Stuttgart: „Die Zauberflöte“, Wolfgang Amadeus Mozart

© Martin Sigmund

Zu einem hochkarätigen Opernspektakel geriet Mozarts Zauberflöte an der Staatsoper Stuttgart. Regisseur Barrie Kosky hat seine gelungene Inszenierung zusammen mit der britischen Theatergruppe 1927 – das sind die Regisseurin Suzanne Andrade und der Animationskünstler Paul Barritt – sowie der Bühnen- und Kostümbildnerin Esther Bailas im November 2012 ursprünglich für die Komische Oper Berlin, an der er damals Intendant war, entwickelt. Der große Erfolg, den die Produktion damals hatte, bewirkte, dass sie schnell von anderen Bühnen eingekauft wurde, um im Lauf der Zeit an vielen Opernhäusern des In- und Auslandes zu sehen war. In Stuttgart läuft diese Zauberflöte seit 2020. War sie damals noch unter Corona-Bedingungen aufgeführt worden, läuft sie jetzt in ihrer Originalform, was sehr begrüßenswert ist. Hier haben wir es mit einer ausgefeilten, bildermächtigen und stimmungsvollen Inszenierung zu tun, die durchaus für sich einzunehmen vermochte.

Barrie Kosky intendierte mit seiner Regiearbeit eine Mischung aus Fantasy, Surrealismus, Magie und tief berührenden menschlichen Emotionen, wie er im Programmheft verlauten lässt. Die Arbeitsweise von Andrade und Barritt von 1927 leisteten seiner Auffassung des Werkes gehörig Vorschub. Das Regieteam hat die Handlung gekonnt in die Zeit der Weimarer Republik verlegt und wartet mit einem ausgemachten Gemisch aus Stummfilm, Animationsfilm, Live-Performance, Revue, Kabarett, Collage, Comic, Vaudeville und Music Hall auf. Papageno ist Buster Keaton nachempfunden. Monostatos, dem das Regieteam eine Horde Hunde an die Seite stellt, trägt die Züge Nosferatus. Pamina ähnelt ein wenig Louise Brooks. Die drei Damen mit den Namen Schwatz, Klatsch und Tratsch präsentieren sich im Charleston-Look.

© Martin Sigmund

Die Königin der Nacht erscheint als riesige Spinne. Visuelle Anregungen ergeben sich für Kosky und sein Team zudem aus Kupferstichen des 18. Jahrhunderts. Das ist eine sehr interessante Kombination verschiedener Stile, die hier auf die Bühne gebracht werden. Insbesondere der Bezug zum Stummfilm wird die ganze Zeit über deutlich. Kosky hat die gesprochenen Texte gestrichen und durch Zwischentitel nach Art des Stummfilms ersetzt. Dazu ertönt eine Klavierbegleitung. Diese stammt ebenfalls von Mozart, und zwar aus seinen beiden Fantasien in c-Moll KV 396 und in d-Moll KV 397. Zu Gehör gebracht werden diese auf einem Hammerklavier aus dem 18. Jahrhundert. Damit erreicht Kosky nach eigener Aussage im Programmheft nicht nur einen einheitlichen Stil, sondern auch einen einheitlichen Rhythmus. Der Sprecher bleibt in seiner Interpretation unsichtbar. Die beiden Priester im zweiten Akt sind gänzlich dem Rotstift zum Opfer gefallen.

Das Bühnenbild wird geprägt von einer zweifunktionalen Wand, in die einige Türen eingelassen sind. Durch diese werden die Handlungsträger immer wieder heraus auf schmale Vorsprünge gedreht, auf denen sie dann in Interaktion zueinander treten. Das funktioniert relativ gut. Von Rampensingen, das man unter diesen Umständen fast befürchtete, ist hier keine Spur. Insgesamt verstehen sich Kosky und seine Mitstreiterin Andrade vorzüglich auf das Führen von Personen. Manchmal stehen diese auch nur in simplen Lichtkegeln und gefallen sich in mimischen, gestischen und manchmal sogar akrobatischen Ausdrucksweisen.

 Die beteiligten Personen unternehmen hier eine Reise durch mannigfaltige Fantasiewelten. Der Zuschauer wird mit den verschiedensten Eindrücken konfrontiert. So mutiert bereits zu Beginn die Schlange zu einem Drachen, in dessen Bauch Tamino sich wiederfindet. Die Zauberflöte ist ein durch die Luft sausender Notenschweif. Die drei Knaben schweben in einem von einem Schmetterling gelenkten Korb herein. Besonders gelungen ist die Szene im zweiten Akt, in dem Papageno aus einem riesigen Cocktailglas einen rosafarbenen Cocktail trinkt und anschließend fliegende rosa Elefanten sieht. Das war ein herrliches Bild! Dumbo lässt grüßen. Gefällig sind die Show-Girl-Glöckchen. Ebenfalls äußerst ansprechend sind die tollen sich bewegenden Sternbilder. Alles scheint der Welt der Träume entsprungen zu sein – manchmal auch der Alpträume. Diese Traumwelten begegnen sich oft und gehen auch häufig ineinander über. Pamina darf sich mal in Unterwäsche präsentieren. Zu den Prüfungen scheinen die beiden Geharnischten mit Tamino in den Keller von Sarastros Reich herunterzufahren. Es ist schon eine regelrechte Flut herrlichster Eindrücke, die sich dem Publikum hier präsentiert, was sich am Ende in riesigem Applaus für alle Beteiligten entlud.

© Martin Sigmund

Am Pult waltete José Luis Gutiérrez gekonnt seines Amtes. Er setzte auf relativ zügige Tempi und animierte das gut gelaunt aufspielende Staatsorchester Stuttgart zu einem leicht und locker dahinfliessenden Orchesterklang von großer Durchsichtigkeit.

Bei den Sängern ist an erster Stelle Michael Nagl zu nennen, der mit wunderbar sonorem, tiefgründigem, substanzreichem und bestens italienisch geschultem Bass einen herrlichen Papageno sang. Feines lyrisches Tenormaterial ließ der Tamino von Charles Sy vernehmen. Mit einem gut grundierten, ebenmäßig dahinfliessenden und differenzierungsfähigen Sopran stattete Claudia Muschio die Pamina aus. Fulminante, bis in die extreme Höhe der Partie sicher und mühelos reichende Töne ließ Alma Ruoqi Suns Königin der Nacht hören. Das von ihr dargebotene Koloraturfeuerwerk war sehr beachtlich. Aber auch die emotionalen Passagen ihrer ersten Arie gelangen sehr eindringlich. Mit robustem, gut gestütztem Bass sang Goran Juric sowohl den Sarastro als auch den Sprecher. Josefin Feiler, Olivia Johnson und Itzeli Jauregui bildeten als die drei Damen einen homogenen Gesamtklang. Nicht sehr zu gefallen vermochte Elmar Gilbertsson. Diesen Tenor hat man wahrlich schon besser gehört. Als Monostatos ließ er zu wünschen übrig. Die Mezzosopranistin Inés López Fernández gab eine ansprechende Papagena. Von den beiden Geharnischten gefiel der voll und rund singende Bass Aleksander Myrling besser als der ausgesprochen dünn und maskig klingende Tenor Sam Harris. Die gefällig intonierenden drei Knaben setzten sich aus Solisten des Tölzer Knabenchores zusammen. Der von Bernhard Moncado einstudierte Staatsopernchor Stuttgart machte seine Sache gut.

Ludwig Steinbach, 12. November 2024


Die Zauberflöte
Wolfgang Amadeus Mozart

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 3. Oktober 2020
Besuchte Aufführung: 10. November 2024

Inszenierung: Barrie Kosky, Suzanne Andrade (1927)
Musikalische Leitung: José Luis Gutiérrez
Staatsorchester Stuttgart