Genf: „La clemenza di Tito“, Wolfgang Amadeus Mozart

© Carole Parodi

Milo Rau ist ein renommierter Theater- und Filmregisseur sowie Dramatiker, der für seine politisch engagierten und oft kontroversen Werke bekannt ist. Seine Inszenierungen und Filme behandeln oft brisante gesellschaftliche und politische Themen, wie Kriegsverbrechen, soziale Ungerechtigkeit und die Mechanismen von Macht und Gewalt. Er strebt danach, Theater zu einem Ort des politischen Diskurses zu machen, oft indem er reale Ereignisse rekonstruiert oder dokumentarische Elemente in seine Inszenierungen integriert.

Seine Inszenierung ist eine kühne Neuinterpretation von Mozarts letzter Oper. Rau, der für sein soziales und provokantes Theater bekannt ist, verleiht dieser Inszenierung die für ihn typische Intensität, indem er die Geschichte in einem zeitgenössischen, kritischen Licht erscheinen lässt. Rau stellt Kaiser Titus nicht nur als großmütigen Herrscher dar, sondern auch als widersprüchliche Figur in einer zerfallenden Gesellschaft, mit Bühnenbildern, die eine Welt am Rande des Chaos symbolisieren. Die Kulisse umfasst Bilder des brennenden Kapitols und des ausbrechenden Vesuvs, die die Verwüstung und die ethischen Herausforderungen widerspiegeln, denen Titus gegenübersteht.

Mit diesem „Post-Oper“-Ansatz weicht Rau von der traditionellen Inszenierung ab, indem er Elemente realer politischer Kritik einbaut, ähnlich wie in seinen früheren Arbeiten, in denen er Schauspieler mit realen Gegenspielern zusammenbringt, um Fiktion und Realität zu vermischen. Diese Inszenierung fordert das Publikum heraus, das Wesen von politischer Gnade und Autorität zu hinterfragen.

La clemenza di Tito ist die erste Oper überhaupt die Milo Rau inszeniert. Er lässt Kunst und Realität aufeinandertreffen, was wiederum die Oper schwerfällig erscheinen lässt und schwer verständlich macht.

Das Bühnenbild, eine Drehbühne, wechselt zwischen zwei Welten, einer Kunstgalerie, wo die Schönen und Reichen sich gerne zeigen und dem Wohnwagenslum wo die Armen Leben, gespielt von 18 Statisten und Statistinnen, alles Bewohner von Genf, die ihre Lebensgeschichten erzählen. Die meisten von ihnen sind Geflüchtete die ihr Leben auf der Bühne preisgeben.

Neben dieser kontroversen Inszenierung ist die Musik Mozarts ein herrlicher Hörgenuss. Das Ensemble verleiht dieser Musik eine wunderbare beruhigende Stimmung, zelebriert den Gesang und macht den Abend hörenswert.

© Carole Parodi

Tomas Netopil ist ein toller Dirigent. Der tschechische Maestro hat in renommierten Opernhäusern wie der Wiener Staatsoper, dem Teatro alla Scala und bei den Salzburger Festspielen gearbeitet. Er wird für seine feinsinnige Musikalität und seinen sensiblen Umgang mit Partituren geschätzt, insbesondere im tschechischen Repertoire. Seine Leitung ist klar, präzise und inspirierend und er legt, mit den hervorragend disponierten Orchestre de la Suisse Romande, großen Wert darauf, das Orchester als auch die Sängerinnen und Sänger bestmöglich zur Geltung zu bringen.

Bernard Richter hat als Tito eine bemerkenswerte Darstellung geliefert. Er bringt den römischen Kaiser als eine vielschichtige und menschliche Figur zum Ausdruck, die zwischen Gnade und Pflicht schwankt. Seine stimmliche Klarheit und Emotionalität haben die tiefen inneren Konflikte des Charakters hervorgehoben. Mit seiner starken Bühnenpräsenz fesselt er das Publikum, während er Titos noble und vergebende Haltung in herausfordernden Momenten vermittelt.

Serena Farnocchia bringt ihre bemerkenswerte stimmliche Kontrolle und dramatische Interpretation in Mozarts komplexe und rachsüchtige Figur ein. Sie versteht es, Vitellias innere Kämpfe und ihren Ehrgeiz darzustellen, was den politischen und emotionalen Themen der Oper zusätzliche Tiefe verlieh.

Maria Kataeva hat als Sesto ihre stimmlichen und dramatischen Fähigkeiten in dieser komplexen Rolle unter Beweis stellen können. Diese Rolle, der zwischen Loyalität und Verrat hin- und hergerissen ist, erfordert eine Darstellerin, die in der Lage ist, tiefe emotionale Nuancen zu vermitteln – eine Herausforderung, die sie hervorragend gemeistert hat.

Die Ukrainerin Yuliia Zasimova bietet als Servilia eine ausdrucksstarke Darbietung. Ihre Arien werden mit feiner Phrasierung und emotionaler Tiefe vorgetragen und zeigen ihre stimmliche Klarheit und perfekte Technik.

Giuseppina Bridelli bringt ihre hervorragende nuancierte Stimme ein. Sie hat Ausdruckskraft, besonders dort wo sowohl lyrische Schönheit als auch dramatische Tiefe erfordert wird. Ihre Darbietung unterstrich die Aufrichtigkeit und Leidenschaft von Annio.

Justin Hopkins singt mit beeindruckender Stimme und einer starken Bühnenpräsenz und ergänzt das tolle Ensemble hervorragend.

Der Chœur du Grand Théâtre de Genève ist beeindruckend. In dieser Oper trägt der Chor entscheidend zur emotionalen Tiefe und Größe der Geschichte bei, die sich um Themen wie Macht, Vergebung und politische Intrigen dreht.

Der Abend wird nicht von allen Zuschauern gleichermaßen goutiert. Buhrufe sind zu hören wie Lobeshymnen. Eine kontrovers entgegengenommene Interpretation eines wunderbaren Werkes.

Marcel Burkhardt, 31. Oktober 2024

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


La clemenza di Tito
Wolfgang Amadeus Mozart

Grand Théâtre de Genève

27. Oktober 2024

Regie: Milo Rau
Musikalische Leitung: Tomas Netopil 
Orchestre de la Suisse Romande

Trailer