Graz: „Venus in Seide“, Robert Stolz

© Werner Kmetitsch

Eine der großen Söhne der Stadt Graz ist der Komponist Robert Stolz, der hier am 25. August 1888 als zwölftes Kind des Komponisten und Musikdirektors Jakob Stolz und dessen Ehefrau Ida, einer Pianistin und Musiklehrerin, das Licht der Welt erblickt hat. Während viele seiner Lieder (wie z.B. „Die ganze Welt ist himmelblau“, „Im Prater blüh’n wieder die Bäume“ oder „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n“) häufig in Operettenkonzerten gesungen werden, findet man kaum noch eines seiner über 60 Bühnenwerke auf den Spielplänen der Oper(ette)nhäuser.

Seine Operette „Venus in Seide“ mit einem ursprünglich für Emmerich Kálmán vorgesehenen Libretto von Alfred Grünwald und Ludwig Herzer wurde am 10. Dezember 1932 im Stadttheater Zürich uraufgeführt. Inhaltlich ist es eine Mischung zwischen „Die lustige Witwe“ (eine junge, reiche Witwe sucht einen neuen Mann), „Gräfin Mariza“, „Der Vetter aus Dingsda“ (Auftauchen von zwei Fremden), „Gasparone“ (falscher Räuberhauptmann) und „Der Zigeunerbaron“ (Rückkehr eines Exilanten und Kampf um sein Erbe): die Fürstin Jadja Milewska-Palotay genießt in Ungarn auf dem Schloss ihres verstorbenen Ehemanns ihr Leben und ihren Reichtum. Während sie auf ihren zukünftigen neuen Ehemann wartet, der aber samt Brautschmuck entführt wurde, veranstaltet sie einen Ball, auch um sich vom Ärger über einen Gerichtsprozess abzulenken, den der junge Graf Teleky, der Sohn des früheren Schlossbesitzers, in einem Restitutionsprozess angestrengt hat. Da sich die Fürstin weigert, zur Gerichtsverhandlung zu erscheinen, lässt Graf Teleky ein Gemälde aufstellen, das Jadja als „Venus in Seide“ zeigt. Er ist fest entschlossen, sich nicht nur das Schloss seines Vaters zurückzuholen, sondern auch die Liebe der originalen Venus zu gewinnen. Als geheimnisvoller Fremder verschafft er sich Zutritt zu Jadjas Ballgesellschaft, die ihn für den legendären Räuber Rózsa Sándor hält, der als ungarischer Robin Hood in der Umgebung des Schlosses sein Unwesen treibt.

© Werner Kmetitsch

Telekys Werben ist von Erfolg gekrönt: Jadja malt sich bereits ihre Zukunft als Räuberhauptmannsfrau aus. Kompliziert wird es, als ein zweiter Fremder im Schloss erscheint, der sich seinerseits als Graf Teleky ausgibt und in Wirklichkeit der Räuberhauptmann ist. Aber natürlich gibt es am Ende ein Happyend, nicht nur für Jadja und Teleky, sondern auch für das Buffo-Paar Mizzi und Ladislaus.  

Robert Stolz hat sich die Chance nicht entgehen lassen nach den vielen Singspielen und musikalischen Komödien endlich eine große Operette mit großen Liebesduetten, üppigen Ensembles und große Finalis komponieren zu können und hat für diese selten gespielte Verwechslungskomödie vielfältige Musik von Foxtrott und Tango bis Walzer und Csárdás geschaffen. Nach der Uraufführung wurde das Werk noch von einigen Bühnen nachgespielt, so noch 1939 vom Stadttheater Dortmund, aber dann geriet das Werk in Vergessenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann einige Versuche die Operette wieder ins Repertoire eingliedern zu wollen: 1967 wurde es auf der Seebühne in Mörbisch aufgeführt (mit Sari Barabas und Rudolf Christ) und 1970 an der Wiener Volksoper (mit Renate Holm und Peter Minich). Und ebenfalls 1970 stand das Werk auch zum letzten Mal auf dem Spielplan der Grazer Oper (mit Sigrid Martikke und Wolfgang Siesz).

Nun wagte das Grazer Opernhaus einen Wiederbelebungsversuch und hat damit einen veritablen Triumph zu verbuchen. Nicht nur, aber auch wegen der grandiosen Inszenierung von Dirk Schmeding, der schon vor zwei Jahren in Graz mit seiner humorvollen Inszenierung von Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ für Furore gesorgt hat. Er hat nun auch „Venus in Seide“ mit viel Ironie und Augenzwinkern auf die Bühne gebracht. Es ist bewundernswert, wie er die richtige Balance zwischen Humor und Ersthaftigkeit erreicht, die dem Werk guttut.  Genial das einfache Bühnenbild von Martina Segna, das eigentlich nur aus einem Gebäudeskelett besteht, das rasch die verschiedenen Schauplätze andeuten und durch die hervorragende Lichtregie von Sebastian Alphons stimmungsvolle Bilder erzeugen kann. Die bunten und phantasievollen Kostüme von Frank Lichtenberg tragen ebenso zum Erfolg des Abends bei wie die umwerfende Choreographie von Sean Stephens. Das köstliche Krücken-Rollatoren-Ballett zu Beginn wird einem noch lange in Erinnerung bleiben ebenso wie die strippenden Piraten.

© Werner Kmetitsch

Und dann steht eine Besetzung auf der Bühne, die keine Wünsche offenlässt. Sieglinde Feldhofer überzeugt als lustige, auf ihren finanziellen Vorteil bedachte Witwe ebenso wie als Rockerbraut auf dem Motorrad. Sie glänzt als Fürstin Jadja nicht nur in ihrem Auftrittslied („Fern im schönen Polenland … Spiel auf Deiner Geige!“), sondern bietet alles, was man von einer Operettendiva erwarten darf. Eine glänzende Stimme, umwerfendes Aussehen, überzeugendes Spiel – eine Traumbesetzung – ebenso wie Matthias Koziorowski als der Fremde, der sich später als Fürst Teleky entpuppt. Grandios schon sein Auftritt als vermeintlicher Räuberhauptmann im Kostüm eines Piraten, der – wohl beabsichtigt – an den Auftritt von Johnny Depp in dem Film „Fluch der Karibik“ erinnert. Mit seinem höhensicheren, strahlenden und schmelzreichen Tenor, charmantem Auftreten und einer guten Portion Humor ist er ein idealer Operettenheld.

Aber auch das Buffo-Paar kann da mithalten. Die größte Überraschung ist dabei wohl Ildikó Raimondi als Komtesse Mizzi. Von der Wiener Staatsoper bereits in Pension geschickt, erwies sie sich als quirlige Soubrette, die auch mühelos das Tanzbein schwingen kann und damit nicht nur ihrem nicht gerade mutigen Dragonerleutnant Ladislaus den Kopf verdreht. In dieser Partie hat der umwerfende Ivan Oreščanin eine neue Idealpartie gefunden, in der er nicht nur seine Mizzi sondern auch die Herzen des Publikums erobert.

Das Engagement von TV-Stars für Bühnenrollen erweist sich nicht immer als vorteilhaft, aber im Fall des als Postenkommandant Kroisleitner in der TV-Serie „SOKO Kitzbühel“ bekannt gewordenen Ferry Öllinger erwiesen sich jegliche etwaigen Bedenken als grundlos. Ferry Öllinger bewies in der in Operetten obligaten Komiker-Rolle des leicht vertrottelten Baron Oroszy, dass er gekonnt Pointen setzen und servieren kann. Ebenfalls sehr witzig war Sandy Lopičić als richtiger Räuberhauptmann. Auch die übrigen Mitwirkenden János Mischuretz als Pfarrer und als Bambuschek, István Szécsi als Vörös-bácsi und der stumm agierende András Kurta als Diener holten sich ihre Lacher gekonnt ab. Ein Sonderlob gebührt noch der ausgezeichneten Tanztruppe sowie Mátyás András als schmachtender Z…geiger.

© Werner Kmetitsch

Ausgezeichnet wie immer der Chor der Oper Graz (Einstudierung: Johannes Köhler) und die vielseitigen Grazer Philharmoniker unter dem operettenerfahrenen Dirigenten Marius Burkert, der das Orchester mit viel Drive durch die Aufführung führt. 

Die Operette ist nicht tot. Es gibt zwar viele Versuche dieser Kunstform den Garaus zu machen, zuletzt an der Wiener Volksoper mit der völlig missglückten Premiere von Franz Lehárs „Die lustige Witwe“. Aber wenn man Operette so entstaubt, so ironisch, so witzig und so spritzig auf die Bühne bringt, wie hier nun in Graz, dann weiß der Operettenfreund: die Operette lebt. Und wie! Man sollte diese schwungvolle und witzige Produktion auf keinen Fall versäumen!

Walter Nowotny, 23. März 2023

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online


Venus in Seide
Robert Stolz

Oper Graz

16. März 2024 (Premiere)

Regie: Dirk Schmeding
Dirigat: Johannes Köhler
Grazer Philharmoniker