegante Erscheinung: Ella Persson) und Vaclav Lamparter im Pas de cinq mit Gaia Fredianelli, Sinthia Liz und Géraud Wielick. Besagter Pas de cinq brachte erst ab der Variation des Prinzen das Publikum in Stimmung, was eher der zu schnellen Tempi, denn der tänzerischen Leistung geschuldet war. Im 3. Akt erfreuten die Charaktertänze, wie z.B. der feurige spanische Tanz mit Marie Breuilles, Alexandra Inculet, Godwin Merano und Zsolt Török, oder der verspielte neapolitanische Tanz mit der energiegeladenen Céline Janou Weder und François-Eloi Lavignac oder ebenso der polnische Tanz mit Sonia Dvorak und Vaclav Lampartner und last but not least der ungarische Tanz mit Chiara Uderzo und Andrés Garcia Torres. Präzise tanzten auch die vier kleinen Schwäne (Céline Janou Weder, Alice Firenze, Eszter Ledan und Sonia Dvorak). Und die großen Formationen aller 32 Schwäne ist zweifellos etwas, was bei den Zuschauern immer gut ankommt. Tosender Applaus für alle Beteiligten, vor allem auch für den Dirigenten Paul Conelly und das eher mächtig klingende Orchester der Wiener Staatsoper.

Katharina Gebauer, 7. Oktober 2024


Schwanensee
Peter Tschaikowsky

Staatsoper Wien

Aufführung: 5. Oktober 2024
Premiere: 15. Oktober 1964

Choreografie: Rudolf Nurejew
Musikalische Leitung: Paul Conelly
Orchester der Wiener Staatsoper