Nürnberg: „Die Dreigroschenoper“, Bertolt Brecht / Kurt Weill (zweite Besprechung)

Mr. Peachum und seine Frau betreiben ein florierendes Bettler-Unternehmen in London, aber privat läuft es leider nicht so gut. Ihre einzige Tochter Polly hat sich in Mackie Messer verliebt, Englands berüchtigtsten und meistgesuchten Ganoven. Der ist nur deshalb noch auf freiem Fuß, weil er den Polizeichef Tiger Brown bestochen hat, aber die Luft wird immer dünner. Brecht und Weill haben 1928 aus dieser lapidaren Handlung ein kaltschnäuziges und freches Stück heiter-satirischen, Musiktheaters gemacht, das allerdings von Regisseur Jens-Daniel Herzog zu einer Art harmlos lahmenden bürgerlichen Trauerspiels der anderen Art umgestaltet hat.

© Bettina Stöß

Zu diesem Zweck hat Musikdramaturg Georg Holzer für das Nürnberger Staatstheater eine eigen „Nürnberger“ Fassung erarbeitet. Die Musik wird in voller Länge gespielt, aber statt mit sieben Musikern, die meist spielen, sind es im Nürnberger Opernhaus gut 20 Musiker, die die stilistisch bunte und schräge Musikmischung Weills spielen, pur und ausgiebig, denn Brechts Texte sind gehörig eingedampft worden, „in gewisser Weise „sind die Texte“ für Regisseur Jens-Daniel Herzog „nur Überleitungen zum jeweils nächsten Song“. Dies sei mit den nicht selten sehr kritischen Brecht-Erben abgesprochen. Erstaunlich, dass sie es akzeptiert haben, denn das Stück verkommt zur revueartigen Show ohne gesellschaftskritischen Biss. Herzog betonte vorab, dass es ihm darauf ankomme, hörbar zu machen, dass sich Weill nicht nur von John Gays und Johann Christoph Pepuschs „Beggar‘s Opera“ hat inspirieren lassen, sondern auch von den Nummernopern wes allerdings nur sehr eingeschränkt im Sinne von Parodie stimmt. Um diese „Mischung aus Opern- und Operettenelementen“ glaubwürdig singen zu lassen, lässt Herzog das Stück, das meist im Sprechtheater mit singenden Schauspielern gegeben wird, auch von schauspielernden Sängern aus dem Opernensemble des Hauses spielen. Einmal davon abgesehen, dass kaum wirkliche Opernelemente und gar keine wirklichen Operettenelemente in der “Dreigroschenoper“ aufzufinden sind, wenn man die Gattungsbezeichnungen ernst nimmt, ist die Idee, ausgebildete Sänger mit eher unzureichend singenden Schauspielern zu kombinieren, eine Schnapsidee. Zu gravierend sind die technischen, klanglichen und sängerischen Unterschiede. Entweder es wird prahlerisch gebrüllt und schrill opernhaft gesungen, besonders bei den Damen, oder aber unterbelichtet brav und eher liedhaft gesungen von den Herrn der Schöpfung. Alles Freche, Aufmüpfige, Subversive des Dreigroschenopernstils, der sich doch am Moritatengesang eher orientiert als am Opernhaften, bleibt bedauerlicherweise außen vor. Auch alles Kantige, Eckige, Charaktervolle. Stattdessen plätschert Schönklang vor sich hin.

© Bettina Stöß

Brechts Gauner-Komödie zelebriert mithilfe von Weills Ohrwurm-Musik die menschliche Schlechtigkeit kaltschnäuzig und rotzfrech. Bei Herzog wirkt alle Schlechtigkeit gar nicht so schlecht. Herzogs Darsteller/Sänger haben keine Chuzpe, es fehlt ihnen an Temperament, und an Spieltempo. Auch dirigentisch mangelt es gehörig an Tempo, Drive und Biss. Herzog zeigt harmlose Leute, die sich einen Jux mach, anstatt kaputte Menschen, die bei Bracht den Kapitalismus dafür verantwortlich machen, dass er Außenseiter schafft und die Menschen brutalisiert. Aber auch Musicalanleihen und Tanzeinlagen, groteske Bordellszenen mit unsagbar fetten Damen und Herren in schlechtsitzenden Nackttrikots (Kostüme Sibylle Gädecke) berühren peinlich (Choreographie Ramses Sigi).

Dem drögen Geschehen im Szenischen entspricht die sängerische Besetzung: Nur Liesa Mies als Mrs. Peachum hat Weill-Format und überzeugt. Nicholas Frederyck Djuren als zahnloser Mackie Messer langweilt. Inga Kriesche als Polly schreit sich schrill und musicalhaft durch die Partie. Hans Kittelmann ist ein fast unbeteiligt wirkender, liebenswerter Polizeichef Brown. Michel von Au als Besitzer der Firma „Bettlers Freund“ singt absolut unzureichend. Von Laszivität oder Abgebrühtheit, Verruchtheit oder Raffinement ist bei keinem Sängerdarsteller auch nur eine Spur. Alles nette Leute, mehr nicht.

Die Menschen sind schlecht. Die Welt ist schlecht. Aber alle machen das Beste daraus. So scheint das Credo Herzogs zu lauten. Er wolle diesen „Fatalismus“ als „Rad des Lebens“ auf die Bühne bringen, schrieb er. Mathas Neidhardt hat ihm dafür eine At revuehaft illuminiertes Riesenrad gebaut, (oder ist das Glücksrad der Fortuna?) mit vier drehbaren, gemalten Bühnenbildern. Mackie Messer darf darin kopfüber agieren und singen. Wenn er einsteigt, muss er sich anschnallen. Es darf gelacht werden, der Abend hat etwas von einem Jahrmarkt der Belustigung. Und alle rabiate Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft, um die es doch geht, die politische Stoßrichtung Brechts läuft ins Leere.

© Bettina Stöß

Dirigent Max Renne dirigiert Weills Drei­groschenoper mitnichten im schrägen Stil eines jazzigen Salonorchesters wie etwa der Ruth Lewis Band, die das Stück bei der Uraufführung interpretierte. Man höre sich nur einmal die frühesten Aufnahmen der Dreigroschenoper an, der Sound, das Tempo und der ironische Tonfall reißen heute noch mit. Renne hingegen speilt die Weill‘sche Musik eher weichgewaschen, beiläufig, routiniert und ohne jede ranschmeißerische Verve. Die ironischen Antworten auf Wagner, auf die leichte Muse, auf Modetanz und Händeloper bleiben außen vor. Nein, dieser Haifisch hat, anders als besungen, keine Zähne. Renne vermeidet es, die Musik Weills zackig und scharf zuzuspitzen. Weder von grellem Leierkastensound oder anklagend bitterem Moritatengesang ist etwas zu hören. Die geistvoll parodistische, höchst vitale und modernistisch gebrochene, dabei schwungvolle Musik Weills wirkt bei Renne lahm, ja langweilig, so langweilig wie die Inszenierung Jens-Daniel Herzogs. Die einzige Musiknummer, die zündet, ist der Kanonensong, der denn auch mehrfach intoniert wird. Dennoch: Der Abend zieht sich und ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie!

Dieter David Scholz, 21. Januar 2025


Die Dreigroschenoper
Theaterstück von Bertolt Brecht mit Musik von Kurt Weill

Staatstheater Nürnberg

Premiere: 18. Januar 2025

Regie: Jens-Daniel Herzog
Musikalische Leitung: Max Renne
Orchester des Staatstheaters Nürnberg