Graz: „La Traviata“, Giuseppe Verdi

© Werner Kmetitsch

Fast vierzehn Jahre lang war diese erst langsam zur Kultproduktion aufgestiegene Regie von Peter Konwitschny in Graz auf dem Programm gestanden. Die durch die Streichung des Balletts im 3. Bild auch umstrittene Vision des Lebens und Sterbens der Violetta, laut Titel bekanntlich „vom Weg abgekommen“, reduziert sich in der Sicht des deutschen Regisseurs auf die Geschichte einer allein Gelassenen, eigentlich nicht zur von ihr frequentierten Gesellschaft Gehörenden. Von Beginn an werden sie Umgebenden als Nutznießer von Einladungen gezeigt – man sieht in der Menge des (unter der Leitung von Johannes Koehler fabelhaft singenden, aber auch agierenden) Chors des Hauses zu Beginn auch Elemente, die sich über Violettas Krankheit lustig machen. Kalt und brutal ist das Auftreten von Germont père in der Begleitung seiner etwa achtjährigen Tochter (in der Vorausschau auf etwaige günstige Verheiratungen des heranwachsenden Mädchens ist er offenbar nicht in der Lage abzuwarten, bis sich das Problem durch Violettas Tod – schließlich spricht sie ihm von ihrer tödlichen Krankheit – von selbst löst. Besonders stark ist die Wirkung des 4. Bildes, in welchem Violetta allein die Rückkehr Alfredos und seines Vaters halluziniert. Alfredo, der als ein wenig geselliger Bücherwurm den „Besitz“ einer umschwärmten Frau genießt, ist nicht in der Lage, ihr menschlich beizustehen. Die Dringlichkeit dieser Auffassung legitimiert wohl auch den erwähnten großen Strich, den ich in anderem Zusammenhang nicht gutheißen würde.

Die im Jaenner 2011 erstmals gezeigte Produktion wurde in den Saisonen 2016/17 und 2022/23 wieder aufgenommen. Letztere und die fünf Vorstellungen der laufenden Saison waren der Leitung von Matteo Beltrami anvertraut, der die Grazer Philharmoniker damals wie jetzt zu Höchstleistungen anspornte. Die so konzentrierte Sichtweise des Regisseurs spiegelte sich in der gleichfalls absolut konzentrierten Wiedergabe des Orchesters, wobei ich ein paar Beiträge von Celli und Holzbläsern unterstreichen will, die – brillant gelöst – vom Dirigenten verlangt wurden, um einige besonders intensive Stellen (etwa im Duett Violetta-Germont) hervorzuheben.

© Werner Kmetitsch

In der Titelrolle erfüllte die für mich neue Russin Galina Cheplakova alle Ansprüche an die Partie. Ihre Koloraturen für den 1. Akt kamen präzise und ohne Anstrengung, später zog die Interpretation der lyrischen und tragischen Töne in ihren Bann. Sie verfügt über einen auffallend schön timbrierten Sopran, den sie technisch und expressiv bestens einsetzt. Wenn es keine anderen, die künstlerische Sphäre nicht betreffenden Faktoren gibt, scheint ihr eine schöne Karriere offen. Ihr Landsmann Alexey Neklydov verfügt über einen angenehmen Tenor ohne besonderes Timbre, charakterisierte aber ausgezeichnet diese Vision Alfredos als Weichei. Dem Engländer James Rutherford kommt Konwitschnys Brutaloauslegung der Rolle entgegen, denn seinem rauhen Bariton fehlen Schmelz und vor allem legato als Voraussetzung für italienischen Operngesang. Dem Rollenprofil entsprach er aber perfekt. Von gutem Niveau die durch den Strich an Bedeutung verlierenden  Sofia Vinnik (Flora), Euiyoung Peter Oh (Gastone), Markus Butter (Douphol), Willi Frost (Obigny) und Daeho Kim (Grenvil).

Diese 36. und allerletzte Vorstellung wurde euphorisch von einem Publikum gefeiert, das auch aus vielen Grazern bestand, die für diese Aufführung ein Vorkaufsrecht hatten, eine nachahmenswerte Geste der Stadtverwaltung.

Eva Pleus, 30. November 2024


La Traviata
Giuseppe Verdi

Opernhaus Graz

10. November 2024

Inszenierung: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Matteo Beltrami
Grazer Philharmoniker